Judith Hermann

Alice

Erzählungen
Cover: Alice
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
ISBN 9783100331823
Gebunden, 192 Seiten, 18,95 EUR

Klappentext

Wenn jemand geht, der dir nahe ist, ändert sich dein ganzes Leben, es ändert sich, ob du willst oder nicht. Alles wird anders. Alice ist die Heldin dieser fünf Geschichten, alle erzählen von ihr - und davon, wie das Leben ist und das Lieben, wenn Menschen nicht mehr da sind. Dinge bleiben zurück, Bücher, Briefe, Bilder, und ab und zu täuscht man sich in einem Gesicht. Lebenswege kreuzen sich, ändern die Richtung und werden unwiederbringlich auseinandergeführt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.05.2009

Sehr angetan ist Roman Bucheli von Judith Hermanns neuem Prosaband, den er als Einübung ins Abschiednehmen und Loslassen gelesen hat. Die fünf Erzählungen handeln vom Sterben oder vielmehr vom Umgang der Titelheldin Alice mit dem Tod und den Hinterlassenschaften der Gestorbenen, erklärt der Rezensent, der sich von der virtuosen Verknüpfung der einzelnen Geschichten beeindruckt zeigt. Er lobt besonders die schlichte Leichtigkeit von Hermanns Sprache, die fast unmerklich eine große "Dringlichkeit" und "Tiefenschärfe" in die Erzählungen bringt, wie er schwärmt. Der Autorin gelinge es, ganz pathosfrei vom Tod und der Trauer der Hinterbliebenen zu erzählen und mit ihrer so anspruchslos erscheinenden Sprache doch die existenzielle Verunsicherung ihrer Protagonistin greifbar zu machen, preist Bucheli.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.05.2009

Angesichts des Erwartungsdrucks gegenüber ihrem dritten Buch kann Kristina Maidt-Zinke die konsequente Haltung von Judith Hermann nur bewundern: Sie habe sich mit dem Erzählband Zeit gelassen, ein betont schlichtes Einband-Foto gewählt und schließlich der Versuchung widerstanden, die Erzählungen als Roman auszugeben. Dafür macht die Rezensentin ein neues "Modethema", nämlich den Tod aus, der alle Erzählungen dieses Bandes um die Titelheldin Alice grundiert. Vier Männer sterben in diesen Prosatexten, an einen fünften, der vor langer Zeit Selbstmord beging, erinnert sich Alice, erklärt die Rezensentin. Dass der Leser nicht vom tragischen Stoff erdrückt wird, liegt nach Ansicht von Maidt-Zinke am "Mehltau des Hermann-Tons", der stets in melancholischer Distanz zum traurigen Geschehen bleibt. Dankbar registriert Maidt-Zinke noch, dass die Figuren in den neuen Erzählungen Hermanns das "pseudocoole", übermäßige Rauchen eingestellt haben, und erhofft sich für die Werke der Zukunft, dass die Autorin neben dem abgeklärten Stil ein bisschen "Sinn für Komik" entwickelt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.2009

Obgleich der Tod die Rezensentin aus jeder Zeile des neuen Prosabandes von Judith Hermann anspricht, bleibt er ihr fern. Für Felicitas von Lovenberg liegt das an der Nüchternheit und Lakonie der Sprache, die Hermann ihrer mit dem Tod (von fünf Freunde) beschäftigten Heldin in den Mund legt. Gleich ob diese Sprache einmal dazu taugte, das Lebensgefühl einer Generation zu treffen, hier erscheint sie Lovenberg angestrengt und künstlich; mitnichten führt sie zu mehr Tiefenschärfe oder Steigerung, beklagt sich die Rezensentin. Erst in den beiden letzten Geschichten scheint ihr der Ton entschiedener zu werden, und der Beschäftigung mit dem Tod die vermisste Richtung zu weisen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.05.2009

Durchaus wohlwollend hat Ina Hartwig den neuen Erzählband von Judith Hermann gelesen. Gleichwohl fällt ihr Urteil verhalten aus. Die fünf Erzählungen, in deren Mittelpunkt Alice steht, kreisen um die Themen Verlust, Sterben und Tod. Jede Geschichte handelt dabei von einem Mann, der eine Bedeutung im Leben von Alice hat und stirbt oder schon gestorben ist und erinnert wird. Das wirkt auf Hartwig melancholisch, aber nicht wirklich bewegend. Bedauerlich scheint ihr, dass die Hermann-typischen "elegischen Sätze" seltener vorkommen. Oft schreibe die Autorin einen "handgestrickt wirkenden Protokollstil", so Hartwig, "der Alltagseindrücke zu Stillleben einer schönen Bedeutungslosigkeit bündeln will". Eine emotionale Dimension haben die Geschichten in ihren Augen nicht, dafür fehlen ihnen Vorgeschichte, Psychologie, seelische Tiefe, Zuspitzung und Konflikt. Wer Hermanns typischen Tonfall mag, wird nach Ansicht von Hartwig hier gut bedient -  "die anderen wird der Tod von Micha, Conrad, Richard, Malte und Raymond seltsam wenig berühren."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.05.2009

Judith Hermanns Figuren seien erwachsen geworden, stellt Rezensentin Wiebke Porombka voller Bewunderung fest, und findet, dass diese Autorin sich mit ihrem dritten Buch als "verdammt gute Schriftstellerin" erweise. Man könne die fünf mit Männernamen überschriebenen Abschnitte des Buchs entweder als einzelne Erzählungen oder als Kapitel eines Romans lesen, der Episoden aus dem Leben der titelgebenden Protagonistin erzähle. Episoden des Verlusts, sprachlich streng durchkomponiert und mit "einer herben Melodie unterlegt", die bei der Rezensentin den prägnanten Eindruck des "Zusammenfallens von stillstehender Zeit" und "Plötzlichkeit" hinterlassen haben. Präzise und unsentimental fand sie Szenen des Sterbens geschildert, davon erzählt, wie Leben aufhört und gleichzeitig weitergeht. Dabei habe Judith Hermann atmosphärisch dicht und inhaltlich prägnant auch eine "transzendentale Einsamkeit" des Menschen auf den Punkt gebracht, wie die Rezensentin in Anlehnung an Georg Lukacs schreibt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.04.2009

Mit deutlicher Skepsis nimmt Rezensentin Iris Radisch das neue Buch von Judith Hermann auf. Zwar bescheinigt sie der Autorin makellose Stilsicherheit. Trotzdem heißt das im vorliegenden Fall nichts Gutes, denn die Unerschütterlichkeit dieser "poetischen Ausgeruhtheit" befremdet die Rezensentin eher. Denn sie sieht in diesem "Erzählkranz aus toten und sterbenden Männern" die größte aller existenziellen Prüfungen, den Tod, widerstandslos in die bewährte Hermann-Technik einverleibt, "unsere spätkapitalistischen, großstädtischen Lebenswelten" in "wohlig kalte Idyllen des Banalen umzumalen" - ja, den Tod gar zum "hausfraulichen Versorgungsfall" kleinzuhacken, wo für Sterbende Fencheltee gekocht, am Sterbebett Hände gehalten oder nach Ableben Rotkreuzkartons gepackt werden. Der Tod selbst perle an dieser Autorin ab, wie ein lästiger Ferienhausvermieter, schreibt die Rezensentin in Anspielung an Hermanns legendäres Debüt "Sommerhaus später" und die Protagonistinnen der darin versammelten Erzählungen, die Radisch auch in "Alice" immer noch durchschimmern sieht, samt ihres kaum spürbaren Lebens. Nur eine Erzählung, die Radisch vom Tod des Literaturkritikers Reinhard Baumgart inspiriert sieht, kommt einigermaßen glimpflich davon.