Jan Wenzel (Hg.)

Das Jahr 1990 freilegen

Cover: Das Jahr 1990 freilegen
Spector Books, Leipzig 2019
ISBN 9783959053198
Kartoniert, 592 Seiten, 36,00 EUR

Klappentext

Mit zahlreichen Schwarzweiß- und Farbfotografien. Vergleicht man die Jahre 1989 und 1990, zeigt sich, dass sie in der kollektiven Erinnerung höchst unterschiedlich präsent sind. Die Meisten können sich das Jahr 1989 rasch ins Gedächtnis rufen. Auch mit dem Abstand von knapp dreißig Jahren fällt es leicht, die Abfolge der Ereignisse dieses Herbstes zu erzählen - alles verdichtete sich hier auf wenige, hochdramatische Wochen. 1990 dagegen wirkt in der Erinnerung wie ein blinder Fleck. Das Gedächtnis, von den sich überschlagenden Ereignissen ebenso gefordert wie von unerfüllten Wünschen und nicht eingestandenen Kränkungen fasst ein solches Jahr nur schwer. "Das Jahr 1990 freilegen" beschäftigt sich mit den verschiedenen Aspekten des Jahres 1990 und ihrer Aktualität. Es montiert Bilddokumente und Stimmen aus dem Jahr 1990 mit essayistischen Reflexionen und Geschichten, in denen aus der Perspektive der Gegenwart auf dieses Jahr zurückgeschaut wird.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.09.2020

Rezensent Ulrich Gutmair ist überzeugt, dass diese umfangreiche Materialsammlung die beste Methode darstellt, das Umbruchsjahr 1990 abzubilden: Anstatt eine bestimmte ideologische Position zur Wiedervereinigung zu beleuchten, offenbart das Buch ihm zufolge "die Vielfalt der Wirklichkeiten". Unter den zahlreichen interessanten Texten befinden sich Protokolle der Sitzungen des Zentralen Runden Tisches der DDR, Passagen aus Zeitungsartikeln und vieles mehr, aber auch Fotografien von öffentlichen Zusammenkünften und Porträts öffentlichkeitswirksamer Persönlichkeiten - eine faszinierende Fundgrube, lobt Gutmair.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 22.05.2020

Rezensent Helmut Böttiger möchte nicht gleich den Autor über Bord werfen, aber der von Jan Wenzel herausgegebene kaleidoskopische Sammelband mit Fotos, Tagebuchnotizen, Zeitungsausschnitten, Interviews und Geschichten von Alexander Kluge und Annett Göschner lassen ihn das Jahr 1990 und seine Stimmung zwischen Hoffen und Ernüchterung fabelhaft nachvollziehen. Kluges Assoziationen, Protokolle vom "Runden Tisch", Wahlkampfbilder von Kohl, dazu die Fotos von aufgerissenen Leipziger Straßen und Kohlenhalden bieten Böttiger auch die Chance, besser zu verstehen, was heute im Osten los ist. Für den Rezensenten eine "hervorragende Geschichtsquelle".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.03.2020

Sehr beeindruckt von Fülle und Vielstimmigkeit und begeistert von Aufmachung und Bildmaterial in diesem "Folianten" ist Rezensent Alexander Cammann in seiner großen Besprechung. Er denkt am Beginn seiner Kritik darüber nach, wie die Momente des Wechsels selbst, ob 1789 oder 1989, meist im Gedächtnis haften bleiben. Dass aber der darauf folgende Schwebezustand, das Ungefähre und Unentschiedene nicht mehr so leicht in der Erinnerung fassbar seien. Für Cammann ist dieser Band eine gute Gelegenheit, sich an die tatsächlichen Texte - samt Werbesprüchen - und Stimmungen hüben wie drüben zu erinnern, dabei assistiert von einem Experten des Arrangierens geschichtsmächtiger "Stoffe" wie Alexander Kluge. So zeigten etwa die Fotos eines Besuchs Lothar de Maizieres in Bitterfeld oder Aufnahmen von Ibrahim Böhme, der eine Zeit lang durch die östliche Sozialdemokratie irrlichterte, fast vergessene Momente von Verantwortungslast und Hoffnungsträgerschaft dieses Jahres auf. Diese "gleichberechtigte Wort-Bild-Collage", so der zufriedene Kritiker, sei jedem empfohlen, der in jene "schlafwandlerischen Monate von Endzeit und Neubeginn" noch einmal eintauchen mag.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.2020

Rezensent René Schlott bekommt mit dem von Jan Wenzel zusammengestellten Band zwar kein "stringent argumentierendes Sachbuch", aber dafür regt ihn Wenzel mit seiner "verspielten" Sammlung von Bildern und Texten rund ums Jahr 1990 zur Erinnerung und auch zur Revision derselben an, gleich ob Wenzel Sitzungsprotokolle oder Werbeanzeigen abdruckt oder nach Südafrika zu Mandela bzw. zu Havel in die Tschechoslowakei blickt. Ein gesamtkünstlerisches Kaldeidoskop eines Jahres, das sich laut Rezensent bei jeder Betrachtung neu zusammensetzt und sich keineswegs nur auf den 3. Oktober reduzieren lässt.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 21.02.2020

Rezensent Helmut Böttiger hält den von Jan Wenzel herausgegebenen Band mit Dokumenten zum Jahr 1990 für eine hervorragende Geschichtsquelle. Die vielen verschiedenen Textsorten und Fotos im Band vermitteln ihm die wechselnden Atmosphären des Jahres in chronologischer Folge, Hoffnungen wie Downs, politische Präferenzen in Ostdeutschland und anderswo. Was am Runden Tisch und mit Ibrahim Böhme geschah, erfährt Böttiger und vermag sogar Schlüsse auf die heutigen Verhältnisse im Osten zu ziehen. Die "programmatischen Überlegungen" des Herausgebers im Band zu Autorschaft und "suggestiver Theoriebildung" empfindet Böttiger als entbehrlich.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 18.01.2020

Beim Blättern und Schmökern in dem von Jan Wenzel herausgegebenen Sammelband begreift Michael Pilz, dass das Vergangene weiterhin Fragen provoziert und alles mit allem zusammenhängt: Photoshop und Intel-Prozessoren, Gorbi und Chanel, der Runde Tisch, Günter Gaus, Banken in Containern, Montagsdemos, Neonazis und das Verschwinden der DDR. Gewaltig scheint ihm das im Buch eröffnete Panorama, vernetzt die Bilder und Texte, ob zeitgenössisch oder rückblickend. Für Pilz ergeben sie einen großen "Almanach der Anarchie von 1990".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.01.2020

Rezensent Jens Bisky kennt kein aufregenderes Geschichtsbuch als den von Jan Wenzel herausgegebenen Band, der versucht, das Jahr 1990 über Erfahrungen unterschiedlichster Art zu rekonstruieren, aus Büchern, Fotos, Archivmaterial, Geschichten. Bisky schmökert darin vor und zurück, entdeckt, staunt und ergänzt nach Belieben. Dass der Herausgeber dezent, ohne Besserwisserei Bemerkungen und kluge Fragen einfließen lässt, beflügelt Biskys Gedanken zusätzlich und lässt ihn fragen, was wirklich wichtig war, der Mauerfall oder die Lizenzvergabe fürs Mobilfunknetz. Die schiere Vielfalt der Stimmen vom Vertragsarbeiter der DDR über die RAF-Terroristin bis zum Promi überwältigt den Rezensenten und auch die Aktualität so mancher der hier präsentierten Funde.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.12.2019

Steffen Siegel trifft auf vergessene Bürgerrechtlerinnen und Autoren wie Ingrid Köppe und Martin Gross in der von Jan Wenzel herausgegebenen Bild-Text-Collage zum Wendejahr 1990. Viel Zeit soll der Leser mitbringen, rät Siegel, der in dem Band mehr sieht als eine Chronik. Paradox und doch passend wie nie erscheint ihm die Erfahrung der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beim Lesen und Anschauen der Interviews, Tagebucheinträge, Miniaturen, Fotos von Christian Borchert, Gerhard Gäbler, Ute Mahler u.a. Das erinnert Siegel strukturell an Kempowskis Echolot und bietet ihm tiefe Einblicke in eine andere Zeit.