J. M. Coetzee

Der Pole

Roman
Cover: Der Pole
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023
ISBN 9783103975017
Gebunden, 144 Seiten, 20,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. "Der Pole" ist Pianist, ein ergrauter Maestro, für den die Schönheit Chopins in der Präzision liegt. Beatriz ist nach seinem Konzert in Barcelona als Gastgeberin nur eingesprungen, doch der Pianist entdeckt in ihr den Stern, dem seine Liebe folgen will. Beatriz kommen seine Chopin-Interpretationen etwas spröde vor, seine Liebeserklärung wie eine Fremdsprache.In einem unerwarteten Meisterwerk entwickelt J. M. Coetzee aus einer Künstlernovelle eine zarte, elegische Liebesgeschichte, die traurig schön endet. Es geht um den richtigen Ausdruck für die Leidenschaft, der den anderen überzeugt und so schwer zu finden ist wie der wahre Tastenanschlag für Chopin. Und manchmal findet er sich zu spät.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.07.2023

Als "Versuchsanordnung mit der Liebe in postkolonialen Zeiten" liest Rezensent Stephan Wackwitz die neue Novelle von J.M.Coetzee: Sie beginnt zunächst mit der fünfzigjährigen Beatriz aus Barcelona, die eine Affäre mit dem zwanzig Jahre älteren polnischen Pianisten Witold anfängt. Witold umgarnt sie auf, wie Wackwitz betont, beinahe mittelalterlich-höfische Weise, nach kurzer Zeit ist die Beziehung der beiden vorerst beendet. Zwei Jahre später stirbt Witold und hinterlässt Beatriz höchst mittelmäßige Gedichte, sie reagiert mit Briefen an den Toten - für den Kritiker ist diese Kommunikationssituation eine interessante Aushandlung der romantischen Liebe und des Schreibens darüber, die ihn nachdrücklich zum Denken angeregt hat.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.06.2023

Rezensent Paul Jandl nennt den neuen Roman von J. M. Coetzee einen Altersroman. Wie der alte Pianist und die viel jüngere Bankiersgattin in dieser Liebesgeschichte mit Hindernissen von einem (sprachlichen) Missverständnis zum nächsten tappen, findet Jandl durchaus kurzweilig. Und das liegt nicht an der Knappheit des Textes. Das "Lebensabschnitts-Endspiel" inszeniert der Autor laut Jandl als Erkundung der "Gefühlshermeneutik" namens Liebe, raffiniert und in der Übersetzung von Reinhild Böhnke auch sehr nuancenreich.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 15.06.2023

Selbst ein Einkaufszettel wäre eine anregende Lektüre, wenn er von J.M. Coetzee geschrieben worden wäre, so drückt Rezensent Gregor Dotzauer sein Vertrauen in die Erzählkunst des südafrikanischen Schriftstellers aus. Auch vom neuen Roman des südafrikanischen Autors, in dem er die seltsame Liebesgeschichte zwischen dem alternden Pianisten Witold und der Katalanin Beatriz entfaltet, ist Dotzauer hingerissen. Im "typischen Coetzee-Präsens" präsentiert sich die kaum vorhandene Handlung, so der Kritiker, auch eine philosophische Perspektive ist mit der Evokation von "Vita Nuova", Dante Alighieris Jugendwerk, gegeben. Immer wieder wird die skeletthafte Handlung von Reflexionen unterbrochen, so Dotzauer: Es geht um die Sehnsucht nach Kommunikation ebenso wie um die Unmöglichkeit von Kommunikation. Etwas überrascht, aber durchaus erfreut ist der Rezensent über die Heiterkeit der Erzählung, und hofft, dass es davon noch viele weitere geben wird.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 09.06.2023

Rezensentin Ursula März scheint verzaubert von J. M. Coetzees kleinem Roman über die unerfüllte Liebe eines Pianisten zu einer viel jüngeren Frau. Dass die Dame Beatriz heißt und der Liebende ein alternder Künstler ist, erinnert März stark an Manns "Tod in Venedig". Weil keiner so diskret zauberisch über Liebeserfüllung im Jenseits schreiben kann wie Coetzee, lässt März der Text nicht kalt, auch wenn der Text mit seinen knappen, nummerierten Abschnitten rein äußerlich wie eine Studie daherkommt, wie wir erfahren.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.06.2023

Rezensentin Simona Pfister hat diesen Roman mit Bewunderung gelesen: Was der südafrikanische Schriftsteller hier macht, ist nicht nur eine Infragestellung des Originaltexts, sondern auch der Vormachtstellung der englischen Sprache. Es geht grob gesagt um die Liebesgeschichte zwischen einem Polen (in dem Pfister ein Alter Ego des Autors erkennt) und einer Spanierin. Keiner der beiden spricht die Sprache des anderen, doch sie spricht gut Englisch. Er nicht, weshalb sie nie weiß, ob er so hölzern ist, oder ob es an seinem schlechten Englisch liegt. Auch der Leser gerät ins Grübeln, gesteht Pfister: Er wird sich seiner eigenen Sprachbarrieren bewusst, wenn die beiden Protagonisten zwar Englisch sprechen, in ihrer Muttersprache aber natürlich eloquenter sind; wenn der Autor auf Englisch schreibt, "sich Teile der Bedeutung aber nur auf Spanisch, Deutsch oder in anderen Ausgaben erschließen", die vor der englischsprachigen Ausgabe veröffentlicht wurden. Was ist dann noch das Original fragt sich Pfister und warum wird die große Bedeutung von Übersetzern nicht stärker gewürdigt? Einziger Wermutstropfen in diesem Sprachkunstwerk: der Blick auf die Geschlechterrollen scheint ihr doch arg altmodisch zu sein.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 03.06.2023

Rezensentin Gisela Trahms ist glücklich, dass J.M. Coetzee mit dieser Novelle zur "Narration unter Hochdruck" zurückkehrt. Mit angehaltenem Atem liest sie die "elegant" und temporeich erzählte Geschichte um einen siebzigjährigen polnischen Pianisten, der eine jüngere verheiratete Mutter begehrt und sich vor allem nach einem letzten "Hauch von Transzendenz" in Liebe und Sexualität sehnt. Die Angebetete erscheint allerdings doch eher "banal", was allerdings nicht der Pianist, sondern nur die Leserin mitbekommt, wie Trahms erklärt. Den Helden jedenfalls schließt sie ins Herz und den Text empfiehlt sie nicht zuletzt jenen, die Freude am Entziffern der hier blühenden "literarischen Subtexte" haben.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 03.06.2023

Dank seines schwierig auszusprechenden Nachnamens wird Witold Walczykiewicz in Barcelona nur als "Der Pole" bezeichnet, verrät Rezensent Dirk Fuhrig über J.M.Coetzees Protagonisten, einen Pianisten, der ein Gastspiel geben soll. Die deutlich jüngere Beatriz, deren Name nicht zufällig an Dante erinnert, soll sich in Spanien ein wenig um ihn kümmern - daraus erwächst dann trotz aller kultureller und Alters-Unterschiede eine Romanze, die Fuhrig doch etwas zu klischeehaft gerät, auch und gerade mit ihren Überlegungen zum romantisch-kitschigen Potenzial von Chopin und seinen Klavierstücken. Dennoch schimmert sprachlich immer wieder die große Erzählkunst des Nobelpreisträgers von 2003 durch, stellt der Kritiker fest, so bleibt seine Beurteilung letztlich gemischt: Er hat eine "literarische Fingerübung, die ins Leere läuft" vor sich, andere Romane des Südafrikaners wie "Schande" haben ihm deutlich besser gefallen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 02.06.2023

Rezensentin Judith von Sternburg staunt über J. M. Coetzees neuen Roman, über seine Kargheit und Knappheit und Kälte, wo Kapitel nur ein paar Zeilen lang sind und die Abgetrenntheit der Figuren durch einen Punkt symbolisiert wird. Welten sind zwischen diesen Liebenden, erkennt Sternburg beim Lesen der wie zufälligen Geschichte um ein ungleiches Paar, einen polnischen Pianisten und eine italienische bella donna. Die Story hat Coetzees unerbittlichen Blick, und sie hat Geheimnis, bemerkt die Rezensentin, wenn auch manche "Schlusswendung" im Text ihr etwas altersmilde, ja trivial vorkommt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.05.2023

Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee erzählt die Liebe von Dante zu Beatrice neu und würzt sie mit einer Hollywood-Romanze und der Liebesgeschichte zwischen George Sand und Chopin, bringt Rezensent Thomas Steinfeld dieses Werk auf den Punkt. Ein alternder, asketischer Pianist trifft auf die elegante und sehnsuchtsvolle Frau eines Bankiers. Dass die Geschichte in fünf schmalen Kapiteln vom Verlag zum Roman erhoben wurde, ist nicht das Einzige, was Steinfeld wundert: Coetzees Sprache sei "fast kunstlos": Ein "gewolltes Verfehlen", mutmaßt der Rezensent, und kann nicht anders, als auf die Wucht früherer Romane des heute 83-Jährigen zu verweisen, denn die nun erschienen 144 Seiten über den Verlust seien überraschend mild und "versöhnlich".
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