Didier Eribon

Gesellschaft als Urteil

Klassen, Identitäten, Wege
Cover: Gesellschaft als Urteil
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
ISBN 9783518073308
Gebunden, 320 Seiten, 18,00 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Tobias Haberkorn. Didier Eribon greift in seinem neuen Buch viele Themen des Vorgängers "Rückkehr nach Reims" wieder auf und vertieft seine Überlegungen zu zentralen Fragen. Die Gesellschaft, so der französische Soziologe im Anschluss an Pierre Bourdieu, weist uns Plätze zu, sie spricht Urteile aus, denen wir uns nicht entziehen können, sie errichtet Grenzen und bringt Individuen und Gruppen in eine hierarchische Ordnung. Die Aufgabe des kritischen Denkens besteht darin, diese Herrschaftsmechanismen ans Licht zu bringen.
Zu diesem Zweck unternimmt Eribon den Versuch, die Analyse der Klassenverhältnisse sowie der Rolle zentraler Institutionen wie des Bildungssystems auf eine neue Grundlage zu stellen. Dabei widmet er sich auch Autorinnen und Autoren wie Simone de Beauvoir, Annie Ernaux, Assia Djebar und Jean-Paul Sartre sowie ihrem Einfluss auf seinen intellektuellen Werdegang. Nur indem wir uns den Determinismen stellen, die unser Leben regieren, können wir einer wahrhaft emanzipatorischen Politik den Weg bereiten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.11.2017

Rene Scheu ist schwer enttäuscht von Didier Eribons zweitem auf Deutsch erscheinendem Buch über die Entwicklung des Autors vom Arbeiterkind zum Soziologieprofessor. Bietet das erste noch Erkenntnis, findet er hier statt Selbstanalyse nur noch Selbststilisierung und statt Nonchalance nur Larmoyanz. Die Frage, woher die Scham angesichts der eigenen Herkunft rührt, kann ihm der Autor nicht beantworten, zu heterogen, zu geschwätzig und zu selbstverliebt und damit trivial sind seine Ausführungen, meint der Rezensent. Nicht selten, so Scheu, verwechselt der Autor die Empfindungen des Kindes mit denen des Erwachsenen, der seine Kindheit "pessimistisch zu idealisieren" sucht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2017

Rezensent Gerald Wagner erkennt den Sinn dieser Übersetzung des Buches von Didier Eribon von 2013 nicht. Darin geht es vor allem um den Autor selbst und seine Erklärungen, wie es zu seinem Buch "Rückkehr nach Reims" gekommen ist, erläutert der Rezensent. Dem Vorgängerbuch vermag der Band nach Meinung des Rezensenten allerdings kaum etwas Lesenswertes hinzuzufügen. Fröhliches Namedropping, die darauffolgende Scham des Autors und Eribons These vom Sozialen als Gewalt, die von sozialer Mobilität nichts wissen will, lassen Wagner eher ratlos zurück. Was als knapper Essay eventuell noch die Gnade des Rezensenten  erfahren hätte, fällt als 320-Seiten-Buch bei Wagner knallhart durch.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.10.2017

Mit seinem neuen Band knüpft Didier Eribon unmittelbar an sein Erfolgsbuch "Rückkehr nach Reims" an, erklärt der hier rezensierende Soziologe Oliver Nachtwey: Auch in "Gesellschaft als Urteil" beleuchte Eribon die Klassenunterschiede und die Scham über die eigene Herkunft, allerdings theoretischer, allgemeiner. Nachtwey hätte sich zwar gewünscht, dass Eribon die Erkenntnisse seiner radikalen Introspektion nun auch auf eine breite empirische Basis stellt, weswegen ihm auch der Vergleich mit Bourdieu vermessen erscheint, doch zieht ihn auch dieses Buch mit seiner "berührenden, bisweilen ergreifenden" Prosa in den Bann. Fabelhaft findet er Eribons Analyse der Hochkultur, in der die Klassengesellschaft durch untergründiges Wissen, Riten, Codes und Konformitätsdruck aufrecht erhalten wird und bei sozialen Aufsteigern ungebrochen ein Gefühl der Inferiorität produziert. Wichtig findet Nachtwey auch, dass Eribon zwar ein Andauern des Klassenkampfes konstatiert, aber in keiner Weise zur Glorifizierung der unteren Schichten beiträgt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.10.2017

Nachdem sie Didier Eribons Selbstanalyse "Rückkehr nach Reims" noch einmal hymnisch gewürdigt hat, kommt Rezensentin Tania Martini zwar weniger enthusiastisch, aber doch begeistert zu ihrer Besprechung von "Gesellschaft als Urteil", das sie als Fortsetzungsband liest. In erster Linie rühmt sie den französischen Soziologen dafür, dass er sich aus dem "akademischen Jargonknast" herausgewagt hat: So verletzlich und scheu wie im Vorgängerband erscheint ihr Eribon in diesem Band, in dem er erneut das "Gesetz des sozialen Determinismus" analysiert, von seiner Scham erzählt und Texte von Sartre, de Beauvoir, Bourdieu oder Ernaux einer kritischen Relektüre unterzieht. Auch wenn letzteres ihrer Meinung nach gelegentlich ein wenig ermüdend ist, hat die Rezensentin das Buch mit Gewinn gelesen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 08.10.2017

Rezensent Cord Riechelmann nimmt sich Zeit für die Lektüre von Didier Eribons neuem Buch, in dem der französische Soziologe den Erfolg seiner Selbstanalyse "Rückkehr nach Reims" zu ergründen versucht. Denn, allein wie Eribon hier mit Blick auf Selbstporträts und Kindheitsfotos die Fotografie als "Erinnerungshilfsmittel" und "Täuschungstrick" analysiert, dabei Marcel Prousts Betrachtungen zur Nivellierung der Klassenunterschiede in alten Fotografien widerspricht, ringt dem Kritiker größte Anerkennung ab. Darüber hinaus lernt Riechelmann in diesem, wie er findet, "spannenden" Buch, dass sich Klassen und Herrschaftstechniken zwar verändert haben, keineswegs aber verschwunden sind.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.10.2017

Vor der Lektüre von Didier Eribons neuem Buch "Gesellschaft als Urteil" sollte man "Rückkehr nach Reims" gelesen haben, warnt Rezensent Alexander Camman vor. Denn dieses Buch ist nicht nur die Fortsetzung von Eribons introspektiver Selbstanalyse, sondern nimmt auch immer wieder Bezug auf die Reaktionen zum Erfolgsbuch, erzählt der Kritiker. Gern hat sich Cammann erneut mit Eribon auf biografische Spurensuche begeben, verfällt einmal mehr dem "auratischen" Erzählton, der Dringlichkeit und Reflexion geschickt kombiniert und schaut angesichts manch schöner Erinnerung auch gern über kitschige Passagen hinweg. Und wie Eribon hier Simone de Beauvoirs Biografie mit dem Leben seiner Großmütter gegeneinander schneidet, hat dem Rezensenten besonders gefallen. Ein wenig mehr Reflexion hinsichtlich seiner linken Überzeugungen hätte allerdings nicht geschadet, meint Cammann.