David Albahari

Götz und Meyer

Roman
Cover: Götz und Meyer
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783821806853
Gebunden, 155 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Vor sechzig Jahre fuhren zwei Männer in einem Lastwagen jeden Tag von Belgrad nach Jajinci: Götz, der Fahrer, und Meyer, der Beifahrer. Hätten sie nicht unterwegs angehalten und das Ende des Auspuffs mit einer Öffnung im Boden des Kastens verschraubt, und wäre der Kasten nicht voller Juden gewesen, niemand hätte sich später dafür interessiert. Der namenlose Erzähler aber, ein Belgrader Lehrer, interessiert sich dafür, weil auf dem Lastwagen auch seine Verwandten waren. Er beginnt zu recherchieren, wühlt in Dokumenten, versucht zu begreifen. Je näher er dem Wissen kommt, desto ferner ist er; je mehr er sich Götz und Meyer vorzustellen sucht, desto schemenhafter werden ihre Gesichter ...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.06.2003

Carsten Hueck ist schlichtweg begeistert von dem serbischen Autor David Albahari, der seit 1994 in den USA lebt. Dieses Buch erzählt, wie der Protagonist herausfindet, dass seine weiblichen Vorfahren in einem Gaswagen der Nazis umgebracht wurden. Er erfindet und porträtiert daraufhin zwei imaginäre Fahrer dieses Wagens und nennt sie Götz und Meyer - diese Identifikation mit den Tätern ist ein Versuch, "das Ungeheuerliche zu begreifen" und "die Leere auszuhalten, Verlust und Einsamkeit zu ertragen", der ihn letztendlich aber in eine "Wahnwelt" führt. "Subtil beschreibt David Albahari die Erosion von Identität". Nach Meinung des Rezensenten ist das eine sehr gelungene Umsetzung von "Poetik der Unsicherheit".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.06.2003

In seinem zweiten Buch, so Iris Radisch, hat der kanadische Autor wiederum die Unerzählbarkeit der Geschichte in das Erzählen eingebunden. Hier müht sich ein Belgrader Lehrer, dessen Vorfahren von den deutschen Lastwagenfahrern Götz und Meyer in Gaswagen aus Belgrad zum Avala-Berg gefahren und durch Auspuffgase ermordet wurden, um eine Bändigung dessen, was er erzählen möchte. Aber es gelingt ihm nicht: "Er kann das Erzählte nicht bändigen, er kann es nicht einmal in Absätze unterteilen. Im Traum hält er Götz und Meyer an den Händen." Solche Literatur, die ihre Erfahrungen aus erster Hand bezieht wie diese, entwertet die Behauptung, so findet Iris Radisch, dass es gleichgültig sei, aus wievielter Hand die Erfahrung stamme. Als "bravourös" gelobt wird von der Rezensentin auch die deutsche Übersetzung von Mirjana und Klaus Wittmann.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.03.2003

Mit Attributen wie "genial" oder "vollendet" mag Martin Z. Schröder diesen Roman lieber nicht belegen, nicht, weil er es nicht verdient hätte, sondern weil Schröder fürchtet, dies "zarte Werk" zu erschlagen. Der in Kanada lebende serbische Schriftsteller David Albahari behandelt darin den Mord an den Juden in Belgrad. Der Ich-Erzähler macht sich daran, die Ereignisse zu rekonstruieren, bei denen fast all seine Angehörigen ums Leben gekommen sind. Haften bleibt er dabei an den beiden Lastwagenfahrern, die die Vergasungsinstallationen besorgt haben: Götz und Meyer. Der Leser folgt einem "gegenüber dem Grauen in die Verzweiflung sinkenden" Menschen, er folgt aber auch Albaharis Wortspielen und Ironien, seinem Irrwitz und wunderschönen Paradoxien, schreibt Schröder. Er stellt ebenso verwundert wie hingerissene fest, dass sich dieser Roman, der obendrein auf 154 Seiten mit drei Absätzen auskommt, so "leicht und flott" liest, dass man ein ganz schlechtes Gewissen bekomme.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.03.2003

Die Holocaust-Literatur ist mit diesem Buch um ein schockierendes Meisterwerk reicher geworden, schreibt Rezensent Andreas Breitenstein, der in David Albaharis Literatur auch Alexander Tismas "dunkel leuchtende Kunst" weiterleben sieht. Albahari pflege in seiner Prosa eine Verzweiflung, deren paradoxe Kunst für den Rezensenten darin besteht, dem Leser jeden Rückzug ins Ästhetische zu verbauen. Der vorliegende Roman ("ein einziges Exerzitium des Weltuntergangs") rekonstruiere die Ermordung der Belgrader Juden in einem Lastwagen, in dessen Laderaum Abgase geleitet wurden. Die Titelfiguren seien die Fahrer dieses Wagens, lesen wir: groß, blond und alle Klischees auf sich versammelnd, "die sich um die Banalität des Bösen ranken". Die Romankomposition mag auf den ersten Blick konventionell anmuten, schreibt der Rezensent, sie erweise sich aber darum als radikal, weil der Text den Horror der beschriebenen Todesarten aufnehme, ihn mit "böser Ironie lakonischem Witz und desperatem Zynismus" weitertreibe. Wie die Opfer finde sich so auch der Leser in einer Falle wieder. Assoziativ findet der Rezensent Themen und Stilebenen verknüpft. Auf einer "Achterbahn der Gefühle" erlebt er, wie Banales sich mit Erhabenem, Anschauung mit Aphoristik und Trauer mit Sarkasmus paaren. Wider die Grausamkeit der Geschichtsschreibung ringe der Autor darum, zu ermessen, welche Katastrophe über jeden Einzelnen hereingebrochen ist. Dabei taumelt der Erzähler, lesen wir, einmal am Rande des Selbstmords.
Stichwörter