Claudia Schmölders

Hitlers Gesicht

Eine physiognomische Biografie
Cover: Hitlers Gesicht
C.H. Beck Verlag, München 2000
ISBN 9783406466113
Gebunden, 264 Seiten, 9,90 EUR

Klappentext

Mit 80 Abbildungen. Keines der Bilder Hitlers aus der Frühzeit lässt auch nur im mindesten erahnen, was eines Tages von diesem Gesicht abgelesen werden wird. Vom Erlöser des deutschen Volkes bis zum maßlosen Mörder - sämtliche Rollen werden an Hitlers Gesicht lebendig und von den Zeitgenossen bewundert oder mit wachsendem Erschrecken beobachtet. Im Fadenkreuz von Abbild und Vorbild, Schreckbild und Nachbild bewegt sich die vorliegende physiognomische Biographie. Hitler lebte auf einer dauernden Bühne. Vielleicht kein anderer Machthaber des 20. Jahrhunderts hatte ein so allgegenwärtiges visuelles Echo wie er. Doch Bilder sind trügerisch. Eine physiognomische Biographie bietet anderes als eine Bild- oder Mediengeschichte. Der Physiognomiker orientiert sich am lebendigen Original, also vor allem an Augen- und Ohrenzeugenberichten. Wie diese modelliert und überliefert wurden, welche Vor- und Nachgeschichte sie haben, welche Bilder sie ihrerseits erzeugten, erzählt das vorliegende Buch als Beitrag zur Analyse einer immer noch rätselhaften Faszinationsgeschichte.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.01.2001

Nicht besonders begeistert zeigt sich Wolfgang Sofksy von Claudia Schmölders` physiognomischer Hitler-Biografie, auch wenn er lesenswerte Details berichtet. Er wirft der Autorin ungenaue Begrifflichkeiten und daher eine mühselige Lektüre vor. Was heißt Physiognomik, fragt Sofksy; sei damit nur das Gesicht oder die gesamte physische Erscheinung, die Mimik des Gesicht oder die Gestik des ganzen Körpers gemeint? Sofsky hegt den Verdacht, dass sich die Autorin überhaupt gegen jede Klassifizierung und Typologisierung ausspricht. Ihre Hauptthese versteht der Rezensent im metaphorischen Sinn: es sei den Deutschen darum gegangen, nach der Niederlage von 1918 buchstäblich "ihr Gesicht wiederzugewinnen", und diese Sehnsucht hätten sie auf das Herrscherbildnis Hitlers projiziert. Sofksy erscheint Schmölders` Analyse "dunkler kultureller Eigenheiten" der Deutschen als unzureichend und ungeeignet die Dynamik von Hitlers Machtaufstiegs zu erklären.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2000

Peter Schürmann empfiehlt ein Buch, das neue Aspekte bei der Frage nach den Ursachen von Hitlers ungeheuerlicher Ausstrahlung liefert. Es befasst sich mit der Physiognomie des Diktators. Mit dieser Einzelfallstudie habe die Autorin Claudia Schmölde aber gleichzeitig eine "gründliche Kritik der Medien-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte der Physiognomik zwischen 1919 und 1945" vorgelegt, betont der Rezensent, denn diese sei seit Lichtenbergs Kritik an Lavaters "Physiognomischen Fragmenten" aus der zweiten Hälfte des 1800 Jahrhunderts stark in Verruf geraten. Die Autorin zeige nun "fesselnd", nach welchen Gesichtpunkten der Aufbau einer repräsentablen Physiognomie des Führers funktionierte. Dabei kläre sie auf, dass Hitler zunächst nur durch seine Stimme in Erscheinung getreten war. Seine physische Präsenz wurde erst später durch seinen Leibfotografen Heinrich Hoffmann inszeniert. Schünemann fasst zusammen, welche Absichten Schmölde in Hoffmanns Darstellungsformen vermutet: Der charakteristische bannende Blick direkt in die Kamera habe eine nahezu physische Bannkraft besessen. Gleichzeitig sollten die Bilder als "Symbole der Rückgewinnung des einst `verlorenen Gesichts" verkauft werden, zur Stabilisierung des beschädigten Selbstbewusstsein durch den verlorenen ersten Weltkrieg.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.11.2000

Alex Rühle hat dieses Buch offensichtlich mit großem Gewinn gelesen. Dies liegt vor allem daran, dass die Autorin sich nicht darauf beschränkt hat, Hitlers Leben anhand von "Fotos, Büsten, Karikaturen und Gemälden im Nachhinein zu illustrieren". Vielmehr habe Schmölders ihre Darstellungen und Deutungen in eine Geschichte der Physiognomik eingebettet. So erfährt der Leser, wie Rühle betont, einiges über die Physiognomik Lavaters (oder auch ihre Behandlung in der Kunst des 19. Jahrhunderts), die damals noch wesentlich weniger schematisch war, als sie dann im frühen 20. Jahrhundert verstanden wurde. Zu einem "Gesichts-Kult" wurde die Physiognomik, wie der Leser erfährt, etwa zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Nationalsozialisten haben also diese Sichtweise weniger erschaffen als vielmehr von dieser Entwicklung profitiert und sich diese zu Nutze gemacht. Schmölders hat diese Entwicklung nach Ansicht des Rezensenten auch mit Hilfe von zahlreichen Quellen sehr plausibel dargestellt. "Ein spannender Beitrag für die physiognomische Kulturgeschichte", lautet das begeisterte Fazit des Rezensenten.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2000

Dorion Weickmanns breitet seinen Ekel ziemlich lustvoll aus: Ekel vor Adolf Hitlers Physiognomie. Genüsslich zitiert er in seiner Kritik Thomas Manns Worte von der `widrigen Fresse` oder `der bleich gedunsenen Visage`, um ihr schließlich die Schwärmerei eines Baldur von Schirach über `das deutsche Antlitz schlechthin` entgegenzusetzen. Das zu lesen macht natürlich sehr viel Spaß, ist aber längst keine vorbehaltlose Empfehlung für Schmölders Buch. Weickmanns Ansicht nach gelingt es der Kulturwissenschaftlerin nämlich nicht zu erklären, warum denn nun dieses Gesicht so viele Deutsche faszinierte. Das Buch sei zwar gefällig geschrieben, aber ihm fehlten klare Antworten, Neuigkeiten und Überraschungen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.10.2000

Rezensent Willibald Sauerländer schaut Hitler tief in die Augen mit dieser, wie er findet, "brillanten" Analyse von Claudia Schmölders. Die physiognomische Mode jener Jahre kann ihm die Autorin gut darlegen, wenngleich die "Irrationalismen" dabei ein wenig zu kurz kommen, wie der Kritiker hinzufügt. Fasziniert liest Sauerländer, wie  in den ersten Jahren, als überwiegend Hitlers Stimme präsent war, dessen Gesicht zum "Ort der Mystifizierung" wurde, bis dieser in den Jahren seines Aufstiegs die Inszenierung auch mit Hilfe des Fotografen Heinrich Hoffmann selbst übernahm. Insbesondere den Übergang vom "Nah- zum Ferngesicht" nach der Machtübernahme, als Hitler in ehrfürchtiger Distanz inszeniert wurde, arbeitet Schmölders ausgezeichnet heraus, lobt Sauerländer. Hier wird Hitlers Erfolg als "physiognomische Katastrophe" sichtbar, schließt er.
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