Vorworte

Für euresgleichen reicht ein Hühnerstall

Über Bücher, die kommen. Von Angela Schader
23.07.2021. Chinesen als Feindbild - das ist Amerika kein neues Phänomen. Allerdings wurde die im 19. Jahrhundert einsetzende Geschichte der Immigranten aus Fernost über lange Zeit weitgehend ausgeblendet. Die Schriftstellerin C Pam Zhang wagt es nun, sie auf so eigenwillige wie literarisch überzeugende Weise ins mythische Herzland der USA vorzutragen. Wir geben Einblick in ihren Debütroman "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold" und bringen eine Leseprobe aus dem Buch, das am 28. Juli erscheint.
Covid-19 war das Letzte, was die Welt gebraucht hätte, aber einer zog allemal Nutzen daraus: Wortprägungen wie "Wuhan-Virus" konnte Donald Trump seiner Polemik gegen China gewissermaßen als Sahnehäubchen aufsetzen. Weniger bekannt ist, dass antichinesisches Ressentiment in den USA schon im 19. Jahrhundert eine Hochblüte erlebte - und während es heute auch konkrete Gründe für die Kritik an und die Ängste vor China gibt, war die damalige Ablehnung einzig von Eigennutz und Rassismus diktiert.

Der 1848 einsetzende kalifornische Goldrausch lockte eine erste Welle chinesischer Immigranten nach Amerika; mit dem Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinie folgten zwischen 1860 und 1890 mehr als siebzigtausend Arbeitskräfte nach. Man begegnete ihnen von Anfang an mit systematischer Geringschätzung: Chinesen galten als minderwertige, korrumpierte und beschränkt entwicklungsfähige Rasse. Schon 1854 entschied der Oberste Gerichtshof in Kalifornien, dass sie vor Gericht nicht gegen Weiße aussagen durften. Für sie galt auch die Botschaft nicht, welche die Dichterin Emma Lazarus der Freiheitsstatue in den Mund gelegt hatte - dass nämlich den Armen, Müden und Bedrängten aus aller Welt Amerikas goldenes Tor offenstehe. Dafür sorgte ein Gesetz, das in der Legislatur des Einwanderungslands Amerika einen Sonderfall darstellt: die 1882 vom US-Kongress verhängte "Chinese Exclusion Act", welche Chinesen die Immigration und die Erlangung des Bürgerrechts versagte. Das zunächst auf zehn Jahre befristete Gesetz wurde 1892 verschärft und 1902 auf Dauer gestellt; erst nach 1943 wurden die Schranken graduell abgebaut.

Mithilfe der Maßnahme sollten einheimische Arbeitskräfte, aber auch europäische Immigranten vor Konkurrenz geschützt werden. Seltsam genug, dass dies vonnöten war, wenn zugleich die Behauptung im Raum stand, bei den Männern aus Fernost handle es sich um schwächliche, effeminierte Menschenware. Fakt war allerdings, dass sie sich insbesondere beim harten Handwerk des Gleisbaus als zäh, fleißig und teamfähig erwiesen - und obendrein für wesentlich geringeren Lohn arbeiteten als die Weißen.

Verglichen mit Amerikas großen Unrechtsgeschichten - der Dezimierung und Vertreibung der Ureinwohner, der Versklavung und Unterdrückung der Schwarzen - nimmt diejenige der Chinesen nach wie vor geringen Raum ein; aber neben den Asian American Studies sorgt mittlerweile auch die Literatur dafür, dass diese Minderheit vermehrt ins Licht rückt. Wie zupackend und kühn das Thema schon im Rahmen eines Debütwerks angegangen werden kann, beweist C Pam Zhang mit ihrem im Original 2020 publizierten Roman "How Much of These Hills Is Gold", der in der Übertragung von Eva Regul demnächst auf Deutsch erscheint.

Zhang, 1990 in Peking geboren, lebt seit ihrem vierten Lebensjahr in den USA; es sei der "neue Goldrausch" im Silicon Valley gewesen, der ihre Eltern nach Kalifornien gelockt habe, gibt sie in einem Interview mit dem Bomb Magazine zu Protokoll. Auch sie selbst arbeitete in einem Technologie-Startup, bevor sie 2015 in einer Auszeit ihre schriftstellerische Begabung der Feuerprobe unterzog. Damals entstand der Entwurf des Romans, der die Autorin aber auch von einer literarischen Identitätskrise in die nächste führte. Ihre früheren, im Rahmen von Creative-Writing-Kursen entstandenen Versuche waren noch ganz von verinnerlichten weißen Vorbildern geprägt, diese neue Geschichte jedoch, so Zhang, kam über sie wie eine Heimsuchung. "Wer bin ich?", habe sie sich gefragt. "Das ist völlig anders als alles, was ich bisher schrieb, und ich verstehe nicht, warum."

Dabei greift "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold" sehr wohl auf Topoi der "weißen" amerikanischen Western-Tradition zurück, besetzt sie aber neu. Auch eine Reverenz an Faulkners "As I Lay Dying" kann man aus dem Roman lesen, und die Schilderungen der zugleich versehrten und mythisch überhöhten Landschaft des amerikanischen Westens entwickeln, wenn auch in schlanker, eher lyrischer als epischer Form, eine ähnliche Strahlkraft wie die Prosa Cormac McCarthys.

Vor diesen weit gespannten Hintergrund setzt C Pam Zhang - einen alten Hühnerstall. Bloß, dass jetzt Menschen darin hausen, ein chinesischer Kohlearbeiter mit Frau und zwei Kindern. Als Goldsucher hat er angefangen, blieb glücklos; als Goldsucher sieht er sich trotz seines dumpfen Gewerbes noch immer. Das Wort freilich ist tabu in der Familie, dafür sorgt seine Frau, die genug hatte vom Leben an der Seite eines Hasardeurs. Eine Frau, schön, doch vom Leben gezeichnet, mit einer Stimme - so heißt es einmal - wie ein Messer, das man durch Honig zieht; eine Frau, die ihre wenigen Waffen schlau und kompromisslos einzusetzen weiß. Lucy, die ältere Tochter, teilt mit der Mutter ihre Geheimnisse und die langen, einsamen Tage in der Hütte; Sam, ein Jahr jünger, schließt sich dem Vater an und fährt schon als Dreikäsehoch mit ihm in den Minenschacht.

Als Lucy zwölf, Sam elf Jahre zählt, ist die Mutter seit längerem verschwunden; was ihr widerfuhr, wissen die Kinder nicht. Der Vater ersäuft die Erinnerung im Alkohol, bis er eines Morgens nicht mehr erwacht. Sam, starrköpfig seit je, insistiert auf einem würdigen Begräbnis. Die makabre Quest der Kinder mit dem verrottenden Leichnam im Schlepptau eröffnet den Roman, der sich dann in die Vergangenheit und Zukunft weitet; wie bei Faulkner wird der Verstorbene im Lauf der Erzählung auch einmal selbst das Wort ergreifen.

In den ersten drei Teilen fokussiert die Erzählung weitgehend auf die vierköpfige Familie; mit Ausnahme von Lucys Lehrer treten keinerlei Bezugspersonen ins Geschehen. Auf diese Weise vermeidet es die Schriftstellerin klug, das Rassismusthema zu strapazieren, auch wenn sie die Geringschätzung und die Gemeinheit, die chinesischen Immigranten entgegenschlugen, momentweise ins Licht rückt. Stattdessen macht sie diskret, nur mittelbar eine Isolation spürbar, die Zhang, wiewohl Kind einer globalisierten Welt, auch selbst erfuhr. "Das Los des Immigranten ist letztlich tiefe Einsamkeit", sagt sie im zuvor erwähnten Interview. "Man lebt im Dazwischen, gehört weder dem Ort an, den man verließ, noch ist man dort, wo man sich niedergelassen hat, wirklich akzeptiert."

Im Roman ist es einzig Lucy, die sich - als ehrgeizige Schülerin, die zum Paradepferdchen ihres eitlen Präzeptors wird - weiter in dieses Dazwischen vorwagt, freilich nicht aus Kühnheit. Sie besitzt weder Sams Eigensinn noch die unerbittliche Willenskraft der Mutter. Vielmehr hofft sie, irgendwann fern von Ihresgleichen, anonym und gesichtslos in einer Stadt zu leben, sich gleichsam aufzulösen in einer Gesellschaft, die sie als das, was sie ist, nie akzeptieren wird. Dieser Traum wird sich, zumindest befristet, im vierten und letzten Teil des Romans erfüllen, der zeitlich fünf Jahre später verortet ist. Mit einigen konstruiert wirkenden Elementen im Auftakt und dem überhitzten Finale steht er teilweise etwas fremd im Buch, enthält aber mit dem für unsere Leseprobe gewählten Kapitel auch einen der sprachlichen Höhepunkte.

Lucy, reflektierter und exponierter als die anderen Charaktere, wird zur Mittlerin zwischen Figuren und Leser: Der Roman ist, mit Ausnahme des vom Vater bestrittenen Kapitels, aus ihrer Sicht erzählt, allerdings in der dritten Person. Das gibt Zhang die Freiheit, trotz der Fokussierung auf kindliche Charaktere - Lucy und Sam stehen im Mittelpunkt des Geschehens - ihr sprachliches Potenzial voll auszuschöpfen, und hier liegt ein maßgeblicher Faktor für die Bannkraft des Romans. Eisklar kann diese Prosa wirken, die sich nie - sei es analytisch oder empathisch - über das Leiden und die Gefühle der Figuren beugt, sondern lediglich mit knappen, oft eigenwilligen Beobachtungen das Geschehen fixiert. Hier etwa die Mutter beim Einzug in den Hühnerstall: "In der Hütte greifen die Schatten nach ihr. Die Reise hat ihre Schönheit verschlissen und sie so krank gemacht, dass sie ihr Essen erbricht. Jetzt bedeckt ihre Anmut kaum noch die Knochen. Während sie sich in der Hütte zu schaffen macht, kann Lucy bis auf ihren Schädel sehen."

Erhellt werden die harschen Milieuskizzen durch flüchtige Momente einer Schönheit, die in kleinsten Dingen - dem langsam über einen Körper wandernden Nachmittagslicht, dem brennenden Rot süßer Herbstäpfel - aufscheint. Vor allem aber findet sie ihren Ort in den Landschaftsschilderungen. Schon der Titel des Romans weist darauf hin, wie die Hoffnung der Goldsucher das Land durchdringt und aus ihm zurückstrahlt, noch während es durch die expandierenden Gold- und Kohleminen zunehmend verseucht und öde wird. Mächtig erhebt sich diese Vision, wenn Lucy gegen Ende des ersten Teils auf den Landstrich zurückblickt, in dessen Staub, Schlamm und Misere sie ihre Kindheit verlebte: "Aus der Entfernung glänzen die nassen Hügel glatt und blank wie Goldbarren - als lägen am westlichen Horizont unermessliche Reichtümer aufgestapelt."

C Pam Zhang lebte selbst lange in Nordkalifornien, die Weite des Himmels und eine noch immer spürbare Übermacht der Natur haben sie geprägt. Körperlich und unmittelbar habe sie dort gespürt, dass der Mensch nicht dazu gemacht sei, in einem solchen Umfeld zu überleben, sagt die Autorin in einem Gespräch mit dem Online-Literaturmagazin "The Rumpus". Und erst aus großer Ferne, während ihrer in Bangkok verbrachten Auszeit, konnte sie diese Eindrücke in die Landschaft des Romans transformieren und dieser ein eigenes, da und dort durch irreale Elemente gehöhtes Gepräge geben. Da ist etwa der Bison, Nachbild einer längst liquidierten Spezies, der in der folgenden Leseprobe Sams und Lucys Weg kreuzt; oder ein blanker Tigerschädel, der früher im Roman das Ziel der Irrfahrt mit dem Leichnam des Vaters markiert. Das seltsame Relikt verweist auf den Erinnerungsraum, der hinter den Eltern lag und den sie auf kleiner Flamme lebendig hielten - durch vage fernöstliche Sehnsuchtsbilder, durch das schützende Tiger-Ideogramm, das die Mutter an der Schwelle jedes neu bezogenen Hauses in den Staub zeichnete, oder durch die in den Gesprächen aufklingenden Einsprengsel in Mandarin. Diese lässt die Autorin stimmigerweise unübersetzt: Auch die Leserin erfährt sie so als fernes Echo einer den Kindern fremden Heimat.

Zhang riskiert es, neben Migration und Rassismus noch eine weitere aktuelle Thematik in ihr Szenario einzubinden. Die Geschwister sind nicht, was man zunächst glaubt; diese Enthüllung wird im Roman so raffiniert verzögert, dass es sich verbietet, sie hier im Voraus preiszugeben. Die Schriftstellerin, so viel darf gesagt werden, nimmt dabei eine prekäre Kurve mit beträchtlichem Geschick. Zum einen wahrt sie über eine weite Strecke die Bodenhaftung, indem sie ihr Thema an anderen Realien festmacht - seien es elterliche Wünsche, klebrige Blicke oder knallharte Lohnverhältnisse. Zum anderen gewinnen die Figuren durch die differenzierte und körperhafte Gestaltungskunst der Autorin eine Präsenz, die einen auch dort nicht von ihrer Seite weichen lässt, wo die Überzeugungskraft der Romanhandlung momentweise ins Wanken kommt. Chinesische Tiger in Kalifornien? Doch, wenn eine so gekonnt die Feder führt wie C Pam Zhang, dann geht das.


Angela Schader

C Pam Zhang: "Wie viel von diesen Hügeln ist Gold". Roman. Aus dem Englischen von Eva Regul. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 351 Seiten, gebunden, 22 Euro.

Erscheint am 28. Juli.

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Anmerkung vom 31. Januar 2022: Der Verlag hat die Leseprobe aus urheberrechtlichen Gründen gesperrt.