Vorgeblättert

V.S. Naipaul: Des Nachtwächters Stundenbuch, Teil 3

05.04.2004.
Mr Dakin würde die Antenne selber installieren. Ich staunte, dass er schon wieder ausreichend bei Kräften war, um auf dem Dach herumzuklettern.
"Sie wollten zehn Pfund dafür. Wo mein Mann doch schließlich Elektriker ist und so etwas selber machen kann. Kommen Sie doch rauf heute Abend. Wir wollen ein bisschen feiern."
Ich ging hinauf. Ein verchromtes Flugzeug und ein weißes Zierdeckchen hatten bereits einen Platz auf dem Fernsehapparat gefunden. Er wirkte erschreckend neu.
Mrs Dakin leerte eine Flasche Tio Pepe in drei Gläser.
"Auf die Gesundheit", sagte sie, und darauf tranken wir.
Mr Dakin sah mager und erschöpft aus. Aber über seiner Erschöpfung lag ein Hauch von stiller Zufriedenheit. Wir schauten ein Stück über einen vierhundert Jahre alten Mann an, der bestimmte Arzneien zu sich nahm und aussah wie ein Zwanzigjähriger. Mrs Dakin stieß von Zeit zu Zeit kleine Freudenschreie aus - über das Stück, den Fernsehapparat, den leckeren Sherry.
Mr Dakin nahm lässig die leere Flasche zur Hand und studierte das Etikett. "Spanischer Sherry", stellte er fest.
Am nächsten Tag lauerte Mr Cooksey mir auf. "Muss ja eine Riesenkiste sein da oben."
"Achtzehn Zoll."
"Von dem großen Bildschirm kriegt man Augenschmerzen, finden Sie nicht?"
"Doch."
"Kommen Sie rein, wir trinken einen. BBC und Private?"
Ich nickte.
"Die Privaten taugen nichts. Richten unser Land zugrunde. Wir lassen unseren nicht nachrüsten."
"Wir warten auf Farbe", sagte Mrs Cooksey.
Mrs Cooksey freute sich auf einen Kampf. Sie lebte nur für ihr Haus. Sie hatte weder Verwandte noch Freunde, und sie und ihr Mann führten ein ereignisloses Leben. Einmal, kurz nach Hess? Landung in Schottland, war Mr Cooksey von einer aufgebrachten Menge an der Victoria Station mit Mussolini verwechselt worden, aber die meisten von Mrs Cookseys Geschichten handelten von Triumphen über ihre Mieter. Sie hielt sich bei diesen Kämpfen stets an die Regeln. Gesetze für Mieter und Vermieter war eins der wenigen Bücher, die zwischen den vielen Porzellantieren auf dem großen Bücherregal im Wohnzimmer ihren Platz hatten. Und Mrs Cooksey hatte ihre ganz eigenen Vorstellungen von einem Sieg. Sie sprach so gut wie nie Kündigungen aus. Das wäre für sie einer Niederlage gleichgekommen. Mrs Cooksey fragte mich: "Sie haben nicht zufällig einen Laib altes Brot in den Garten geworfen, oder?"
"Wo denken Sie hin", sagte ich.
"Das hätte ich von Ihnen auch nicht angenommen. Aber andere Leute in dieser Straße sind da anders. Es ist ein Kampf, das Haus so zu erhalten, wie es ist, das kann ich Ihnen sagen. Nehmen Sie nur mal die Mäuse. Sie haben keine Mäuse oben bei sich, oder?"
"Ehrlich gesagt, gestern war eine da."
"Hab ich?s doch gewusst. Kaum lässt man locker, geht es los. Alle anderen Häuser in der Straße haben Mäuse. Das weiß ich vom Gesundheitsinspektor. Unsers ist das sauberste Haus in der ganzen Straße, sagt er. Aber wenn die Leute anfangen, mit Lebensmitteln in der Gegend herumzuwerfen, hat man keine Chance."
An diesem Abend beschwerte sich Mrs Dakin lauthals. Sie machte es wie die Strickmeisterin: Bei offener Tür unterhielt sie sich laut mit ihrem Mann.
"Kommt hier hochgetrampelt und fragt, ob ich ein Brot in ihren grässlichen kleinen Garten geworfen hab. Und dass es den Leuten heutzutage viel zu gut geht. Mir geht nun mal nichts über eine warme Wohnung. Ich wickle mich nicht in Wolldecken und kauere mich vor ausgeglühte Aschenreste, um dann loszulaufen und anderen Leuten vorzuwerfen, ihr Zimmer wäre der reinste Hochofen."
Mrs Dakin ließ die Küchentür offen und machte sich mit viel Geklirre und Geklapper an den Abwasch. Der Fernseher war so laut gedreht, dass ich in meinem Zimmer jeden Werbespruch, jedes Lied, jedes Stückchen Dialog mithören konnte. Später kam die Teppichkehrmaschine zum Einsatz; ich hörte sie gegen Wände und Möbelstücke krachen.
Am nächsten Tag setzte Mrs Cooksey ihre Mäusejagd fort. Sie ging in jede Wohnung, riss das Linoleum heraus und stopfte die Spalten zwischen den Bodenbrettern mit Zeitungspapier aus. Außerdem leerte sie Mrs Dakins Abfalleimer. "Wegen der Mäuse", erklärte sie uns.
An diesem Abend hörte ich wieder den Fernseher der Dakins.
Am nächsten Morgen hing ein großer Zettel im Flur. Ich erkannte Mr Cookseys Handschrift und Sprachstil: WÜRDEN DER ODER DIE DAFÜR VERANTWORTLICHEN BITTE FÜR DIE AUGENBLICKLICHE ENTFERNUNG DER ÖLFLECKEN AUF DER EINGANGSTREPPE SORGE TRAGEN. Im Badezimmer war eine Nachricht an dem Rohr zum Durchlauferhitzer befestigt: WÜRDEN DER- ODER DIEJENIGEN, DIE SICH AN DEM HAHN ZU SCHAFFEN GEMACHT HABEN, DIES IN ZUKUNFT BITTE UNTERLASSEN. Und auf der Toilette: WIR HÄTTEN NICHT GEGLAUBT, DARUM BITTEN ZU MÜSSEN, ABER WÜRDEN DER ODER DIE VERANTWORTLICHEN DIESEN ORT BITTE SO VERLASSEN, WIE SIE IHN VORZUFINDEN WÜNSCHEN.
Die Dakins revanchierten sich umgehend. Vier ungespülte Milchflaschen wurden auf den Ölflecken auf der Treppe deponiert. Und vor der Mülltonne stand, mit dem Etikett nach außen, eine leere Whiskeyflasche.
Meinem Gefühl nach war diese Runde an die Dakins gegangen.
"Schnaps und Fußballtoto", sagte Mr Cooksey. "Für so was geben diese Leute ihr Geld aus. Verpimpelt bis dorthinaus! Reg dich nicht auf, Bess. Wir geben ihnen den Strick, an dem sie sich aufhängen können."
An diesem Abend dröhnte der Fernseher durch das ganze Haus. Der Abwasch ging mit maximalem Geklapper vonstatten, die Teppichkehrmaschine knallte gegen Wände und Möbel, und Mrs Dakin sang aus vollem Hals dazu. Bald darauf vernahm ich scharrende Geräusche und spitze kleine Schreie. Die Dakins tanzten. Das ging noch ein Weilchen so weiter. Dann hörte ich Badewasser einlaufen.
Es klopfte leise an meiner Tür und Mrs Cooksey trat ein. "Wollte nur wissen, wer jetzt noch ein Bad nimmt", sagte sie.
Nachdem sie gegangen war, plätscherte es im Badezimmer noch ein, zwei Minuten weiter. Plötzlich hörte man ein schärferes Prasseln, zischend, metallisch. Und bald darauf verstummte das Badewasser.
Der Durchlauferhitzer speiste sich nicht aus einer Zisterne (unhygienisches Zeug, Zisternen, pflegte Mr Cooksey zu sagen), der Zufluss war vom Wasserverbrauch im Hause abhängig. Wer in seiner Küche den Wasserhahn aufdrehte, reduzierte Fluss und Temperatur des Wassers aus dem Durchlauferhitzer. Das Prasseln war ein Indiz dafür, dass jemand im Erdgeschoss einen Wasserhahn voll aufgedreht und den Durchlauferhitzer außer Gefecht gesetzt hatte.
Aus dem nunmehr stillen Badezimmer hörte man sporadisches Planschen. Das Prasseln hielt an. Dann hörte ich Mr Dakin niesen.
Die Badezimmertür wurde aufgerissen und wieder zugeknallt. Noch einmal nieste Mr Dakin, und Mrs Dakin sagte: "Wenn du dir eine Lungenentzündung holst, weiß ich, wer als Nächstes Post von deinem Anwalt kriegt."
Ihnen blieb keine andere Wahl, als den Glühstrumpf im Badezimmer zu zertrümmern.
Offenbar hatten sie ihre Niederlage akzeptiert, denn am nächsten Tag unternahmen die Dakins keine weiteren Schritte. Ich war gerade bei den Cookseys, als sie an diesem Nachmittag von der Arbeit nach Hause kamen. Nach ein paar Minuten verließen sie das Haus wieder. Im Wohnzimmer der Cookseys brannte noch kein Licht, und wir konnten sie durch die Spitzengardinen beobachten. Sie gingen Arm in Arm.
"Die gehen auf Wohnungssuche, nehme ich mal an", sagte Mrs Cooksey.
Es klopfte, und die Strickmeisterin kam herein, das Lächeln strahlend und schrecklich auch im Dämmerlicht. "Guten Abend", sagte sie, und dann, an Mrs Cooksey gewandt: "Bei uns geht das Licht nicht."
"Stromausfall", konstatierte Mr Cooksey. Aber draußen brannten die Straßenlaternen. Mr Cooksey drehte den Lichtschalter im Wohnzimmer um. Nichts passierte.
Mrs Cooksey schaute ratlos.
"Die Sicherung", erklärte Mr Cooksey bestimmt. Er hielt sich für einen Experten in Elektrotechnik. Mit Hilfe einer brennenden Kerze suchte er Sicherungsdrähte aus, ging hinunter zum Sicherungskasten, ließ uns alle Lampen und Herdplatten und Öfen ausschalten und machte sich an die Arbeit. Der Draht brannte durch, immer wieder.
"Er hat sich was einfallen lassen", sagte Mr Cooksey.
Nur was, das erfuhren wir nicht. Die Dakins hatten ihre Wohnung mit neuen Zylinderschlössern gesichert.
Die Strickmeisterin beklagte sich.
"Es hilft nichts, Bess", sagte Mr Cooksey. "Du musst ihnen kündigen. Ich hab solchen Leuten noch nie übern Weg getraut." 

Die Niederlage schmeckte umso bitterer, als sich herausstellte, wie nahe der Sieg gewesen war. Nachdem Mrs Cooksey sie aufgefordert hatte, die Wohnung zu räumen, eröffneten ihr die Dakins, dass sie einen Teil des Schmerzensgeldes als Anzahlung auf ein Haus verwandt hatten und sowieso kündigen wollten. Sie packten ihre Sachen und gingen ohne ein Wort des Abschieds.
Drei Wochen später zog in die Wohnung der Dakins eine Dame mittleren Alters mit einem fetten, glänzenden Dackel namens Nicky ein. Die Post wurde ihr von einem Damenclub nachgesandt, auf dessen schauerliche Interieurs ich vom Oberdeck des 16er-Busses manchen Blick geworfen hatte.

Mit freundlicher Genehmigung des Claassen-Verlages

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