Vorgeblättert

Mc Ewan: Abbitte, Lesprobe

Sie hob die Vase auf und stellte sie - etwas unbeholfen, weil sie die Zigarette noch in der Hand hielt - auf den Beckenrand. Sicher wäre es vernünftiger gewesen, erst die Blumen herauszunehmen, aber sie war einfach zu durcheinander. Mit heißen, trocknen Händen drückte sie das Porzellan gegen den Körper. Robbie sagte nichts, aber sie sah seinem Gesicht an - seinem gezwungenen, angespannten Lächeln, bei dem sich kaum die Lippen verzogen -, wie leid ihm seine Worte taten, was sie jedoch keineswegs beruhigte. So war es in letzter Zeit nämlich immer, wenn sie sich unterhielten: Stets hatte einer von beiden etwas Falsches gesagt und wollte die letzte Bemerkung wieder ungeschehen machen. Ihren Gesprächen fehlte jede Leichtigkeit und Verläßlichkeit; man konnte sich dabei nicht entspannen. Statt dessen immer bloß Sticheleien, Fallenstellerei und verlegenes Schweigen, was sie sich selbst beinahe ebensosehr zum Vorwurf machte, obwohl sie keinen Moment daran zweifelte, bei wem die Schuld zu suchen war. Schließlich hatte sie sich nicht verändert, ganz im Gegensatz zu ihm. Er stellte diesen Abstand her zwischen sich und der Familie, die so völlig offen zu ihm gewesen war und ihm alles gegeben hatte. Da sie aber damit rechnete, erneut einen Korb von ihm zu bekommen, und weil sie wußte, wie sehr sie sich darüber ärgern würde, hatte sie ihn nicht zum Dinner eingeladen. War schließlich sein Problem, wenn er sich unbedingt absondern wollte.
Vier Delphine trugen auf ihren Schwanzflossen die Muschel, in der der Triton hockte; und dem Delphin, der Cecilia am nächsten war, quollen Moos und Algen aus seinem weit geöffneten Maul. Die kugelförmigen steinernen Augenballen, groß wie Äpfel, schimmerten grünlich. Auf den nordwärts gewandten Flächen hatte die ganze Statue eine blaugrüne Patina angesetzt, so daß der muskelbepackte Triton, wenn man sich bei dämmrigem Licht aus einem bestimmten Winkel näherte, hundert Faden tief im Meer zu stehen schien. Gewiß hatte Bernini sich vorgestellt, daß das Wasser fröhlich aus der breiten Muschel mit ihren gewellten Rändern in das Becken plätscherte, doch war der Druck zu schwach, weshalb das Wasser lautlos über die Unterseite der Muschel rann, von der schmarotzender Schleim in tropfenden Fäden herabhing wie Stalaktiten in einer Kalksteinhöhle. Das Becken selbst war gut einen Meter tief, das Wasser klar, der Grund aus fahlem, cremefarbenem Stein, auf dem sich weißrandige Rechtecke aus gebrochenem Sonnenlicht wellten, einander überlappten und sich wieder teilten.
Sie hatte vorgehabt, sich über die Brüstung zu lehnen, die Blumen in der Vase zu lassen und das kostbare Stück seitlich einzutauchen, doch in ebendiesem Augenblick wollte Robbie etwas wiedergutmachen und beschloß, ihr zu helfen.
»Gib her«, sagte er und streckte eine Hand aus. »Ich füll sie für dich, wenn du so lange die Blumen hältst.«
»Danke, ich schaff das schon.« Sie hielt die Vase bereits über das Becken.
Aber er sagte: »Guck, ich hab sie schon«, und hielt den Rand der Vase fest zwischen Daumen und Zeigefinger. »Paß auf, deine Zigarette wird naß. Komm, nimm die Blumen.«
Mit dieser Aufforderung versuchte er, ihr seine männliche Autorität aufzudrängen, doch erreichte er damit bei Cecilia nur, daß sie noch fester zupackte. Sie hatte keine Zeit und auch überhaupt keine Lust, ihm zu erklären, daß sie sich, wenn sie die Vase zusammen mit den Blumen eintauchte, davon ebenjenen Eindruck unverfälschter Natürlichkeit erhoffte, den sie mit ihrem Arrangement hervorrufen wollte. Also verstärkte sie ihren Griff und wandte ihm zugleich den Rücken zu, doch ließ Robbie sich nicht so leicht abschütteln. Mit einem Geräusch, als bräche ein trockner Ast, splitterte ein Teil vom Vasenrand ab und zerbrach in zwei dreieckige Stücke, die aus seiner Hand ins Wasser fielen und synchron in Zickzackschwüngen zu Boden sanken, wo sie sich in einigen Zentimetern Abstand im gebrochenen Licht zu krümmen schienen.
Cecilia und Robbie erstarrten mitten im Kampf. Ihre Blicke trafen sich, doch vermochte Cecilia in der giftigen Melange aus Grün und Orange weder Entsetzen noch ein schlechtes Gewissen zu erkennen, höchstens so etwas wie Anmaßung, vielleicht sogar ein Triumphgefühl. Sie war geistesgegenwärtig genug, die beschädigte Vase wieder auf die Stufe zu stellen, bevor sie sich der Bedeutung dieses Vorfalls bewußt wurde. Das Ganze war zu schön, einfach köstlich, denn sie wußte, je schwerer der Schaden, um so schlimmer würde es für Robbie werden: ihr verstorbener Onkel, der geliebte Bruder ihres Vaters, der sinnlose Krieg, die tückische Flußdurchquerung, der Wert der Vase, die mit Geld nicht zu bezahlen war, Heldentum, menschliche Güte und all die Jahre, die diese Vase durch ihre Geschichte verkörperte, eine Geschichte, die bis zu dem Genie von Höroldt und noch darüber hinaus bis zur Meisterschaft jener Alchemisten zurückreichte, die das Porzellan wiederentdeckt hatten.
»Du Idiot! Jetzt sieh doch nur, was du angestellt hast.«
Er schaute ins Wasser, dann blickte er sie an, schüttelte einfach bloß den Kopf und legte eine Hand vor den Mund. Mit dieser Geste nahm er alles auf sich, doch haßte sie ihn dafür, so unangemessen fand sie seine Reaktion. Er blickte ins Becken und seufzte. Einen Moment fürchtete er, sie könnte zurückweichen und gegen die Vase treten, und hob warnend die Hand, sagte aber keinen Ton. Statt dessen begann er, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihr war sofort klar, was er vorhatte. Ausgeschlossen. Er war ins Haus gekommen und hatte Schuhe und Socken ausgezogen - nun, sie würde es ihm zeigen. Sie schleuderte die Sandalen von den Füßen, knöpfte ihre Bluse auf und zog sie aus, löste den Rock, streifte ihn ab und trat an den Beckenrand. Er stand da, Hände in den Hüften, und glotzte, während sie in Unterwäsche ins Wasser stieg. Seine Hilfe ausschlagen, ihm keine Möglichkeit zur Wiedergutmachung gönnen, so lautete seine Strafe. Das eiskalte Wasser, ihr Aufkeuchen waren seine Strafe. Sie hielt den Atem an und sank hinab, ihr Haar aufgefächert über dem Wasser. Daß sie sich ertränkte, war seine Strafe.
Als sie einige Sekunden später wieder auftauchte, eine Scherbe in jeder Hand, da wußte er, daß er besser daran tat, ihr nicht aus dem Wasser zu helfen. Die zarte, weiße Nymphe, von der das Wasser weit kräftiger herabströmte als von dem bulligen Triton, legte die Stücke sorgsam neben die Vase. Dann zog sie sich rasch wieder an, streifte mühsam die Seidenärmel über die nassen Arme und stopfte sich die offene Bluse in den Rock, griff nach den Sandalen, klemmte sie sich unter den Arm, steckte die Scherben in die Rocktasche und hob die Vase auf. Ihre Bewegungen waren schroff, und sie wich seinem Blick aus. Er existierte nicht, er war verbannt, das gehörte ebenfalls zu seiner Strafe. Wie betäubt stand er da, als sie barfuß über den Rasen davonging, und sah ihr nach, sah ihr nasses, jetzt dunkleres Haar schwer auf ihre Schultern herabfallen und die Bluse befeuchten. Dann drehte er sich um und suchte das Becken ab, ob nicht ein Bruchstück übersehen worden war, konnte aber kaum etwas erkennen, da sich das Wasser noch nicht wieder beruhigt hatte, fast, als würde es stets aufs neue vom Gespenst ihrer Wut aufgewühlt. Er legte eine gespreizte Hand auf die Oberfläche, als wollte er das Wasser besänftigen. Cecilia war längst im Haus verschwunden.

Mit freundlicher Genehmigung des Diogenes Verlags.

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