Vorgeblättert

Leseprobe zu Thor Vilhjalmsson: Morgengebet. Teil 2

27.06.2011.
Auf Fischfang mit den Dufgussöhnen (1214)

"Komm schon, Vetter", sagte Svarthöfði, der von ihnen der größte war und stattlich mit seinen breiten Schultern und seiner mächtigen Brust. Der dickste war Björn kægill, kleiner als die anderen, aber ihnen an Statur gleich und in jeder Hinsicht kräftig gebaut. Sturla eilte herbei und wollte sich daran beteiligen, das Boot aufs Wasser zu schieben, wäre aber beinahe gefallen, so kraftvoll hatten die Dufgussöhne das Schiff von der Stelle gerückt, das jetzt bei der innersten Schäre nahe am Strand im Wasser lag. Sturla tat einen Sprung.
     Die drei Brüder hatten sich an die Ruder gesetzt und warteten auf ihn. Er kletterte unter den Rudern an Bord bei Kolbeinn grön, der von ihnen der Hübscheste war und menschähnlicher als seine trollartigen Brüder, obwohl er stark war.
     Es herrschte ruhiges Wetter, die Wellen erreichten kaum die Strandklippen, aber als man weiter hinausgekommen war, wurde es an den schwarzen Schären weiß und etwas Wellengang folgte dem erwachten Wind. Die Brüder griffen hart in die Ruder, und Sturla musste sich anstrengen, mit seinem Vetter mitzuhalten. Die Luft war etwas drückender geworden, und im Nordosten trieben Wolken über Berge und Gipfel, aber er schätzte sich glücklich in Gesellschaft seiner Vettern, die ans Meer gewöhnt waren. Dennoch sah er, dass Kægill manchmal mit gerunzelten Brauen zum Himmel blickte, ohne ein Wort zu sagen.
     Der Tag war schon recht weit vorangeschritten; sie legten daher die Netze nicht aus, fischten aber manchmal mit der Angel, fingen jedoch meist nur Kleinfische.
     "Lasst uns etwas weiter hinausfahren, Jungs", sagte Svarthöfði. Sie fuhren an Inseln vorbei, von denen die meisten noch flach waren. Aber ihr Kurs wurde oft verwinkelter, als Sturla es sich vorgestellt hatte. Er begriff, dass Schären und Klippen unter der Meeresoberfläche waren und Riffe, welche die Brüder kannten.
     Als sie sich noch weiter entfernt hatten, war das Meer um die Inseln bereits aufgewühlt. An den Felsen stieg Sprühwasser in die Höhe, und Wellen schlugen über die Schären. Nun machten sich die Wogen bemerkbar, und manchmal machte der Sog einer Welle unter dem Boot die Ruderzüge zunichte und besprengte die Männer mit Sprühregen, und das Boot erhielt vom Wellengang einen Stoß. Der Himmel war finster und bewölkt, aber hellere Wolkenschleier trieben unter der dunklen Wolkendecke.
     Die Felsen am Spülsaum der Inseln verschwammen im Sog der Brandung, die erstaunlich schnell anschwoll.
     "Sollen wir uns nicht beeilen, an Land zu kommen, Bruder?", fragte Kolbeinn.
     "Der verdammte Wind kommt aus beiden Richtungen", schrie Svarthöfði. "Lasst uns mit dem Segel noch warten."
     Kægill sagte nichts, umklammerte stumm sein Ruder. Die Gischt peitschte ihnen ins Gesicht, sodass sie ihren Kopf auf ihr Ruder hinabbeugten und die Schultern gegen Wellenschaum und Spritzer hochzogen.
     "Nun hat Ægir angefangen zu schmatzen", sagte Svarthöfði und spuckte gegen den Wind. Der Sturm brauste lauter, der Sog schwoll an und ebenso das Heulen. "Wir sollten versuchen, die Schürze zu hissen", brach es aus Kægill hervor. Mehr sagte er nicht. Sie begannen, sich mit dem Segel abzumühen, bei einem Wind, der nun heftig geworden war und ihnen die Lappen aus den Pranken reißen wollte. Sie brachten das Segel hoch, und das Boot erzitterte knarrend unter einer großen Welle, der Svarthöfði mit knapper Not ausweichen konnte. Er hatte sich nun an die Pinne gesetzt, während Kægill die beiden vorderen Ruder packte. Und sie machten schnelle Fahrt aus dem Tal der nächsten Wellen heraus, die sich hinter ihnen eine nach der anderen auftürmten. Das Segel hatte sich beim Herabstürzen der vorigen Welle gelöst, sodass sie das Tau losließen, und nun schlug das Segel wie eine knarrende Fahne flach im Wind, während sie mit aller Kraft in die Ruder griffen, in denen es gewaltig knirschte, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wären Kægills Ruder zerbrochen. Er hatte zwei, während Sturla und Grön jeder ein eigenes auf ihrer gemeinsamen Ruderbank führten.
     "Überlass Kolga deine Ruder, Junge", rief Svarthöfði, "und reich mir das Seil." Die laute Stimme drang mit ihrer Botschaft nur mühsam durch das Tosen des Meeres.
     Sturla wandte sich ihm zu und wartete darauf, dass der Sturm ihm Gelegenheit gäbe, das Tau zu ergreifen. Das Rasen des Sturms ließ mit seiner Gewalt gerade so viel nach, dass Sturla das Seil mit beiden Händen fassen konnte. Er musste sich vor dem Überkommen des Baums hüten, um nicht über Bord gespült zu werden, während er versuchte, das Tau zur ausgestreckten Hand Svarthöfðis zu reichen, der wie ein Bergtroll dasaß, die eine Hand an der anderen Schot und versuchend, den größten Sturzseen auszuweichen. Gemeinsam brachten sie die Segelschoten an ihren Platz. Meine Vettern hier gleichen kaum Menschen, dachte der junge Mann, und dieser Gedanke minderte seine Angst. Es gab ja auch kaum Zeit, sich zu fürchten.
     Sie steuerten an einer Klippe vorbei, die man kaum sah, schwarz in der geschwollenen Brandung. Draußen tobte die See, als wolle sie den gesamten Felsen verschlingen oder mit ihren weißen Krallen zermalmen, die weißen Säulen ragten aus ihr hervor und verteilten sich in der Luft, stießen heulend auf Felsstufen hinab und plauderten auf Felsvorsprüngen in den Wind hinaus. Aber jetzt verhalf ihnen das Segel dazu, in rasender Fahrt davongerissen zu werden und an dieser Gefahr vorbeizusausen und an dem Begehren der Klippe, sie zu zermahlen und den Staub zur Hölle zu senden.
     Diese Felsenburg verschwand im Sturmwirbel, und die Fahrt entfernte das Boot unaufhaltsam von dem geschützten Ort in immer bedrohlichere Wellen, fort von dem verschwundenen Berg dort draußen. Und von jetzt an sah man nichts mehr von ihm.
     "Wie geht es dir?", rief Svarthöfði. "Was denkst du, Bruder Kægill?"
     Nur der Sturm antwortete.
     "Was glaubst du, wo wir sind, Kægill?", rief Svarthöfði wieder, mit beiden Händen am Steuer. Die anderen hatten ihre Ruder im Wellengang aus dem Wasser gehoben, bereit, sie notfalls wieder in die wilde See zu tauchen, die schäumte und sich ständig am Schiff brach, und beim Steuern zu helfen, um Kentern und Brechern zu entgehen.
     Nichts. Alles nur in der Gewalt des Sturms. Die See und der Himmel, alles ein einziges Chaos. Was war Meer und was war Luft? Fern der Himmel, nah der Abgrund.
     "Ich denke, wir sind ?", sagte Kægill und zögerte mit der Antwort, "irgendwo, irgendwo sind die Svörtuloft." "Nicht allzu fern", rief er eine ganze Weile später mit dunkler, zurückhaltender Stimme, wie um sich mit der wütenden Übermacht zu versöhnen.
     Dann hörte Sturla oder glaubte zu hören, wie Svarthöfði lachte. Er war sich nicht sicher. Und dann schien ihm, als kreischte irgendwo ein Vogel. Irgendein Bergvogel mit Schreistimme, aber sicher war das nicht. Sie waren alle durch und durch nass, ohne es zu bemerken.
     Als sie vorbeigeworfen wurden, kam es ihnen vor, als wären da Untiefen mit Schären und manchmal Riffe, hoch oben in der Luft Bergwände und kein Land, sie länger zu tragen, Felsenburgen am Himmel ohne Strand darunter. Dann war das verschwunden, und es wurde nur wütend auf Wolkenkissen gehämmert in dieser göttlichen Werkstatt.
     "Soll man sich nun für Thor oder Christus entscheiden?", rief Svarthöfði dem Sturla zu, der an Kraft zu seinen riesenstarken Vettern aufschloss. Hatte er gelacht?
     "Thor für den Mut", sagte Kolbeinn grön. "Christus für die Bequemlichkeit."
     Wohin steuerte der Mensch? Es war, als wüssten die Brüder, wo die Bucht zu finden war. Als sie sich der Felsennase näherten, unter der ein Sandstrand sein musste, kam ein heftiger Wellenstoß, der sie weiter stieß, als ihnen lieb war. Da war ein kochender Wirbelstrom, und dann kam über die Felsnase eine reißende Meereswoge und schlug sie nieder; und alle vier fanden sich in einem einzigen Strudel wieder, und das Boot war gekentert, und Svarthöfði hing am Segeltau und ließ es nicht los wie ein ungezähmtes Zauberpferd. Kægill und Kolbeinn saßen auf dem Kiel; aber Sturla ging unter, und ihn schmerzte die Brust vor Atemnot, und als es ihn nach oben trug, da schrie er vor Schmerzen im Kopf, als sich diese furchtbare Umklammerung in der Tiefe löste, und dann ging er wieder unter und ging wieder unter und schoss wieder empor, und noch ein drittes Mal, und jetzt fühlt er, dass ihn die Kraft verlässt, und er will ins Nichts hineingleiten und ist ganz darauf vorbereitet, so zu verschwinden, aber dann hat Kægill seine Klauen in seinem Haar und reißt ihn nach oben, und Svarthöfði ist zu ihnen auf den Kiel gekommen, auf den nun drei von ihnen gespült waren, und packt Sturlas Schienbein mit beiden Händen und wirft ihn senkrecht neben sie aufs Boot, mit Schwung und festem Griff Kægils in seinem Haar.
     "Na ja, Bruder", sagte Svarthöfði nun. "Wie geht es dir jetzt?"
     Sie mussten all ihre Kraft anwenden, um sich dort auf dem Wrack festzuhalten.
     Da sagte Kolbeinn zu Sturla: "Hast du Lust, mit uns zu sterben?"
     Sturla brachte kein Wort heraus.
     Kægill antwortete: "Wir haben immer ein gutes Verhältnis gehabt. Auch wenn wir zusammen sterben müssten." "Ja", glaubte Sturla zu hören.
     Svarthöfði schlang eine Schot um Sturlas Mitte und hielt sie in der Hand, da wo er selber hing. Kægill ließ seine Haare nicht los.
     Dann kam eine kräftig saugende, langgezogene Welle und hob die ganze Ladung in die Luft, das Boot mit den daran hängenden Menschen, und warf alles auf die Kiesbank in der Felsenbucht. Sie kamen auf einem Tanghaufen herunter, der die Bruchlandung abmilderte.
     Später erinnerte sich Sturla, wie er sich gegen den Sog im schwarzen Ufersand festkrallte und den Tanghaufen hinaufklomm, wo ihn die Brüder in Empfang nahmen.

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