Vorgeblättert

Leseprobe zu Julie Mazzieri: Grabrede auf einen Idioten. Teil 1

26.01.2015.
An jenem Tag kreisten die Reden des Blechschmieds um seine Orgel. Er sprach immer viel von ihr, aber an diesem Morgen hatte er mehr als gewöhnlich von ihr gesprochen. Der Gemeinderat hatte gerade für die Restaurierung des Instruments gestimmt. Er war nicht blöd: Das hatte mit dem Kommen des Ministers im Spätsommer zu tun. Seit Jahren hatte er den Bürgermeister für die kleinsten Unterhaltsarbeiten bedrängen müssen und siehe da, von einem Tag auf den anderen verkündete man ihm eine vollständige Instandsetzung. Der Organist hatte dem Küster seine Besorgnis bezüglich der Zeit, über die sie verfügten, um die Arbeiten auszuführen, dargelegt, ihm mehrere Werke genannt, an die er im Hinblick auf das Eröffnungskonzert gedacht hatte, lang und breit die Schwierigkeiten eines jeden von ihnen sowie die Grenzen, die ihm sein Instrument setze, beschrieben. Aus Höflichkeit wollte der Küster eine Frage stellen. Gerade in jenem Moment, in dem er die Lippen einen Spalt breit öffnete, um zu sprechen, hatte der Blechschmied ihm mit einer Handbewegung schroff zu verstehen gegeben, er solle schweigen und einmal aus dem Fenster sehen: Auf dem Gehweg, auf der anderen Straßenseite, würde gleich der Stellvertreter des Bürgermeisters vorbeikommen.

Der Mann sah schlecht aus. Er ging schleppenden Schrittes, die Hände in den Taschen, der schmale Hals aus dem Kragen eines viel zu großen Hemdes ragend und, über seinem niedergeschlagenen Körper, dem Pendel eines Zauberers gleich, einen Kopf mit dunkel umrandeten, ausgehöhlten Augen schaukelnd, einen schweren, auf der Stirn von fettigen Fransen bekränzten Kopf. Von der Szene amüsiert, kniff der Blechschmied die Augen zusammen und war hinter den Vorhang getreten, um nicht gesehen zu werden. Der Küster hatte seinen Blick nicht vom Blechschmied abwenden können, der sich in seiner unbändigen Neugier benahm, als sei er allein im Raum. Mit einem leichten, auf den Lippen hängenden Lächeln hatte der Gastgeber an die zwanzig Mal genickt und der Küster fragte sich, ob er wohl überhaupt wieder aufhörte. Dann war der Stellvertreter vorüber und der Neugierige stand von seinem Stuhl auf, um ihm nachzublicken. Der Blechschmied hatte recht geschwungene Hüften, einen herzförmigen Hintern. "Ein echter Frauenarsch", hatte der andere gedacht.

Aus seinem Pfarrhaus hatte auch der Pfarrer das Vorbeigehen des Stellvertreters beobachtet. Er war es, zu dem er wollte. Er hatte ihn am selben Morgen sehr früh angerufen. Der Pfarrer hatte zugesehen, wie er sich näherte, seinen Blick dann aber auf dem grauen Auto ruhen lassen, das seit über zwei Stunden im Hof des Blechschmiedes stand. Es würde bald zu Mittag läuten und das Auto hatte sich nicht bewegt. Die schöne Jacqueline würde das Essen für drei vorbereiten müssen.

*

Der Pfarrer hatte die Tür geöffnet, noch bevor der Besucher klopfte, und ihn, mit einer großen freundschaftlichen Handbewegung, gebeten, in die Diele zu treten. Sie hatten rasche Begrüßungen getauscht und waren im Gang verschwunden. Es war Mittag. Im Wohnzimmer und in der Küche begannen zwei Uhren im Abstand einiger Sekunden zu läuten. Der Gemeinderat war zusammengeschreckt. "Da ist aber einer angespannt", hatte der Pfarrer gedacht, der hinter ihm lief.

Die beiden Männer waren in einen Raum getreten, der als Arbeitszimmer diente. Ein Eichenschrank an der hinteren Wand beherbergte alle Taufregister der Gemeinde. Für diese Tageszeit war es im Zimmer recht dunkel. Das Fenster ging nach Norden. Auf dem Boden Bücherkisten. Die Fächer des Bücherschranks waren voll, man hatte einige Bücher daneben aufstapeln müssen. Selbst bei geschlossener Tür hörte man noch das Ticktack der Uhr aus dem benachbarten Wohnzimmer. Der Pfarrer und der Stellvertreter hatten sich einander gegenüber gesetzt, nahe beim Fenster.

"Wie geht es Madame und den Kindern?", hatte der Pfarrer gefragt.
     "Gut", hatte der Stellvertreter gepiepst.
     "Der jüngste hat nächstes Jahr Firmung, wenn ich nicht irre …"
     Der Stellvertreter hatte nicht die geringste Ahnung. Ein verzerrtes Lächeln hatte sein Gesicht nach hinten gezogen.
     "Und Ihnen, mein lieber Marceau? Wie geht es Ihnen? Sie wirken mir ein bisschen … ein bisschen … blass, würde ich sagen. Wirklich. Letzten Sonntag, als ich Sie beim Gottesdienst sah, da dachte ich in aller Zuneigung: Der Herr Stellvertreter sieht mir aber ein bisschen erschöpft aus. Als Sie dann anriefen - so früh heute Morgen -, dachte ich mir, vielleicht ist es etwas Schlimmes. Doch ich bitte Sie, beruhigen Sie mich: Sie sind doch nicht etwa krank?"
     Marceau hatte sich nur mit Mühe auf dem Sessel halten können. Seit Beginn des Gesprächs hatte er unentwegt gezappelt, sich bald auf die eine, bald auf die andere Lehne gestützt, die Beine erst so, dann so übereinandergeschlagen, die Hände in alle Richtungen verrenkt, seine unmögliche Haltung dann aber bemerkt und schließlich versucht sich zu beruhigen.
     "Ich habe so meine Sorgen. Wie alle anderen auch, nehme ich an. Einen schlechten Angestellten, ein Geschwür, das nicht abheilen will. Ich schlafe weniger, als ich eigentlich müsste, das ist sicher. Aber deswegen bin ich nicht hier."
     Der Pfarrer hatte seinen Sessel herangerückt und das Kinn in die Hand gestützt, um besser zuhören zu können. Der Stellvertreter warf einen raschen Blick aus dem Fenster und drehte sich wieder zum Pfarrer um. Er sagte mit ernster Stimme:
     "Haben Sie die alte Jungfer in letzter Zeit gesehen?"
     "Die alte Jungfer?", wiederholte der Pfarrer, überrascht, dass sie plötzlich in diesem Gespräch auftauchte.
     "Madame Henri, haben Sie sie gesehen?"
     "Nein, sie war lange nicht hier im Pfarrhaus. Warum?"
     Der Stellvertreter wusste nicht, wie er jetzt fortfahren sollte. Die Schritte der Haushälterin waren ganz in ihrer Nähe zu hören und mit einer Handbewegung hatte der Pfarrer angezeigt, er solle sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen, solle nur fortfahren.
     "Seit mindestens zwei Wochen holt sie ihre Milch nicht mehr von der Außentreppe herein", hatte er geantwortet und seinen Speichel hinuntergeschluckt. "Sauer bis zum Hals, stehen die Flaschen da. Die Abmachung war drei Flaschen alle zwei Tage. Wenn Sie wegfahren, müssen Sie anrufen, was ich meinen Kunden ja immer sage. Vorher anrufen, wenn ich an bestimmten Tagen nicht kommen soll. Ansonsten, weggefahren oder nicht, stelle ich die Flaschen dort ab. So ist die Abmachung. Und stelle die Rechnung. Die Alte hat ja nicht viel Geld, aber sie hat immer bezahlt. Sie muss halt dafür sorgen, dass ihr Kälbchen trinkt. Aber da, Herr Pfarrer, konnte ich einfach nicht anders, Politik ist zwar Politik, aber ich konnte ihr einfach nicht weiter die Flaschen vor der Tür stapeln und ihr das berechnen, als ob ich nicht sähe, dass sie sie nicht trinkt. Deswegen hab ich bei ihr geklingelt. Sie würden doch auch sagen, das ist seltsam, wenn sie da ihre Milch nicht reinholt, oder? Ich dachte mir, die Alte wird mit ihrem Idioten ja wohl nicht auf irgendeine Insel gefahren sein! Sie wird die Tür aufmachen und ich werde ihr nochmal erklären, dass sie mich vorher anrufen muss, wenn sie keine Milch haben will. Aber dass die, die da jetzt auf der Außentreppe stehen, auch wenn die jetzt schon fast Käse sind, dass sie dafür jetzt schon zahlen muss. Dass das eben die Abmachung ist und man sich schon auch daran halten muss. Also, wie gesagt, ich hab geklingelt. Ich hab gewartet. Dann hab ich noch mal geklingelt. Ich hab wieder gewartet und mir dann gedacht: Hier ist doch irgendwas faul und dann bin ich reingegangen."
     Der Pfarrer hatte sich nicht gerührt. Er versuchte zu folgen.
     "Ein wahrer Saustall. Dreckige Teller, Kleider, Bettlaken überall. Auf dem Tisch, auf den Stühlen, auf der Anrichte. Und dann, weil die Fenster noch total zugekittet waren, ein Gestank nach Hund, so stark, ich wäre fast wieder rausgegangen, um nicht zu ersticken. Ich war vorher noch nie in dem Haus, deswegen war mir das ein bisschen unangenehm. Ich habe sie zwei- oder dreimal gerufen. Nichts. Im Flur war noch das Licht an. Ich dachte mir, bei einer so seltsamen Situation konnte man auch ohne Erlaubnis reingehen. Ich bin unten überall rumgegangen, dann nach oben. Tja, und da war sie dann. Sie war oben. Oben hab ich sie gefunden."
     Der Pfarrer hatte sich langsam wieder aufgerichtet. Er war sich nicht sicher, ob er Marceau richtig verstand, denn der hatte mit immer größerer Mühe gesprochen und konnte ihm kaum ins Gesicht sehen, so aufgewühlt war er.
     "Sie war also da?", hatte er wiederholt.
     "Sie war da, in ihrem Zimmer. Die Tür war nicht mal zu. Zuerst dachte ich, da sei ein Hund auf ihr Bett gestiegen. Aber das war sie. Sie lag dort. Ich bin zu ihr hingegangen und hab sie gefragt: 'Madame Henri, sind Sie krank?' Sie hat nicht geantwortet. Auf dem Tisch neben ihrem Bett lag ein Karabiner, ein altes Modell, das nicht mehr funktioniert. Ich hab mir gesagt: Sie hat sich doch wohl keine Kugel in den Kopf gejagt. Na toll, das musste mir nun auch noch passieren. Ich war ziemlich genervt. Aber da war kein Blut. Wenn sie sich eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte, dann hätte da ja Blut sein müssen. Ich habe mich über sie gebeugt und sie nochmal gefragt, ob sie krank ist. 'Midas?', hat sie nur gesagt. 'Bist du da?' Ich hab ihr gesagt, dass es nicht Midas war, sondern ich, Marceau, der Milchmann. Ich hätte mir erlaubt reinzukommen, weil sie ihre Flaschen nicht reingeholt hatte, und nur wissen wollte, ob alles in Ordnung sei. Sie schien nicht sehr überrascht. Sie ist nicht mal aufgestanden. Ich hab sie gefragt, ob ich den Arzt holen soll. Sie hat nichts gesagt. Dann wollte ich langsam mal wieder gehen. Da machte sie endlich den Mund auf: 'Er ist schon so lange weg.' Ich hab gefragt: 'Wer, Madame Henri? Wer ist schon so lange weg?' 'Midas', hat sie gesagt."
     "Midas!", hatte der Pfarrer ausgerufen. "Aber das ist doch nichts Neues, nichts furchtbar Schlimmes! Der ist doch immer abgehauen! Man sieht ihn doch immer durch Berg und Tal rennen!"
     "Ja schon, aber es sieht so aus, dass er endgültig weg ist."
     "Ach, was erzählen Sie da! Dieser Idiot kommt immer wieder zu der Alten zurück. Das sagt sie doch selbst, wenn man ihr vorwirft, dass sie ihn so herumstromern lässt: 'Der Midas kommt am Ende immer wieder heim, bevor die Suppe kalt ist. Er kennt die Gegend besser als Sie und ich!'"
     "Ich sage Ihnen ja nur, was sie mir gesagt hat, Herr Pfarrer. Der Midas ist jetzt seit mehr als zwei Wochen weg."
     Das Ticktack der Uhr war ins Zimmer zurückgekehrt. In der Küche hatte die Haushälterin geschäftig den Tisch gedeckt. Sie machte immer mutwillig viel Lärm, wenn Besuche über die Mittagsstunde hinaus andauerten. Der Pfarrer hatte sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen gerieben. Der Besucher saß stocksteif da.
     "Ich glaube Ihnen, mein armer Marceau. Natürlich glaube ich Ihnen. Aber ich versteh das nicht … Wo kann er sich denn versteckt haben?", hatte der Pfarrer zu sich selbst gesagt. "Wo ist der abgeblieben? Die spinnt genauso wie ihr Sohn! Vielleicht, nach zwei Wochen … Und die hat nicht etwa mal dran gedacht, jemanden zu benachrichtigen, dass er verschwunden ist? Die Nachbarn oder die Polizei? Mich! Nachforschungen anstellen vielleicht?! Aber die denken ja nie an irgendwas, diese …"
     Dann war ihm sein Besucher wieder in den Sinn gekommen.
     "Das ist alles, was sie Ihnen gesagt hat? 'Mein Sohn ist seit zwei Wochen verschwunden und ich warte auf ihn'!"
     "Ähm … ja. Nicht so, wie Sie es jetzt gesagt haben, aber, ja, das wollte sie sagen."
     "Und danach sind Sie wieder gegangen?"
     "Ja. Sie wollte offenbar nicht reden. Ich hab ihr gesagt, dass ich die Flaschen dieses Mal nicht in Rechnung stellen werde, aber dass sie im Normalfall anrufen muss, wenn ich nicht kommen soll."
     "Und dann sind Sie gegangen?"
     "Ja."
     "Und haben sie so allein in ihrem Zimmer zurückgelassen?"
     "Hm … ja."
     "Sie wollten ihr nicht helfen?"
     Der Stellvertreter hatte den Blick gesenkt, bevor er antwortete. Seine Stirn war lang, schweißbedeckt.
     "Ich hab gedacht, sie wollte ihn endlich los sein. Ich bin gegangen. Ich konnte ja nichts dafür."
     Der Satz war mitten ins Zimmer gefallen. Kurz darauf ein Summen, ein schwaches, aber anhaltendes Brummen. Das spärliche Licht vom Fenster hatte seine Farbe verloren. Der Pfarrer wusste nicht mehr, wo er hinsehen sollte. Einen Augenblick später war er auf seinem Sessel nach vorn gerückt und hatte seine Hand auf die dünnen Finger des Stellvertreters gelegt:
     "Das denken Sie doch nicht wirklich, oder?"
     "Doch, in dem Moment hab ich's gedacht. Ich wollte es nicht, aber …"
     Er hatte seinen Satz nicht fertiggesprochen. Der Pfarrer hatte den Stellvertreter lange angesehen. Die sehr hohe Stirn und den Pony, der sie krönte, jungenhaft, kurz und ungepflegt. Hohle Wangen, schlecht rasiert; die Nase ganz gerade, auch das hatte er sich angesehen, die inmitten großer zartlila Ringe verlorenen Augen. Und während er die Finger, die er nicht losgelassen hatte, fest drückte, hatte er neugierig gefragt:
     "Ist Ihnen kalt?"
     Marceau hatte den Kopf geschüttelt. Nein, ihm sei nicht kalt. Es war fast Sommer. Der Pfarrer lächelte.
     "Glauben Sie ernsthaft, sie hätte dreißig Jahre gewartet? Fünfunddreißig Jahre? Um ihn heute zu … ihn zu … um ihn heute loszuwerden?"
     Der Stellvertreter räusperte sich.
     "Das hab ich zumindest gedacht, als ich sie da neben dem Gewehr liegen sah. Ich dachte mir: Wenn nicht sie, dann er. Es war ja kein Blut neben dem Bett, da dachte ich, sieh mal an, jetzt hat sie sich doch dazu entschlossen." Er hatte eine Pause gemacht. "Aber ich bin kein Detektiv. Ich kann mich irren."
     "Nein, Sie sind kein Detektiv, mein lieber Marceau. Und an Ihrer Stelle würde ich zu vermeiden versuchen, dass solche Geschichten im Dorf kursieren. Das könnte ja schließlich alles völliger Unfug sein. Man sollte vor allem die anständigen Leute nicht mit solchen - verzeihen Sie - unsinnigen Gedanken erschrecken. Haben Sie Ihre Sorge noch mit jemand anderem geteilt?"
     "Nein, mit niemandem. Ich wollte zuerst mit Ihnen sprechen. Die Alte …"
     "Braver Junge", hatte der Pfarrer von Chester ihm das Wort abgeschnitten. "Ich werde Madame Henri besuchen gehen und Sie dann anrufen. Bis dahin kein Wort. Haben Sie verstanden? Lassen Sie uns einen Skandal vermeiden."
     Der Pfarrer war aufgestanden, um ihm zu verstehen zu geben, dass das Gespräch beendet war. Bevor er die Tür öffnete, hatte er dem Stellvertreter die Hand auf die Schulter gelegt.
     "Und ruhen Sie sich aus, mein Guter. Sie sind erschöpft. Der kleinste Vorfall nimmt unverhältnismäßige Ausmaße an, wenn man sich in so einem Zustand befindet wie Sie. Sie müssen sich wegen solcher Geschichten nicht krank machen, glauben Sie mir."
     Als sie das Zimmer verließen, waren die Männer der Haushälterin begegnet, die sie keines Blickes würdigte. Der Pfarrer hatte seinem Besucher noch einmal versprochen, ihn anzurufen, sobald er etwas Neues von der Alten und ihrem Sohn wüsste. Er hatte ein tröstendes Lächeln aufgesetzt und der Stellvertreter war gegangen, nach links, von wo er auch gekommen war. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, war der Pfarrer rasch durch den Flur zum Eingang der Küche gegangen, wo Jeannette eine Tasse Tee trank.
     "Ich muss kurz weg. Eine wichtige Sache. Halten Sie alles warm, ich bin gleich wieder da."
     Die Haushälterin erhob sich gemächlich, griff nach den Tellern und stellte sie zurück in den Ofen. Erst im Salon, dann in der Küche, schlug es zur vollen Stunde. Es war ein Uhr.

*

Jeannette hatte noch drei oder vier Tassen Tee getrunken. Sie hatte beschlossen, ihre Arbeit erst wieder aufzunehmen, wenn der Pfarrer zurück war. Im Dorf war etwas im Gange und sie wollte nichts verpassen. Und sie wusste, wie sie ihn zum Sprechen bringen würde.
     So hatte der Pfarrer noch nicht einmal die Tür hinter sich geschlossen, da hatte sie schon ausgerufen:
     "Was machen Sie nur für ein Gesicht! Haben Sie unterwegs ein Gespenst getroffen?"
     Dann in dem für sie natürlicheren, vorwurfsvollen Ton:
     "Sie hätten essen sollen, bevor Sie so davonrennen! Was sind denn das für Flausen, in Ihrem Alter das Essen auszulassen!"
     "Sie können es sich nicht vorstellen, Jeannette. Ein Unglück … ein Unglück …"
     Der Pfarrer neigte zu Übertreibungen. Die Haushälterin hatte in noch strengerem Ton gesagt:
     "Aber so reden Sie doch, Himmelherrgott! Reden Sie klar und deutlich, damit man versteht, was Sie meinen!"
     Der Pfarrer hatte gezögert.
     "Sie müssen mir versprechen, dass Sie niemandem, aber auch wirklich niemandem, ein Wort sagen. Verstanden? Nicht ein Wort."
     Die Frau zuckte mit den Schultern und war aufgestanden, als würde sie die Sache nicht mehr interessieren. Als sie ihm den Rücken zugekehrt hatte, fügte sie hinzu:
     "Selbstverständlich erzähle ich niemandem davon! Für wen halten Sie mich denn?"

zu Teil 2