Vorgeblättert

Leseprobe zu John Stuart Mill: Ausgewählte Werke Bd.1, Teil 2

04.10.2012.
Nach zehn Tagen in Athen brach Mill mit drei Begleitern zur ersten seiner längeren Exkursionen nach Nauplia, Argos und Korinth auf; er hatte jedoch kaum Zeit, sie zu beschreiben, da er nach nur einer Nacht in Athen am 2. Mai zu einer viel längeren Exkursion in den Norden Griechenlands aufbrach. Mit einem Begleiter, einem jungen Engländer, den er in Athen getroffen hatte, und einem Führer reiste Mill dreizehn Tage durch Attika, Euböa und Mittelgriechenland und füllte mit seinen ausführlichen täglichen Berichten einen Brief von 22 eng geschriebenen Seiten, den er nach seiner Rückkehr in Athen zur Post brachte.

Tatoi (das antike Dekeleia), 2. Mai:
Ich bin bis hierher gelangt, mein Engel, und schreibe Dir nun in einem schönen Zimmer eines sehr hübschen maison de campagne in der wohl schönsten Lage in Attika, das jemandem gehört, der während des griechischen Unabhängigkeitskrieges eine Zeitlang Kriegsminister war. Es steht an einem Abhang des Parnes-Gebirges, auf der dem Pentelikus zugewandten Seite, unweit des Ortes, den die Lakedämonier im späteren Teil des Peloponnesischen Krieges befestigten, um militärisch von Attika Besitz zu ergreifen. Wo es keine Gasthäuser gibt, werden die Reisenden natürlich in Privathäusern bewirtet - der Besitzer dieses Hauses ist zurzeit nicht da. Wir bilden eine richtige Karawane mit unseren vier Pferden & zwei Maultieren, drei für uns selbst und den Führer, drei für Gepäck & Utensilien, Betten, Proviant etc., auch drei Maultiertreibern & einem Koch: Das alles bestreiten wir mit den 25 Francs pro Tag, die wir jeder zahlen, worin auch die Entlohnung für den Führer enthalten ist … Die Reise beginnt vielversprechend. Ich schreibe dies, während ich auf das Abendessen warte, an einem Tisch, der so ordentlich gedeckt ist wie zu Hause, & ich zweifle nicht, dass wir so gut & so angenehm zu Abend essen werden wie in dem Hotel in Athen. Unser Führer George Macropoulos versteht offensichtlich etwas von diesem Teil seines Geschäfts, auch wenn er die Berge nicht aus der Entfernung erkennen kann & uns auf die absurdeste Weise in die Irre führt. Ich habe bislang sehr zu meiner Überraschung entdeckt, dass die Griechen ein bemerkenswert dummes Volk sind - das dümmste, das ich kenne, ohne selbst die Engländer davon auszunehmen. Ich berücksichtige durchaus den Umstand, dass sie & wir in Sprachen kommunizieren, die für beide Seiten Fremdsprachen sind & die sie sehr unvollkommen beherrschen - aber ihnen fehlt die Klugheit der Franzosen, Italiener & sogar der Deutschen, herauszufinden, was man meint, & sie können anscheinend niemals herausbekommen, was man will. Sie tun unweigerlich das Gegenteil von dem, was man ihnen sagt, da sie zu eingebildet sind, einem zu sagen, dass sie einen nicht verstehen.… Mein Reisebegleiter Dawson hat angenehme Umgangsformen & scheint wissbegierig, ist aber ziemlich ungebildet & lässt sogar viele Hs aus - was man von seiner äußeren Erscheinung her oder dem Klang seiner Stimme oder der Art, wie er sich auszudrücken pflegt, nicht erwarten würde.

Am folgenden Tage stieg die Gruppe, nachdem sie das Parnass-Gebirge durchquert hatte, das Tanagra-Tal hinab und reiste entlang der Küste an der Meerenge von Euripus weiter, bis sie diese Meerenge schließlich auf der Brücke in Chalkida überquerte, um nach Euböa zu gelangen. In Chalkida verbrachten sie eine Nacht in dem Haus eines ortsansässigen Kaufmanns. Sie setzten ihre Reise in nördliche Richtung durch die Berge im Innern der Insel fort und machten dann in Achmet Aga halt.

Achmet Aga, 4. Mai: ein Dorf, das ganz von einem Engländer namens Noel gebaut wurde, dem man zum Dank neulich sein Haus buchstäblich leer geräumt hat von allem, was fortzutragen sich lohnte, & das ganze Dorf wurde von einer Räuberbande geplündert. In seinem Haus sind wir ganz unerwartet untergebracht, denn der Führer sagte uns, er habe einen Deutschen namens Emile um Gastfreundschaft gebeten. Das ist genau die Art von Ignoranz & grober Ungenauigkeit dieser Führer (dieser Mann gilt als einer der Besten, & ich habe es schon mit zwei anderen probiert).

Als sie ihren Weg weiter nach Norden in Gesellschaft ihres Gastgebers der vorigen Nacht fortsetzten, wuchs Mills Freude an der Schönheit der Landschaft ständig. Von "einem Dorf im Norden Euböas, wo wir sehr bequem untergebracht sind" schrieb er am

5. Mai: Eine Beschreibung versuchen zu wollen ist sinnlos. Welche Rosinen man sich auch aus irgendeinem anderen südlichen Land herauspicken mag, in Griechenland findet man sie überall, & hier finden wir das zusammen mit vielem vor, was in den nördlichen Ländern am schönsten ist. Wir blicken oft auf der östlichen Seite der Insel auf das Ägäische Meer, Skyros ist anscheinend recht nahe - ein langer Bergrücken: & endlich kamen hinter dem Golf von Volos der Othrys & der Pelion in Sicht & die Inseln Peparethos, Skiathos & andere gegenüber der Einfahrt zum Golf (an einem klareren Tag hätten wir auch den Ossa & den Olymp sehen können), was die himmlischste Aussicht darstellte, die ich je erblickte. Gegen Mittag kamen wir zu einem großen, reichen Dorf, dessen Bewohner sich zur fête ihres Schutzheiligen St. Georg versammelt hatten, & wir sahen sie auf höchst barbarische Art zu echter türkischer Musik tanzen, eine Trommel wurde wie mit dem Hammer eines Schmieds geschlagen, & eine Art Flöte hörte sich wie ein Dudelsack an. Eine allgemeine persönliche Reinlichkeit war zu bemerken & viele schöne Gewänder - es ist ein sonderbares Volk, wie Südseeinsulaner kommen sie mir vor. Noel zeigte uns mehrere der Hütten seiner Bauern - ein großer Raum mit einem Lehmfußboden, das Feuer in der Mitte & ein Loch im Dach darüber für den Rauch - ein Ende des Raums ist manchmal abgetrennt für all die Tiere, Kühe, Ochsen & so weiter. In der Mitte eines dieser Räume stand die paysanne, eine adrette, noch gut aussehende Frau, recht fein angezogen für die fête, was den seltsamsten Kontrast bildete zu all dem, was sie umgab. Beim Tanz konnte nichts die höfliche Aufmerksamkeit übertreffen, die uns von allen Seiten zuteilwurde. Es ist unmöglich, solche ausnahmslos gut gelaunten & höflichen Menschen nicht zu mögen, aber es sind fast Wilde. Sie verstehen sich immer und sprechen von sich als Orientalen, nicht als Europäern.

Am folgenden Tage erreichten sie über "Yerochori" (Xirochorion) die Wasserstraße, die Euböa von dem damals nördlichsten Streifen des griechischen Festlands trennt, und nach langen Verhandlungen in Oreos gelang es ihnen, das einzige auf Reede liegende Schiff zu mieten, das groß genug war, um Pferde über den Golf von Zeitun zu transportieren. Ungünstige Winde verlängerten eine Überquerung, die normalerweise nicht mehr als drei Stunden dauerte, auf zwanzig Stunden, einschließlich einer ganzen Nacht, die Mill, ohne Schaden für seine Gesundheit, auf Deck verbrachte, und sie landeten endlich in

Stylida (Stylis), 7. Mai: Unser Führer wollte, dass wir auf der Südseite in Molos an Land gingen, ganz in der Nähe der Thermopylen, & gar nicht erst nach Lamia gingen, & wodurch wir einen ganzen Tag gewonnen hätten, aber da der gefährliche Teil der Reise, falls es den überhaupt gibt, hier beginnt & man uns gesagt hatte, dass in Molos nur die Nationalgarde sei, in die wir kein Vertrauen hatten, beschlossen wir (wie der Eparchos uns geraten hatte), in Stylida zu landen, dem Hafen von Lamia auf der Nordseite. Dort machten wir den Zivil- und Militärbehörden unsere Aufwartung, legten unseren amtlichen Befehl vor & sollen morgen eine Wache von sechs regulären Soldaten & berittenen Gendarmen bekommen. Darauf haben wir einen Rechtsanspruch: was wir ihnen geben, ist ein Bakschisch - ein viel benutztes Wort hier -, und so werden sie uns etwa einen Dollar pro Tag kosten.

Topolia, 9. Mai: Wir brachen von Stylida mit unseren sechs Wachen auf, die jedoch keine regulären Soldaten waren: Aber sie begleiteten uns nur bis Lamia, drei Wegstunden entfernt, über das Ende der Bucht hinaus. Hier gab uns der Kommandant zwei Unteroffiziere & acht einfache Soldaten, denen der Kommandant des folgenden Standorts aus freien Stücken noch zwei weitere hinzufügte; wir sind also gut geschützt. Ihre Zahl hat keinen Einfluss auf das, was wir bezahlen. Einige von ihnen gehen vor uns & einige hinter uns, & zu Beginn schickten sie auch nach rechts & links Vorposten aus, hörten aber damit auf, als der Pfad eng wurde. Am Ende des Golfs ist eine ausgedehnte Ebene, & der Teil in der Nähe von Lamia ist landwirtschaftlich besser bestellt als irgendein anderer Teil Griechenlands, den ich kenne. Es gibt jedoch sehr viel Sumpfgebiet um das Ende der Bucht herum, wie beim Comer See. Nachdem wir diese Stelle durchquert hatten, kamen wir zum Thermopylen-Pass, zwischen dem Oeta & dem Golf; zuerst überquerten wir den Spercheios, einen ziemlich breiten Fluss, den ersten wirklichen Fluss, den ich in Griechenland sah. Aber Leonidas würde den Ort nicht wiedererkennen, denn in den inzwischen vergangenen 2350 Jahren hat der Spercheios so viel Erdreich herabgeschwemmt, dass er den engen Pass in eine breite, teilweise sumpfige, teilweise mit Gestrüpp bewachsene Ebene verwandelte, durch die der Fluss sich in einer rasch abfallenden Richtung schlängelt & sich schließlich in den Golf ergießt. Die Seite des Oeta ragt sehr steil auf, ist aber mit Gehölz bedeckt. Der Ort des antiken Passes lässt sich anhand einiger heißer schwefelhaltiger Quellen ausmachen, die heute wie damals aus dem Fuß des Berges hervorsprudeln, & auch anhand eines Grabhügels, der als Grabstätte für die Gefallenen errichtet wurde.

Nachdem sie eine Nacht in dem Dorf Mendenitsa verbracht hatten, überquerten sie die Bergkette Richtung Süden. Die Eintragung für denselben Tag wird dann fortgesetzt:

Wir befanden uns nun ganz in einer Schweizer Landschaft. Als wir die Passhöhe erreicht hatten, blickten wir plötzlich hinab auf das weite Tal von Phokis, länger und breiter als das Wallis & von Böotien bis nach Thessalien reichend - es liegt zwischen der Gebirgskette des Parnass & der des Oeta, die erstgenannte erstreckte sich nun vor uns, & die Gipfelgruppe, die unter dem Namen Parnass näher bekannt ist, lag genau gegenüber. Die meisten Gipfel waren jedoch wolkenverhangen, & es begann bald zu regnen, & es regnete mit Unterbrechungen den ganzen übrigen Tag. Das Tal ist zu dieser Jahreszeit sehr grün - nur die Talmitte wird landwirtschaftlich genutzt, obwohl es offensichtlich insgesamt sehr fruchtbar ist - der Rest besteht aus Brachland oder schönen Eichen- & Platanen-Wäldern: mehrere schöne Flüsse fließen Richtung Böotien hindurch, & ich vermute, dass sie sich alle weiter unten vereinigen. Aber ein oder zwei Dörfer mit ein paar Häusern, gerade noch sichtbar in den Bergnischen, das ist alles, was geblieben ist von den zwanzig Städten von Phokis. Die Leute reden davon, dass sie nach Griechenland kommen, um die Ruinen zu besichtigen, aber das ganze Land ist eine große Ruine.

Von Topolia aus gelangten sie in einer sehr kurzen, nur vier Stunden dauernden Reise nach Delphi.

Delphi, 10. Mai: Delphi ist einer der wenigen Orte in Griechenland, von denen die Ansichten in Wordsworths Greece einen vorteilhafteren Eindruck verschaffen, als ihn die Wirklichkeit bietet: Er ist jedoch schön, vor dem Hintergrund einer sehr steil abfallenden Kluft des Parnass & blickt hinunter in ein weites Tal mit einer engen Schlucht im Talgrund, die rasch von rechts nach links ansteigt. Der Ort muss sehr beeindruckend gewesen sein, als er noch eine schöne Stadt mit einem prachtvollen Tempel war: Er scheint damals auf künstlichem Fundament gebaut worden zu sein, das von einer massiven Mauer den Berghang entlang
gestützt wurde, von der noch viel vortreffliches Mauerwerk erhalten ist. Die kastalische Quelle ist Humbug. Das einzige Stück Boden, das annähernd eben war und sich in der Nähe der Stadt befand, wurde ebenfalls durch eine Mauer abgestützt & bildete das Stadion oder die Rennbahn für die Delphischen Spiele, die wichtigsten & gefeiertsten in Griechenland nach den Olympischen.


Nach einer teilweisen Besteigung des Parnass vollendete die Reisegruppe nahezu ihre Umrundung des Berges, indem sie zu den Ebenen von Böotien und dem Kopaissee hinabstieg, wobei Mill wie üblich auf alle Orte mit Bezug zur Antike achtete, von der Stelle, wo Ödipus seinen Vater traf, bis zum Schauplatz der tragischen Geschichte der Philomele und dem Schlachtfeld von Chaironeia. Die beiden letzten Etappen dieser Tour über Livadia und Platää wurden Mill durch eine schlimmer als übliche Magenverstimmung ziemlich vergällt. Als er am 15. Mai nach Athen zurückkehrte, wurde er durch ungünstige Nachrichten über die Gesundheit seiner Frau zusätzlich beunruhigt. Aber da ein zweiter Brief einen eher beruhigenden Bericht enthielt, beschloss er, seine ursprünglichen Pläne weiterzuverfolgen, und nach einer kurzen Ruhepause setzte er seine Reise in den Peloponnes fort.

Athen, 15. Mai: Ich werde mir nun drei volle Ruhetage gönnen, was mir sehr gut tun wird, obwohl ich durch die Reise keineswegs erschöpft bin. Ich war an manchen Tagen eher ermüdet als an anderen, aber nicht in zunehmendem Maße ermüdet: Wenn ich lange zu Fuß gehen konnte, bevor ich überhaupt erst geritten bin, wurde ich eigentlich gar nicht müde - & so war es auch, wenn das Land viel Traben und Galoppieren erlaubte. Das Sitzen im Sattel mit baumelnden Füßen, das ermüdet mich, wenn es lange dauert: aber jetzt erhole ich mich dadurch, dass ich zu Fuß gehe, was ich in Sizilien nicht so gut konnte. Meine Verdauung ist nicht ganz so schlecht, & ich hoffe, sie allmählich wiederherstellen zu können. Jetzt gerade würde eine vollkommen regelmäßige Lebensführung, wie wir sie zu Hause haben, ihr gewiss eher zusagen als Reisen. Aber allem Anschein nach hat die Lungenkrankheit am meisten von diesem Urlaub profitiert. Ich sprach bei Wyse vor & konnte ihn sehen: Er stimmte mit allem überein, was ich über die Griechen sagte, & erzählte mir vieles, was dieselbe hirnlose Dummheit & Unfähigkeit, die Mittel den Zwecken anzupassen, im Handeln ihrer Regierung zeigt, wie ich sie bei den einfachen Leuten beobachtet hatte. Ich verstehe jetzt wirklich alles, was ich in Griechenland sehe, aber ich muss sagen, dass ich jetzt wenig oder gar nicht an den Menschen hier interessiert bin. Immerhin können sie sich verbessern, wenn sie eine gute Erziehung erhalten. Wyse meint, dass die Dummheit größtenteils Faulheit ist, aber er gibt zu, dass sie dumm sind.

In Athen trennte sich Mill von seinem Begleiter und brach am 18. Mai allein zu seiner peloponnesischen Reise auf, die ihn in den ersten beiden Tagen bloß nach Megara beziehungsweise Korinth brachte. Erst am dritten Tag, seinem neunundvierzigsten Geburtstag, drang er in Neuland vor.

Tal des Stymphalischen Sees, 20. Mai: An diesem Tag vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass ich jetzt noch am Leben sein würde, erst recht nicht, dass ich meinen nächsten Geburtstag in Arkadien verbringen würde & fast 14 Stunden davon zu Fuß gehe & reite. … Ich bin froh, dass ich das hier nicht verpasst habe, da es nicht nur ganz andersartig ist als das übrige Griechenland, sondern es hier auch schönere Berge gibt. Sie treffen auf so viele sich kreuzende Gebirgszüge, dass es mir noch nicht gelungen ist, einen Überblick zu gewinnen, aber nun scheint sich uns eine sich ost- & westwärts erstreckende hohe Bergkette in den Weg zu stellen. Wir sind in einem Dorf am Ende des Tales des Stymphalischen Sees.

In zwei weiteren langen Etappen setzte Mill seine Reise gen Süden fort, fast die gesamte Länge der Halbinsel entlang, nach Sparta. Obwohl er glaubt, dünner zu sein als jemals zuvor in seinem Leben, kam er mit den Anstrengungen gut zurecht.

Vurlia, 22. Mai: [Lakonia] ist jedoch, auch wenn es anderswo überall bewundert würde, alles in allem der am wenigsten eindrucksvolle Teil Griechenlands, die Formen der Berge sind abgerundeter als sonst, & das Ganze ist durchweg eine Wildnis und sieht öde und dürr aus - schön nur, wenn ein Blick auf den Taygetos erhascht werden kann: Aber ich wurde schließlich doch belohnt mit dem schönsten Ausblick in Griechenland, zumindest wurde er durch das Licht der Abendsonne dazu, aber er muss zu jeder Tageszeit einer der schönsten sein. Ich befand mich gerade beim Abstieg zu diesem Dorf Vurlia hier (in der Nähe des alten Sellasia), das auch sehr hoch in den Bergen liegt auf der Ostseite des großartigen grünen Tales von Sparta. Die gegenüberliegende Begrenzung wird ganz vom Bergmassiv des Taygetos gebildet, worauf man von diesem Haus aus direkt blickt - & das so schön ist wie jeder beliebige Teil der Alpen & viel schöner als der Parnass oder irgendein anderer Berg, den ich in Griechenland sah. Der höchste Teil ähnelt etwas den Dents du Midi am Ende des Genfer Sees & leuchtet auch wie diese von Schnee bedeckt, aber von diesem höchsten Teil aus erstreckt es sich in einem zerklüfteten Höhenrücken oder einer Reihe von Gipfeln nach rechts und links, ganz ebenso lang wie das Montblanc-Massiv. Darunter glitzert der Eurotus - das Tal unmittelbar unter dem Dorf ist nicht zu sehen, aber darüber & darunter glitzert es wie ein Smaragd, und so auch die Berghänge, & der Blick Richtung Norden auf die Berge von Westarkadien im Licht des Sonnenuntergangs war prachtvoll - die Berge selber sehr schön - besonders einer wie eine enorme Kuppel mit kleineren Kuppeln rechts & links als Schultern. Ich werde dieses Tal morgen sehen - leider erlaubt die Zeit es mir nicht, dass ich die Nacht in Sparta verbringe & mir das Land so ansehen kann, wie ich es mir wünschen würde.

Khan von Georgitsi in Lakonien, 23. Mai:
Ich ging nach dem Frühstück nach Sparta, ein dreistündiger Fußmarsch. Das Tal verliert wie die gesamte übrige Landschaft viel durch das grelle Sonnenlicht, enttäuscht aber die von ihm geweckten Erwartungen nicht, außer dass die Berge auf der dem Taygetos gegenüberliegenden Seite verhältnismäßig fade sind. Das Ausmaß der Landschaft ist so gewaltig, dass das, was von oben wie ein großes, wenn auch unebenes Tal aussah, teilweise aus den Stützpfeilern des Taygetos besteht - einer Kette grüner Berge, die aus der großen Kette herausragen - dahinter und darüber ist eine mit Tannen bewachsene Region, & darüber dann ist die Schneeregion. Außerdem gibt es noch niedrigere Hügel entlang der Talmitte, so dass der wirklich ebene Talboden nur schmal ist - bis wir Sparta erreichen, wo diese dazwischenliegenden Hügel zu enden scheinen, & wir sehen, wie die Berge auf beiden Seiten allmählich in die langen, niedrigen Höhenrücken abfallen, die die beiden großen südlichen Vorgebirge von Malea & Matapan bilden.

Sparta selbst, ein neues Dorf, erwies sich als verhältnismäßig enttäuschend, und der einzige Eindruck, den festzuhalten es sich lohnte, war ein Besuch bei dem dortigen etwas verwestlichten Richter. Mit der erneuten Wendung nach Norden, das Eurotas-Tal hinauf ins Landesinnere, wurde die Ungezieferplage zu einem ernsten Problem:

Konstantinos in Messenien, 25. Mai:
Ich schreibe Dir auf dem üblichen großen Heuboden, von Flöhen gequält - die in Sizilien waren nichts im Vergleich dazu, die hier sind so zahlreich, & ihr Stich ist so schmerzhaft. Die Leute bewahren leider ihre Wolldecken etc. hier auf, was für meine Leiden sorgt. Seit ich den letzten Satz begann, fing ich einen, der dabei war, in mein Nasenloch zu gelangen. Sie bewegen sich schneller vom Fußboden zu mir hoch, als ich sie fangen könnte, auch wenn ich nichts anderes zu tun hätte. Ich muss von zwei Tagen berichten. Von Lakonien nach Messenien gibt es zwei Wege: der eine durch eine Schlucht des Taygetos hoch & durch eine auffallende Kluft in dem Höhenrücken nach Kalamata: Die Engländer in Athen haben alle diese Route empfohlen, die die kürzeste, aber auch die schwierigste ist. Der Führer erklärte jedoch, dass Pferde ihn nicht begehen könnten -Maultiere müssten in Sparta gemietet werden & die Pferde den Umweg machen - was Kosten & verlorene Zeit verursachen würde, & obwohl ich den Verdacht habe, dass der Führer diese Hindernisse selbst erfunden hat, verzichtete ich auf meinen ursprünglichen Plan. (Die Flöhe greifen jetzt in Marschkolonnen an & feuern gleichzeitig auf viele meiner Körperteile.) Der andere Weg führt um die äußersten nördlichen Ausläufer des Taygetos herum, & ihn schlugen wir am 23. ein & erreichten am 24. unser Ziel.

Für den Abstecher nach Messenien auf dieser zweiten, eher umständlichen Route brauchte Mill insgesamt vier Tage, wobei die Flohplage mit jeder Nacht schlimmer wurde: Von dort reiste er weiter Richtung Norden durch Lakonien und wurde allmählich des Reisens überdrüssig; selbst seine letzte Besichtigung, die Olympias an dem Tag, bevor er den Hafen von Pyrgos erreichte, vermochte nicht, seinen schwindenden Elan neu zu beleben. Von Pyrgos aus fuhr er mit einem Schiff weiter zu der britischen Insel Zakynthos, seinem ursprünglichen Einschiffungshafen.

Zakynthos, 29. Mai: Unser Boot war eines mit Deck, zwei Masten & vier großen Rudern; & eine Öffnung darunter, die gerade genug Raum bot, damit ich mich dort hinlegen konnte, & ich ging bei Anbruch der Nacht schlafen - & obwohl die Flöhe im Boot oder in meinen Kleidern oder in beidem die ganze Zeit überall auf meinem Körper umherrannten & mich gestochen haben, ließ mich meine Müdigkeit sehr fest schlafen, auch wenn ich mich erinnere, oft wach geworden zu sein und mich mit ihnen herumgeschlagen zu haben. Als ich schließlich heute Morgen um halb sechs aufwachte, sah es so aus, als ob wir fast angekommen wären, aber da eine fast vollkommene Windstille geherrscht hatte, hatten sie die ganze Nacht rudern müssen. Wir kamen nicht vor acht Uhr an. Obwohl das Gasthaus hier eher ärmlich ist, bedeutet es nach meinen vorigen Unterkünften vollkommenen Luxus für mich. Ich wusch mich gründlich & zog mich bequem an, dann frühstückte ich ausgiebig, was mir nicht die geringste Unannehmlichkeit bereitete, aber es ist hier so heiß, dass ich kaum nach draußen gegangen bin, außer zur Bank. Die Luft war wie üblich so diesig, dass die Küste Griechenlands nicht zu sehen war, als ich an Land ging, aber ich werde sie vielleicht von dem Burgberg aus sehen, auf den ich in der kühlen Abendluft steigen will. Die Leute hier sagen, dass der Sommer ganz plötzlich mit der Hitze begann. Der Bankier hier stellte mich im Klub vor, wo ich die neueste Galignani las: sowohl in England wie auf der Krim ist alles so unbefriedigend wie immer.

Zakynthos, 30. Mai:
Ich stieg am Abend zur Burg hinauf & sah mir gegen 7 Uhr von dort aus den Sonnenuntergang an, so viel kürzer sind die Sommertage in diesen südlichen Breiten. Die Aussicht ist sehr schön. Das Vorgebirge von Kastro Chlemoutsi auf der Morea war sehr gut zu sehen & schien ganz nahe zu sein: die Berge hinter Missolunghi & die von Arkadien erschienen nur verschwommen in der dunstigen Ferne. Lebe wohl also, schönes Griechenland - schöner, als ich es je erwartet hätte, aber so schön du auch bist, ich möchte dich nie wiedersehen - denn ich möchte nie wieder eine so lange Reise ohne meine innig Geliebte unternehmen, & das Land wird sich dazu nicht eignen, von ihr besucht zu werden, solange wir noch leben. Was für eine Freude, etwas zu sehen, das den Eindruck von Zivilisation erweckt.

zu Teil 3
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