Vorgeblättert

Leseprobe zu Alaa al-Aswani: Der Jakubijan-Bau. Teil 2

18.01.2007.
Es ist Sonntag. Die Läden in der Sulaiman-Pascha-Strasse sind geschlossen. Die Bars und die Lichtspielhäuser füllen sich mit Besuchern. Die finstere, leere Strasse mit ihren geschlossenen Läden und den altmodischen Gebäuden im europäischen Stil sieht aus wie die Kulisse zu einem romantisch-sentimentalen Film. Gleich zu Beginn des Tages hat al-Schasli, der alte Türhüter, seinen Stuhl vom Aufzug auf den Gehweg vor den Jakubijan-Bau geschleppt, um das Kommen und Gehen der Menschen zu beobachten.
     Kurz vor Mittag kam Saki Bey al-Dassuki in sein Büro, und Abascharon, der Bürodiener, wusste sofort, worum es ging. Nach zwanzig Jahren in Saki Beys Diensten erfasst Abascharon auf den ersten Blick, was es mit seinem Herrn auf sich hat. Er weiss, was es bedeutet, wenn dieser ausnehmend elegant gekleidet ins Büro kommt, wenn ihm eine Wolke von dem teuren Parfüm voranschwebt, das er für besondere Gelegenheiten reserviert hält. Er weiss auch, was es bedeutet, wenn er unruhig und angespannt ist, sich ständig setzt und wieder aufsteht und nervös hin und her geht, ohne sich auf etwas konzentrieren zu können, und dabei seine Unruhe hinter Ruppigkeit und Brüskheit verbirgt. Das bedeutet immer, dass der Bey einer ersten Begegnung mit einer neuen Bekanntschaft entgegensieht. Aus diesem Grund nahm Abascharon es ihm auch nicht übel, als er ihn völlig grundlos anschnauzte. Er bewegte nur verständnisinnig den Kopf und beendete rasch die Reinigung des Salons. Danach packte er seine Krücken und klackte kräftig und rasch davon über den Fliesenboden des langen Gangs zu dem grossen Zimmer, in dem der Bey Platz genommen hatte, und fragte mit einer Stimme, die völlig neutral klingen zu lassen ihn die Erfahrung gelehrt hatte: "Haben Exzellenz ein Treffen? Soll ich alles Nötige richten?"
     Der Bey blickte zu ihm hin und betrachtete ihn kurz, als überlegte er, welcher Ton für die Antwort angemessen sei. Er schaute auf seine gestreifte Flanellgallabija, die an mehr als einer Stelle dünngescheuert war, auf seine Krücken, sein amputiertes Bein und sein Altmännergesicht mit den weissen Bartstoppeln am Kinn, seine schmalen, schlauen Augen und dieses liebedienernde, verschüchterte Lächeln, das ihn niemals verliess.
     "Ja, richte alles Nötige für ein Treffen, und zwar rasch", sagte der Bey kurz angebunden und trat auf den Balkon. Im Wörterbuch der beiden Männer heisst "Treffen", dass der Bey eine gewisse Zeit allein mit einer Frau im Büro verbringen wird. "Alles Nötige" bezeichnet verschiedene Rituale, die Abascharon für seinen Herrn unmittelbar vor der Liebesbegegnung abwickeln muss: angefangen mit einer importierten Tri-B-Spritze, die er ihm ins Gesäss verabreicht und die den Empfänger jedesmal so schmerzt, dass er laut aufstöhnt und Flüche auf Abascharon ausgiesst, diesen Esel mit seiner brutalen, klobigen Pranke. Diesem ersten Ritual folgt eine Tasse zuckerlosen Bohnenkaffees mit einer Prise Muskatnuss, die Saki Bey in aller Ruhe schlürft und dazu unter der Zunge ein Stückchen Opium zergehen lässt. Den Abschluss bildet ein grosser Teller mit rohem Gemüse, der mitten auf den Tisch gestellt wird, daneben eine Flasche Whisky, Marke "Black Label", zwei Gläser und ein bis zum Rand mit Eiswürfeln gefüllter metallener Champagnereimer. Abascharon nahm die Vorbereitung von "allem Nötigen" in Angriff, während Saki Bey auf dem Balkon sass, der auf die Sulaiman-Pascha-Strasse geht, sich eine Zigarette anzündete und die Passanten betrachtete. Seine Gefühle schwankten zwischen jäher ungeduldiger Erwartung dessen, was da erfreulicherweise kommen sollte, und der quälenden Sorge, Rabab, das Ziel seiner Liebeswünsche, könnte das Rendezvous platzen lassen, womit der Eifer, mit dem er sie einen Monat lang verfolgt hatte, umsonst gewesen wäre. Seit er sie zum erstenmal in der Cairo-Bar am Taufikjaplatz gesehen hatte, wo sie als Hostess arbeitete, war er ihr mit Haut und Haaren verfallen. Sie faszinierte ihn so sehr, dass er begann, die Bar täglich aufzusuchen, nur um sie zu sehen. "Sie verkörpert die Schönheit des Volkes - ist ordinär und aufreizend", beschrieb er sie einem alten Freund. "Sie sieht aus, als wäre sie direkt einem Bild von Machmud Said entstiegen." Dann wurde er noch deutlicher. "Erinnerst du dich an jenes Hausmädchen bei euch, das deine Sexträume als Halbwüchsiger bestimmte? Mit ihrem weichen Hintern, an den dich zu drücken dein heissester Wunsch war, und mit ihren grossen, frischen Brüsten, die du in die Hand nehmen wolltest, während sie am Spülstein das Geschirr abwusch? Bei der du immer hofftest, sie würde sich noch weiter nach vorn beugen und du könntest dich noch fester an sie drücken, während sie aufregend ablehnend flüsterte: ?Aber nein, mein Herr, das geht doch nicht?, bevor sie dir nachgäbe? In Rabab bin ich genau auf einen solchen Schatz gestossen."
     Aber auf einen Schatz zu stossen heisst nicht notwendigerweise, seiner habhaft zu werden. Um Rababs, seiner Angebeteten, willen sah sich Saki Bey gezwungen, so manche Mühsal auf sich zu nehmen. Ganze Nächte verbrachte er in einem engen, schmutzigen, schlecht erleuchteten und miserabel belüfteten Ort wie der Cairo-Bar, wo ihn das Gedränge und der dicke Zigarettenrauch fast ersticken und der Lärm aus dem Lautsprecher fast taub werden liess, der pausenlos ordinäre und billige Lieder plärrte; dazu kamen die aggressiven Streitereien und die tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Gästen des Etablissements, einer Mischung aus Handwerkern, zwielichtigen Gestalten und Treibgut aus aller Herren Länder, und die Gläser mit schlechtem Brandy, der ihm im Magen brannte und den er doch allnächtlich hinunterkippen musste; ausserdem die haarsträubenden Fehler auf der Rechnung, die er nicht nur übersah, sondern sogar noch ein üppiges Trinkgeld fürs Geschäft hinlegte und ein weiteres Rabab in den Ausschnitt steckte. Wenn seine Finger dabei ihre vollen, wogenden Brüste berührten, jagte es ihm das heisse Blut durch die Adern, und eine drängende
Sehnsucht bemächtigte sich seiner, die, heftig und unerbittlich, schon fast schmerzte. All das ertrug Saki Bey um Rababs willen, und Tag für Tag lud er sie ein, sich mit ihm ausserhalb des Etablissements zu treffen, was sie immer kokett ablehnte. Doch er liess sich in seiner Hoffnung nicht beirren und wiederholte unermüdlich seine Einladung, bis sie schliesslich einwilligte, ihn in seinem Büro aufzusuchen. Daraufhin steckte er ihr, überglücklich und ohne spätere Reue, eine Fünfzigpfundnote in den Ausschnitt, was sie ihm so nahe brachte, dass ihr Atem auf sein Gesicht traf. Dabei biss sie sich auf die Unterlippe und flüsterte mit einer Stimme, die ihn völlig aus der Fassung brachte: "Morgen, Gnädigster, werde ich dich für alles belohnen, was du für mich getan hast."
     Saki Bey ertrug die schmerzhafte Tri-B-Spritze, er liess das Opium zergehen und trank in aller Ruhe das erste Glas Whisky. Diesem liess er ein zweites folgen, dann ein drittes, und so entspannte er sich alsbald. Völlig locker sass er da, und die Gedanken tändelten freundlich in seinem Kopf wie sanfte Melodien. Rabab sollte um ein Uhr kommen. Als die Wanduhr zwei schlug, hatte Saki Bey die Hoffnung fast schon aufgegeben, doch plötzlich hörte er das Klopfen von Abascharons Krücke auf dem Fliesenboden im Gang. Gleich darauf erschien sein Gesicht am Türspalt, und er verkündete, aufgeregt, als ob ihn die Nachricht persönlich glücklich machte: "Madame Rabab ist eingetroffen, Exzellenz."

Leseprobe Teil 3

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