Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey

Gekränkte Freiheit

Aspekte des libertären Autoritarismus
Cover: Gekränkte Freiheit
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783518430712
Gebunden, 480 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Der libertäre Autoritarismus, so Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, ist eine Folge der Freiheitsversprechen der Spätmoderne: Mündig soll er sein, der Einzelne, dazu noch authentisch und hochgradig eigenverantwortlich. Gleichzeitig erlebt er sich als zunehmend macht- und einflusslos gegenüber einer komplexer werdenden Welt. Das wird als Kränkung erfahren und äußert sich in Ressentiment und Demokratiefeindlichkeit. Auf der Grundlage zahlreicher Fallstudien verleihen Amlinger und Nachtwey dieser Sozialfigur Kontur. Sie erläutern die sozialen Gründe, die zu einem Wandel des autoritären Charakters führten, wie ihn noch die Kritische Theorie sich dachte. Die Spätmoderne bringt einen Protesttypus hervor, dessen Ruf nach individueller Souveränität eine Bedrohung ist für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen: die Verleugnung einer geteilten Realität.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.01.2023

Rezensent Jens-Christian Rabe empfiehlt das Buch von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey all jenen, die sich für aktuelle gesellschaftspolitische Konflikte interessieren und eigene oder fremde Vorurteile vermeiden wollen. Was die Autoren "libertären Autoritarismus" nennen und als solchen analysieren, kennt Rabe selbst aus seiner eigenen Umgebung und jeder andere auch, wie er mutmaßt. Dass die Autoren dieses Phänomen aus dezidiert linkem Blickwinkel betrachten, entgeht Rabe nicht, ebenso wenig wie spannend das Buch ist, immerhin eine gewichtige sozialwissenschaftliche Studie. Eine willkommene Reflexion über Freiheit bietet das Buch darüber hinaus, so Rabe.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2022

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler liest Carolin Amlingers und Oliver Nachtweys Handreichung zum Verständnis der "libertären Autoritären" mit Interesse. Charmant findet er, wie die Autoren die Überlegungen der Kritischen Theorie zum autoritären Charakter nachzeichnen und zugleich Gespräche mit "Querdenkern" analysieren, um eine Unterscheidung zwischen libertären Autoritäten und den führerfixierten autoritären Charakteren zu treffen, an denen sich die Kritische Theorie abarbeitete. Stark findet Münkler die Interviews und die Milieubeschreibungen, weniger überzeugend die Herleitung des libertär autoritären Typus'.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 22.11.2022

Instruktiv und lesenswert findet Rezensentin Anne-Kathrin Weber diese Studie zum Typus des Querdenkers, der sich oft nach einem Knick in der Biografie offenbart. In Anlehnung an die Schule der Kritischen Theorie erkennen die beiden Basler Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey im Querdenker die typischen Merkmale eines autoritären Charakters - Aggression, Destruktiviät und Aberglaube -, auch wenn er nicht mehr einer Führerfigur folge, sondern einer übersteigerten Vorstellung von individueller Autonomie. Interessant findet Weber das, überzeugend auch die Ausführungen der beiden Autoren zu der vereinfachten Idee von Freiheit, die sich nicht mehr gegen das staatliche Gewaltmonopol abgrenzt, sondern gegen staatliche Normen insgesamt. Mitunter findet sie die Studie etwas polemisch, aber insgesamt überzeugen sie die empirisch gestützten Befunde und Überlegungen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.11.2022

Die Kritik an dem Buch "Gekränkte Freiheit. Aspekte des Libertären" von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey kann Rezensent Jens Buchholz absolut nicht verstehen. Der Band ist für ihn das Fundierteste und Klügste, um die sogenannten Querdenker zu verstehen. Die beiden Soziologen hätten vier Jahre lang geforscht und könnten mit ihren repräsentativen Daten erklären, wie aus tief im Herzen gekränkten Menschen libertäre Autoritäre wurden, die das Gefühl von Kontrollverlust mit Irrationalismus zu kompensieren versuchen. Dass Amlinger und Nachtwey in ihrer Deutung der Fakten die Theoreme der klassischen Frankfurter Schule weiterentwickeln, ist für Buchholz zum Niederknien.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 16.11.2022

Der hier rezensierende Unternehmer Christian Marty fasst das Buch des Autorenduos Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey mit spitzen Fingern an. Er spürt "German Angst" durch die Seiten wehen. Dass deutschen Sozialwissenschaftlern die "negative Freiheit" nicht viel bedeutet, also die Freiheit von Einschränkungen, das weiß er schon, bei ihnen muss es immer eine positive "Freiheit zu etwas" sein. Auch wenn Marty zugeben muss, dass das Buch durchaus empirisch gehaltvoll und theoretisch originell ist, geht es ihm gegen den Strich. Was soll das Problem daran sein, dass Menschen die "individuelle Freiheit" über alles stellen? Warum muss sie mit Solidarität einhergehen? Marty ist die angelsächsische Tradition des Liberalismus lieber, zum Beispiel Isaiah Berlin.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 22.10.2022

Rezensentin Novina Göhlsdorf ist etwas hin und hergerissen bei Carolin Amlingers und Oliver Nachtweys Buch über die Ursprünge der Querdenker-Szene, die sie mit dem Begriff des "libertären Autoritarismus" zu fassen versuchen. So sei es einerseits fraglos sehr aktuell und wichtig, was die Literatursoziologin und der Soziologe machen: nämlich zeigen, dass das "Abdriften" in die Sphäre der Verschwörungstheorien kein Irrweg Einzelner ist, sondern als Symptom beziehungsweise gerade logische Konsequenz der spätkapitalistischen, individualistischen Modernisierung begriffen werden muss - was die Autoren erst einmal theorieträchtig und anspruchsvoll herleiten, so Göhlsdorf. Ergänzt werde das aber durch empirische Studien, die Amlinger und Nachtwey an Querdenkern erhoben haben, um Motivationen und Muster aufzudecken; und hier ist sich die Kritikerin nicht mehr ganz sicher, ob der Abstand zwischen intellektueller Analyse und den analysierten "Gegenständen" nicht doch zu groß wird. Potenzial, zukünftigem Querdenkertum entgegenzuwirken, birgt das Buch für sie trotzdem.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.10.2022

Rezensent Robert Misik versteht die Welt nicht mehr: Ob Querdenker, putinfreundlicher Pazifismus und ähnliche Absonderlichkeiten - nicht selten sind es Leute, die zumindest äußerlich der linken Subkultur entsprungen scheinen, aber ordentlich mittun, wenn es darum geht, Seite an Seite mit klassischen Rechten schwurbelnden Protest auf die Straßen zu tragen. Das paradoxe Phänomen wird für ihn mit Carolin Amlingers und Oliver Nachtweys reich unterfütterter, soziologischer Studie zumindest ein bisschen begreiflicher: War der "autoritäre Charakter" in Adornos berühmter Studie einst noch ein aggressiver Konformist, ist es heute ein sich aus der aggressiven Abgrenzung von der Gesellschaft speisender Individualismus, der die Revolte bedingt: Machtskepsis pervertiere zum "destruktivem Dauerdagegensein" und Rebellentum vermenge sich über die Zutaten Kraftmeierei, Aberglaube und Verschwörungsdenken zu einem handfesten Autoritarismus, narzisstische Ich-Bezogenheit münze sich um in Groll bei geringen Anzeichen krisenhafter Erschütterungen. Manches erinnert den Rezensenten da an Muster der linken Szene, "nur: mit all ihren Lastern und keiner ihrer Tugenden".