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Melanie Möller

Der entmündigte Leser

Für die Freiheit der Literatur. Eine Streitschrift
Cover: Der entmündigte Leser
Galiani Verlag, Berlin 2024
ISBN 9783869713021
Gebunden, 240 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Literatur muss frei sein, wild, darf böse sein und muss auch weh tun können, sonst verliert sie ihren Reiz, sagt Melanie Möller. Sie muss ein Freiraum bleiben für ungeschützte Gedanken und scharfe Worte. Dafür liefert die Autorin einen wilden Ritt durch mehrere Jahrhunderte Literaturgeschichte im Kampf für die Freiheit des Worts.  Bibelverbot für Schulen in Utah, Verbannung von Klassikern aus Lehrplänen und Schulbüchern, glättende Übersetzungen, zensierte Klassiker, politisch korrekte Vorgaben für Literatur, Sensitivity-Reading, Triggerwarnungen, Verbot 'schwieriger' Vokabeln: Ein Verhängnis!, sagt Melanie Möller und warnt davor, den Leser zu unterschätzen. In Sachen Kunst darf es keine Abstriche geben. Wer verwässert, entmündigt den Leser - und der ist schlauer, als man denkt.  "Was fehlt, ist ein leidenschaftlicher Kampf für die Autonomie der Literatur, der diese schützt wie eine bedrohte Minderheit - und zwar kompromisslos", so die Autorin. Melanie Möller führt ihn.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.04.2024

Die Altphilologin Melanie Möller hat ein Buch über ein Thema geschrieben, das schon lange die Medien beherrscht: Um "Cancel Culture" in der Literatur geht es ihr, sie stellt dabei stets zwei Autoren oder Autorinnen gegenüber, "die es in Sachen Amoral in sich haben", erklärt Rezensent Paul Jandl. Sappho und Astrid Lindgren präsentiert Möller zum Beispiel als zwei "starke Frauen" der Literatur und ärgert sich über jenen "woken Mob", der beispielsweise das N-Wort aus Kinderbüchern streichen möchte, so der Kritiker. Jandl hätte sich gefreut, wenn die Autorin noch expliziter klargemacht hätte, dass Zensur auch immer "Selbstentmündigung" ist und ja eben auch bedeutet, sich selbst keine kritische Lesekompetenz zuzutrauen. Ein wenig Weltfremdheit attestiert Jandl der Autorin in Bezug auf den Bildungshintergrund der Leser, wo er das echte Problem ausmacht, das Möller vernachlässigt: Viele haben überhaupt keine literarische Bildung mehr, stattdessen nur starke Meinungen.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 13.04.2024

Die Altphilologin Melanie Möller schreibt in ihrem Buch über Zensur und Cancel Culture in der Antike und heute, berichtet Rezensent Mladen Gladic. Um Ovid, seine Metamorphosen und seine Verbannung ins Exil  geht es ebenso wie um Annie Ernaux und Louis-Ferdinand Céline und um die Fragen nach Machtgefällen und "Grausamkeiten, die da begangen  werden, als sei gar nichts dabei", erfahren wir. Nicht so recht  nachvollziehen kann Gladic, wieso Möller der Meinung ist, Literatur sei heutzutage ständig vom Canceln bedroht, Beweise führt sie dafür nicht an, das mindert die Qualität dieser Überlegungen, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 12.04.2024

Für den Rezensenten Jörg Magenau ist Melanie Möller als Altphilologin geradezu prädestiniert dazu, die Cancel Cultur zu kritisieren. Schließlich weiß sie genau über die Wandelbarkeit moralischer Sichtweisen und die Zeitgebundenheit von Texten Bescheid, meint er. Wenn Möller also  für eine unverfälschte Textgestalt eintritt, egal ob bei Koeppen, Lindgren, Homer oder Kleist, wenn sie Wokeness in diesem Bereich mit Zensur vergleicht, spitzt Magenau die Ohren. Möllers Argument, Abgründe und Ambivalenzen gehören zum Leben wie zur Literatur dazu, kann er verstehen.

Buch in der Debatte

Efeu 27.05.2024
Letztes Jahr diskutierten die Feuilletons darüber, ob Charlotte Gneuß' in ihrem Roman "Gittersee" die DDR historisch akkurat dargestellt hat. Der zweite große DDR-Roman jener Saison war Anne Rabes "Die Möglichkeit von Glück", an dem der Literaturprofessor Stefan Müller nun in der Berliner Zeitung scharfe Kritik übt. Rabes These, dass die DDR-Gesellschaft einen ausgeprägten Hang zu einer gewaltvollen Erziehung und sozialer Kälte hatte, wodurch sich etwa rechtsextreme Exzesse im Osten seit der Wiedervereinigung und bis zur Gegenwart erklären ließen, hält er für nicht stichhaltig: "Viele Details, die zeigen, wie schlimm es damals war, waren im Westen genau so. Die Trennung von Mutter und Kind direkt nach der Geburt, die Isolation der Kinder, damit sie durchschlafen lernen. ... Die Prügelstrafe in Schulen wurde in der DDR ab 1949 abgeschafft. In der BRD war sie auch 1973 noch erlaubt, in Bayern sogar bis 1983. Erst jetzt wird die physische und psychische Gewalt in den zum Teil kirchlichen Heimen der Kinderlandverschickung im Westen aufgearbeitet. ... Eine Studie der Universität Leipzig aus dem Jahre 2021 mit 5836 Teilnehmern hat gezeigt, dass emotionale Vernachlässigung, emotionale, physische und sexuelle Gewalt im Westen weiter verbreitet waren als im Osten. Wäre diese Studie in den gängigen Medien diskutiert worden, wäre Anne Rabes Buch vielleicht nie erschienen." Unser Resümee