Vorworte

Leseprobe zu Eve Langleys "Pea Pickers"

Über Bücher, die kommen.

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Die folgende Passage schildert Steves und Blues erste Fahrt nach Gippsland und die Begegnung mit ihrem Arbeitgeber, dem Obstbauern Nils Desperandum. Mit ihren Ausschlägen ins Lyrische und ins Surreale bringt die farbenreiche Prosa alle Facetten von Langleys schriftstellerischem Können zum Leuchten.


Irgendwann auf der Reise erwachte plötzlich mein ererbter Gippsland-Geist. Er unterschied sich vollkommen von meinem Dandenong-Geist. Ein süßer Schauer war über dem Land niedergegangen, durch das wir an jenem heiteren Morgen reisten, und zu meiner Linken sah ich einen Berghang mit Feldern von solch einer Tiefe und Farbe … solches Blau, solches Violett, Böden von Braun und Rot, gelber Lehm, schwarzer Malm und grauer Ton …, dass ich beinahe enttäuscht war, weil der Bauer, der auf seinen Stiefelkanten dem Pflug hinterherschlurfte, sich nicht samt seinem Pferd in ein Chamäleon verwandelte.

Ich schaute zu Blue, die am anderen Ende der schwankenden Bank saß und Geige spielte, von der man aber nicht einen Ton vernehmen konnte, weil wir durch Hügel brausten, die ebenso wild rauschten wie der Zug. Doch ich fand Trost in ihrem Anblick, und wenn, so wie ich glaube, jede schöne Erinnerung den Teil des Gehirns, in den sie eindringt, verfestigt und unsterblich macht, dann wird dieser millionste Teil meines Ichs für alle Ewigkeit bestehen … denn Blues großer, schöner Kopf sah an diesem Morgen genauso aus wie der Kopf unseres Vaters.

An jedem Bahnhof stiegen weitere Männer und Frauen in den Zug ein. Die Frauen trugen große Bündel von rosa, weißem und rotem Heidekraut, die Männer trugen ihre Mäntel über der Schulter, wie Männer, die aus den Bergen kommen. Dies ist das untrügliche Zeichen der wahren Gippslander, vor allem derer aus dem Gebiet um Warragul herum, dem Land des australischen Wildhundes. Das Gebiet, durch das wir brausten, glich einem nicht enden wollenden Flickenteppich, Wind und Wetter ausgesetzt, und an den Stellen, an denen ein Flicken gerissen war, blitzte der wunderschöne Körper hindurch, huschte silber-glänzend an uns vorbei. Das war der Regen. Er vereinigte sich mit den Flüssen in trauter Einheit, die Weiden ringsum versuchten, mit ihren grünen Fäden die zerbrochenen Zäune zusammenzuhalten.

Nur den Augen von Kindern und Dichtern ist es gegeben, die wilden Dingos, die über dieses Land fliegen, wahrzunehmen. Als ein Gewimmel von Leibern und Beinen, von Zähnen und Zungen, schwarz und scheckig, weiß und rot, gelb und falb, folgt die wilde Jagd der Hunde alle Zeiten dem Zug bis zu den Erfrischungsräumen in Warragul. Sie blickten auf, wenn sie neben dem Zug herrasten, und zeigten das Weiß in ihren Augen. Manchmal wurden sie zu hochgewachsenen Männern, die auf ihre Schaufeln gestützt etwas Unverständliches riefen.

"Huii!", wurden sie zu weißen Gattern und Einfahrtstoren. Und "Wusch!", zu den ersten Häusern vor der Stadt; dann, mit millionenfachem Knurren und gefletschten Zähnen und mit sich kräuselnden, dampfenden und schnaubenden Schnurrbärten mutierten sie zum Bahnhof, zu klirrenden Tassen im Erfrischungsraum, wo ein hochwirksames Rauschmittel in den Tee und den Kaffee geträufelt wurde.

Wir betraten den Raum und waren augenblicklich berauscht. Denn es braucht nur wenig, um diejenigen, die durch Gippsland reisen, in einen Rausch zu versetzen. Wir konnten uns dem gar nicht entziehen, als wir auf dem Bahnsteig von Warragul landeten, denn sogleich waren wir erfüllt von den Ausdünstungen des berühmten blauen Lehms, des gelb und rot durchzogenen Tons, der roten eisenhaltigen Erde und dem Kies, den Quarzkieseln und -brocken, dem blauen und weißen Ton und der Pfeifenerde.

Vollkommen entrückt und entzückt, fügten wir noch eine Prise jenes Opiats hinzu, das in den klirrenden, weißen Tassen zu finden war, in jedem einzelnen Kaffee, in den fliegenden Löffeln und in den frisch gestärkten Kappen der Kellnerinnen, und so taumelten wir hinaus, um die Abfahrt des Zugs nicht zu verpassen, in heiterem Drogendusel.

Der Schaffner - Glocke in der Hand, Pfeife im Mund und Flagge im Auge - schickte unseren seufzenden und keuchenden Zug immer tiefer hinein ins Gippsland.

Schließlich erreichten wir am ausgedörrten Nachmittag die Stadt Moe, das äußerste Tor zum Gippsland. Ach, jetzt waren wir unserem gelobten Land ganz nah, jenem Land, das wir wie in einer Blase auf den Hügeln liegen sahen, als wir eines Morgens in die roten und violettfarbenen Weiden von Wandin Yallock hinunterfuhren.

Aus dem Staub erhob sich urplötzlich der Bahnhof und auf dem kupferfarbenen Kies des Bahnsteigs erschien ein alter Gippslander, groß und dünn, mit langem Schnurrbart; um seinen Hut herum eine Schlangenhaut, mit kleinen, metallisch-glänzenden Schuppen und mit Augen, die sich in den weit entfernten Hügeln verloren.

Nicht weit vom Tor stand eine wunderschöne Frau mit nackten Armen und vollem schwarzem Haar, und es schien, als hätte dieses kilometerweit die Straße bedeckt und wäre just in dem Moment abgeschnitten worden, als wir vorbeikamen. Die Frau schaute auf alles rundherum, nur nicht auf den Zug. Bereitzustehen, wenn ein Zug ankommt und alles genau zu beobachten, gehört zu den Gewohnheiten der Frauen in Gippsland, und sie gehen dieser mit einer Art religiöser Pünktlichkeit und Intensität nach. Es ist eine Form der Anbetung unter den jungen und unverheirateten Frauen: Sie setzen ihren Körper Zuschauern aus, die sie bewundern, während sie mit verschleiertem Blick ihr Umfeld in Augenschein nehmen.

In Moe stiegen viele Passagiere aus, andere stiegen ein. Abreisende wurden von Frauen unter schwarzen Netzschleiern beweint, die dicke, pelzige Insekten auf Nase und Wangen trugen, und als die Klagenden gegangen waren, setzten sich die neuen Reisenden in die heißesten Ecken des Waggons, starrten auf ihre neuen staubigen Stiefel und waren beunruhigt und erschrocken über den Anblick ihrer verwilderten Hände auf dem Stoff ihrer neuen Hosen.

Die Löscheimer entlang der Bahnhofsmauer verwandelten sich in einen Mann, der nackt in einem blutroten Sarg lag, und die große Glocke an der Grenze zum Gippsland lief am Zug entlang, sich selbst läutend, und rief …

"O hinein mit euch ins Gippsland! Denn es ist alles zu Ende und eure Jugend ist vorbei. O lasst euch zermalmen im Lande von Gippsland, denn dort gibt es keine Liebe. Die Arbeit dort ist nicht süß, die Zeit ist nicht zurückzugewinnen und es wird auch keiner dort sterben. Und doch ist alles vorbei!"

Die Pfeife, an der der Schnurrbart des Bahnhofsvorstehers hing wie ein Fellbeutel, pfiff das Lied von Gippsland, und von der Fahne tropfte Blut. Sie hing flatternd an seinen Schultern, wie eine Harpyie, und schrie, dass wir niemals als Menschen aus Fleisch und Blut aus dem Gippsland zurückkehren sollten.

Dann bewegte sich der Zug auf mysteriöse Weise rückwärts auf der Strecke, auf der wir zuvor gekommen waren. Er glitt seitwärts ab und wurde emporgehoben, um uns anschließend wie auf Flügeln geschwind ins Gippsland hineinzutragen. Die zornige Sonne des späten Nachmittags warf schattige Tigerstreifen durch die Holzlamellen der Fensterläden. Wir schoben die mit grünem Samt eingefassten Türen auf und folgten den Gängen, bis wir in einen Zugteil gelangten, der sich wie eine Ziehharmonika vor und zurück bewegte. Darüber lag eine Matte aus geflochtenen Fasern, um das Instrument vor unseren Blicken zu verbergen, doch wir konnten sein Lied dennoch hören, und bei seinen Klängen fassten wir uns an den Händen und lachten und weinten.

The strong sob of the chafing stream
That seaward fights its way
Down crags of glitter, dells of gleam,
Is in the hills today.

Während wir der Musik lauschten, fiel unser Blick auf eine Landkarte in einem Rahmen an der bebenden Wand. Auf die Haut eines totgeborenen einheimischen Bären war die Region von Gippsland gezeichnet und darauf prangte in großen Lettern "BAIRNSDALE".

"Das Tal der Kinder", sagte ich und mein Herz wurde weit und gab den Träumen, die dieser Name in mir weckte, Blut und Leben.

Dort, so glaubte ich, würden die Kinder lachen wie jene, die ihr Leben lachend beginnen, und würden weinen wie jene, die ihr Leben weinend beginnen.

"Hier ist Fernbank, davon hat uns doch Mia erzählt", sagte ich zu Blue, als ich auf die weite, grüne Schilfebene hinausblickte.

"Aber wo ist er …, der Farn?", wunderte sich Blue.

Auf der staubweißen Straße hielt an dem alten holprigen Bahnübergang ein alter Fuhrmann an. Er trieb eine lange Reihe sinnierender Ochsen vor sich her, ein schneeweißer langer Bart lag auf seiner Brust. Dieses Bild werde ich für immer in mir tragen.

Lindenow. Sehr deutsch klang dieser letzte Bahnhof vor dem Bairns-Tal, und so hätten wir hier auch einen grünen Baum erwartet. Ein alter Mann hinkte hinter dem Eukalyptus hervor. Er trug an einem dunklen, eingeölten Riemen eine Kiste um den Hals, hatte ein Holzbein und eine schwarze Augenklappe. Seine Kiste barg einige in rotes und gelbes Papier eingewickelte Giftportionen. Er bat uns inständig, diese nicht zu kaufen, und erklärte, die Götter hätten ihn nach Gippsland geschickt, um diejenigen umzubringen, die auf der Suche nach den guten alten Zeiten seien.

"Aber was ist mit Bairnsdale?", wollten wir von ihm wissen, "Wie ist es dort?"

"Eine schöne große Stadt", antwortete der alte Gippslander. Der Wind blies durch seine Takelage und sein Mast neigte sich nach vorn und er wurde fortgetragen, und klagend flötete es unter seinem Bart hervor: "Chockerlits! Erdnüsse!"

Der Zug brannte sich seinen Weg durch die grauen Maisfelder, sägte sich durch einen Zaun und fuhr an einem blaugestrichenen Hotel vorbei, vor dem einige Gippslander mit Zaumzeug in der Hand warteten. Dann kam ein kahles, trostloses Gewirr von Höfen, auf denen Rinder standen, die ihre feuchten Mäuler gen Himmel warfen und die Augen bis zu den Ohren rollten, oder nach hinten, dorthin, wo der Tod zwischen den Hörnern lauerte. "Vielleicht sind dies die 'bairns', die Kinder …", sagte ich.

Plötzlich tauchte aus dem unbekannten, verschwommenen Lichtermeer wie in einem Traum der Bahnhof auf, und noch heute erinnere ich mich an ihn als einen dunklen Fleck an einem noch dunkleren Ort, eingebettet in leuchtend gelben Sand. Damals war dies alles in einen Schleier der Erregung gehüllt - in der Erwartung, unbesiegbar zu sein, auf ewig jung, auf ewig schön und auf ewig ungeliebt.

Dann hinein in Bairnsdales einziges schwarzes Taxi, die Droschke, in der schon unsere Mutter vor Jahren hinter demselben Fahrer gesessen hatte, der jetzt ein alter Mann war. Die Ärmel der schwarzen Öljacken, auf denen wir saßen und deren Knöpfe sich unter uns tief in die Sitze bohrten, winkten im Wind. Mir war beklommen zumute, als wir in das Tor zum Obstbauern Nils Desperandum einfuhren, denn auf unserer Reise ins Gippsland hatte ich bemerkt, dass Blue größer geworden war, hübscher und klüger und stärker, während ich mir selbst schwach und verloren vorkam … ich fühlte mich abhängig von den Menschen um mich herum, die entschieden, was und wie ich sein sollte. Traurigkeit überkam mich. Hatte nicht die Glocke in Moe genau dies vorausgesagt? Hatten nicht die Fahne und die Pfeife es herausgeschrien? Der einzige Grund in diesem Moment für mich, weiterzuleben, war die Erinnerung an

Autumn bold
With universal tinge of sober gold.

Wer von den Gippslandern kannte das noch? Ich hatte ein kleines Buch mit Keats' Geburtstagssprüchen mitgenommen, darauf vertrauend, dass sein gesamtes Werk darin enthalten war, und immer, wenn mich jemand aburteilte, suchte ich darin Zuflucht.

Der trockene Garten hinter dem gelben Zaun war voller Cosmeen, jene Blumen, die ich vor langer Zeit als Kind einmal gestohlen hatte und für deren Diebstahl ich Peitschenhiebe hatte einstecken müssen. Augenblicklich versetzten die Blumen mich wieder in Angst und Schrecken.

Und als sich die Tür öffnete, war diese Strafe wieder da.

Mr. Nils Desperandum war ein Gippslander, der genau wusste, was er wollte. Sein Gesicht war kurz und breit und verriet ein scharfes, schroffes Gemüt: gütig zu jenen, die er kannte und verstand, doch ungeduldig mit jenen, die sich ihm entzogen - und zwar nicht durch einen Fehler seinerseits, sondern durch irgendeine unversöhnliche Wendung im Charakter des Flüchtigen selbst.

Desperandum erkannte augenblicklich, dass ich zu letzteren gehörte.

Als wir uns einander vorgestellt hatten, schaute er verwundert von einer zur anderen: "Ihr beiden sollt Schwestern sein?"

Das Zwielicht, in dem wir standen, wurde dunkler um mich herum, und ich zog mich in mein Schneckenhaus zurück, bis irgendwann in der Zukunft jene kämen, die mich verstünden und liebten.


Mit freundlicher Genehmigung des Osburg Verlags