Valentina Maria Stefanski

Zwangsarbeit in Leverkusen

Polnische Jugendliche im I. G. Farbenwerk (Einzelveröffentlichung des Deutschen Historischen Instituts Warschau Bd. 2)
Cover: Zwangsarbeit in Leverkusen
fibre Verlag, Osnabrück 2000
ISBN 9783929759433
Gebunden, 585 Seiten, 24,54 EUR

Klappentext

Die Studie stützt sich gleichermaßen auf das Werksarchiv der Bayer-AG wie auf Interviews mit über 50 Betroffenen in Polen. Entstanden ist eine facettenreiche Untersuchung, die eine differenzierte Sicht auf das Problem Zwangsarbeit eröffnet. Es wird gezeigt, wie die jungen Polinnen und Polen nach Leverkusen gelangten, auf welchen Arbeitsplätzen sie zum Einsatz kamen, wie sie untergebracht, verpflegt und medizinisch versorgt wurden. Breiten Raum nimmt die Frage ein, wie sie von Vorgesetzten, den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz sowie von den Menschen in und um Leverkusen behandelt wurden. Die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erscheinen in der Darstellung nicht nur als Opfer, sondern auch als handelnde Personen: Individuelle Strategien mussten entwickelt werden, um sich in Leverkusen zurechtzufinden und zu überleben.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.07.2000

Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre habe sich das politische Klima soweit verändert, schreibt Christian Semler einführend, dass es möglich wurde, das heikle Thema der Zwangsarbeiterschaft in deutschen Unternehmen sowohl von Historikern aufarbeiten zu lassen als auch in die Debatte um Entschädigung einzusteigen. Ein weiterer Grund liegt für Semler im Zusammenbruch der sozialistischen Regime, der es wiederum möglich machte, dass die Opfer der deutschen Kriegswirtschaft ihre Stimme erheben konnten. Aus der Vielzahl der Untersuchungen zu Zwangsarbeitern in deutschen Unternehmen hebt Semler die Studie von Valentina Stefanski hervor. Einen interessanten Nebenaspekt und Verweis auf amerikanische Firmengeschichte ergeben zwei Aufsätze der taz-Redakteurin Anita Kugler, auf die der taz-Rezensent gesondert eingeht.
1) Valentina Maria Stefanski: "Zwangsarbeit in Leverkusen. Polnische Jugendliche im I.G. Farbenwerk"
Semler zeigt sich beeindruckt von der Arbeit Valentina Stefanskis, der es gelungen sei, den Blick "von oben", d.h. offizielle Verbote und Erlasse, mit der Sicht "von unten" zu verbinden. Dafür hat die Autorin polnischer Abstammung Interviews mit rund 50 ehemaligen Zwangsarbeitern weiblichen und männlichen Geschlechts geführt. Das I.G. Farbenwerk sei nicht von exzessiver Gewaltausübung geprägt gewesen, resümiert Semler, die Berichte der einstigen Zwangsarbeiter zeugten vielmehr von der allgemeinen Erniedrigung und Armut. Je nach Persönlichkeit seien die Betroffenen sehr unterschiedlich mit den Verboten umgegangen; aber selbst die Ängstlicheren ließen es sich nicht nehmen, sich einmal vor dem Kölner Dom fotografieren zu lassen. Deprimierend findet Semler das Resümee der Zwangsverpflichteten: Viele von ihnen bedauerten trotz des erfahrenen Leids, nach 1945 nicht nach Deutschland zurückgekehrt zu sein.
2) Bernd Heyl/ Andrea Neugebauer (hrsg.): "... ohne Rücksicht auf die Verhältnisse"
Semler behandelt ausschließlich zwei Aufsätze von Anita Kugler aus dem genannten Band: ihm zufolge führt Kugler schlüssig Nachweis, dass General Motors an der Umstellung bei Opel auf Kriegsproduktion verdiente und selbst Ende 1941 über einen Bevollmächtigten Einfluss auf die Firmenpolitik nehmen konnte. Wie GM beharrte auch Ford jahrzehntelang auf der Version, mit Einsetzen des Krieges hätte die Firma alle Verantwortlichkeit an die Deutschen abgegeben. Im Fall von Ford, weiß Semler aus anderen Quellen zu berichten, wurde die Firma zwar unter Zwangsverwaltung gestellt, aber nie enteignet. Nach dem Krieg bekam der Mehrheitseigner sogar seine Dividende ausgezahlt. Beide Firmen, GM wie Ford, hatten Kenntnis davon, dass in ihren deutschen Filialen zwangsweise Kriegsgefangene und Zivilarbeiter eingesetzt wurden.
Christian Semler weiß in seinem kenntnisreichen Artikel mehr zu erzählen als die einzelnen Aufsätze und Bücher.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.06.2000

Nicht zuletzt die vielen Regional- und Lokalstudien, "in denen das Prinzip der Sklavenarbeit konkret sichtbar wurde", haben dazu beigetragen, schreibt Tilmann Bendikowski, dass es die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiter zu einer so hohen politischen Priorität gebracht hat. Die vorliegende Studie der polnischen Historikerin ist ein weiterer Mosaikstein, der das Bild vervollständigt. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen biografische Berichte, deren Mangel an Widerspruchsfreiheit aufgewogen wird durch die Eindringlichkeit der Schilderungen. Das Erleben von Hunger und Kälte, die Feindseligkeit der Umwelt aber auch heimliche Kinobesuche bis nach Köln sind ebenso eindringlich dargestellt wie das Bedauern vieler, überhaupt nach Polen zurückgekehrt zu sein. Denn die heutige materielle Not, so zitiert die Besprechung aus dem Buch, "dieser alten Menschen ist kaum zu beschreiben". Als besonders "eigentümlich" hebt Bendikowski die heimlich aufgenommenen Fotografien hervor, die ähnlich wie deutsche Propagandaaufnahmen streng inszeniert sind und ein idyllisches Bild von der Arbeit in Deutschland abgeben. "Bilderlügen" hat die Autorin diese Fotos genannt, und man hätte sich Aufklärung von Rezensent (oder Autorin) gewünscht, was die Zwangsarbeiter mit diesen Inszenierungen bezweckten. Wurden sie für die Angehörigen zu Hause vorgenommen oder für die Aufrechterhaltung der eigenen Moral? Manchmal, so bemängelt der Rezensent am Schluss, fehlt es an Klarheit, die durch mehr Strukturierung erreichbar gewesen wäre. Aber das große Verdienst dieser Arbeit sieht er dadurch keineswegs geschmälert.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de