Thomas Medicus

In den Augen meines Großvaters

Cover: In den Augen meines Großvaters
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2004
ISBN 9783421055774
Gebunden, 262 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Wilhelm Crisolli war Generalmajor der Wehrmacht und wurde 1944 von Partisanen in der Toskana erschossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwieg seine Familie über seine Person und die Gründe für die Erschießung blieben im Dunkeln, weil keiner aus der Familie an dieser Geschichte rühren wollte. Nach 1945 floh die Familie aus Hinterpommern in den Westen. Erst Crisollis Enkel, Thomas Medicus, wagt die Annäherung an den Großvater und macht schmerzliche, überraschende Entdeckungen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.06.2004

Familiengeschichten und Erinnerungsbücher zum Dritten Reich sind auf dem Buchmarkt inzwischen ein Dauerbrenner geworden und keine kurzfristige Modeerscheinung, stellt Gerrit Bartels fest und überlegt, ob es daran liegen könnte, dass Scham- und Schuldgefühle so lange unter Verschluss gehalten worden sind, dass sie nun mit aller Macht herausdrängen: bei den schreibenden wie bei den lesenden Menschen. Die Anstrengung von Thomas Medicus (Jahrgang 1953), sich der Person seines Großvaters zu nähern, der in Italien drei Menschen unter Partisanenverdacht erschießen ließ, erfährt von Bartels Anerkennung. Vor allem der sehr literarische Beginn seines Suchbildes gefällt dem Rezensenten, ein geradezu proustscher Anfang, lobt Bartels, wie sich Medicus in "Zeitschleusen und Zeitkapseln" begebe, um sich über allerlei Umwege seiner ostelbischen Herkunft und der Person seines in beiden Weltkriegen kämpfenden Großvaters zu nähern. Allerdings ringe auch Medicus schwer mit der schuldhaften Verstrickung seines Vorfahren, konstatiert Bartels, suche nach möglichen Entlastungen, um am Ende vor dem Zeitabstand zu kapitulieren. Ein gutes Buch, lobt Bartels, gerade weil es "literarischen Mehrwert" habe.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.06.2004

Sabine Fröhlich ist angesichts dieses Buches, in dem der Journalist Thomas Medikus versucht, die Geschichte seines Großvaters während des zweiten Weltkriegs zu rekonstruieren, etwas unbehaglich zumute. Der Großvater war General im Zweiten Weltkrieg und war möglicherweise an Kriegsverbrechen beteiligt, fasst die Rezensentin zusammen. Mittels Recherchen, fiktiven Monologen und einer intensiven Selbstbefragung versucht der Autor, diesem in der Familie totgeschwiegenen Großvater auf die Spur zu kommen, so Fröhlich weiter. Sie bemerkt angetan, dass sich Medicus nicht als "Richter", sondern als "Ermittler" der Figur des Generals zu nähern versucht und sich dabei nicht zum moralischen "Ankläger" macht. Was die Rezensentin an dem Buch irritiert, sind die unkommentiert stehen bleibenden fiktiven Monologe des Generals. Am Ende seiner Recherchen kommt der Enkel zu dem "lapidaren Befund", dass die Geschichte seines Großvaters sich nicht eindeutig interpretieren lässt und keinerlei "politische oder ethische" Schlüsse zulässt, so die Rezensentin nicht überzeugt. Einen etwas wacheren "Kritiker" hätte sich Fröhlich schon gewünscht, genauso wie sie es gut gefunden hätte, wenn Medicus in seinem Buch zumindest die Frage aufgeworfen hätte, was der General von den Wehrmachtsverbrechen wusste, auch wenn seine persönliche Beteiligung anders aussah, als zunächst vermutet.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.03.2004

Bernd C. Hesslein kann sich mit diesem Buch, in dem sich Thomas Medicus mit der militärische Biografie seines Großvaters in der Wehrmacht auseinandersetzt, nicht anfreunden. Das "literarisch ambitionierte" Anliegen des Autors ist es, den Vorwurf zu untersuchen, sein Großvater General Wilhelm Crisolli sei an Wehrmachtsverbrechen beteiligt gewesen. Dabei versucht er, die Verbrechen, die von der Wehrmacht während des Krieges verübt worden sind, angesichts anderer Kriegsverbrechen "historisch einzuebnen", so der Rezensent missbilligend. Schon, dass Medicus wiederholt "Ritterkreuz und Generalsrang" Crisollis geradezu "ehrerbietig" erwähnt, findet Hesslein doch ziemlich befremdlich. Wenn Medicus über die Feldzüge in Polen, Frankreich, Serbien und der Sowjetunion gut wie gar nichts schreibt, dafür aber über die Beförderung seines Großvaters zum Generalmajor und den Aufstieg zum Kommandeur der 20. Luftwaffen-Felddivision in Italien, beginnt für den Rezensenten endgültig der Bereich der "Mystifizierungen und Spekulationen". Zwar, räumt Hesslein ein, macht der Autor "keinen Hehl daraus", dass sein Großvater beispielsweise den Mord an einem Pater und zwei Frauen nicht verhindert hat, obwohl es in seiner Macht gestanden hätte. Doch will Medicus ihm dennoch "Pardon" erteilen, indem er zu einer "modisch gewordenen salvatorischen Klausel" greift, so Hesslein nicht überzeugt. Medicus argumentiere nämlich, bei seinem Großvater, der 1944 durch Partisanen getötet wurde, vermische sich "Täterschaft und Opferschaft", was keine Verurteilung des Generals zulasse. Der Rezensent befindet abschließend knapp, die "deutsche Katastrophe als Familienroman" sei bereits in "besseren und wichtigeren" Büchern beschrieben worden.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.03.2004

Von der Fülle der Memoirenschrifttums und literarischen (Groß-)Vätersuchbilder hebt sich Thomas Medicus' Recherche in Caroline Neubaurs Augen durchaus ab. Der Autor, Enkel eines "Offiziers in drei Armeen" - der Preußischen, der Reichswehr und der Wehrmacht -, der von seiner schweigenden Familie in die labyrinthische Aufarbeitung der Vergangenheit getrieben wurde, zeige nicht nur einsehbar, "das es die entlastende und aufbauende Objektivität der Vergangenheit, die er angestrebt hatte, nicht gibt"; er hat mit seinem Buch auch eine "hochinteressante Quelle über den Mittelstand der Weimarer Republik" und seinen Übergang vom "Korsett" des Kaiserreichs ins "Korsett der NS-Zeit" geschaffen, lobt die Rezensentin etwas angestrengt die Vorzüge von Medicus' Buch. Die Stärke des Buches liegen ihrer Meinung nach nicht unbedingt in der Sprache, sondern in der "klugen" und "aufwendigen" Recherche, die sich nicht zuletzt auch selbst relativiert, indem der Autor erkennt, dass andere "noch viel mehr recherchiert" haben.
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