Thomas Glavinic

Lisa

Roman
Cover: Lisa
Carl Hanser Verlag, München 2011
ISBN 9783446236363
Gebunden, 208 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Lisa, eine Schwerkriminelle, begeht auf der ganzen Welt rätselhafte Verbrechen. Die Zeichen mehren sich, dass ein Mann ihr nächstes Opfer wird: Sie ist bereits in seine Wohnung eingebrochen. Doch sie bleibt unsichtbar, außer ihrer DNA gibt es keine einzige Spur. Verschanzt in einem verlassenen Landhaus, mit reichlich Whiskey und Koks, spricht der Mann jeden Abend per Internet-Radio zu einem virtuellen Publikum.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 02.04.2011

Rezensent Rene Hamann fühlt sich von Thomas Glavinics neuen Roman "Lisa" in jedem Fall gut unterhalten. Es geht, so Hamann, um alles und nichts: der Protagonist, ein vierzigjähriger Computerspielentwickler, hat sich nach einer zerbrochenen Liebesbeziehung und auf der paranoiden Flucht vor der unbekannten, psychopathischen Serienmörderin Lisa in die österreichische Einöde zurückgezogen. "Unzensiert, ungebremst, befeuert von Alkohol und Kokain" erzählt er von dort aus in seinem  eigenen Internetradio einfach drauf los: Facebook, Kulturpessimismus, Esoterik, Sarrazin - nichts wird ausgelassen. Hamann findet das größtenteils "witzig", kann aber über die Schwächen der Erzählung nicht hinwegsehen: die sich im Hintergrund abspielende Kriminalgeschichte schöpfe ihr Spannungspotential nicht aus, sondern ende vielmehr mit einer "hanebüchenen" Pointe. Auch dem Versuch des Autors, den mündlichen Redefluss möglichst authentisch wiederzugeben, konnte Hamann nicht viel abgewinnen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.03.2011

Hubert Winkels gibt sich zwar erdenkliche Mühe, den Roman von Thomas Glavinic auseinanderzunehmen (denn so einfach wie der Autor, so lautet der Vorwurf, will er es sich nicht machen), dennoch wird nicht ganz klar, worum es eigentlich geht. Das mag damit zusammenhängen, dass es um so gut wie alles geht: Der Leser bekommt es im Wesentlichen mit einem schizophrenen Paranoiker zu tun, der auf die bedrohliche Zufälligkeit der Welt mit einer ununterbrochenen kulturkritischen Suada reagiert ("von Handke bis Naschmarktkäse") und sich vor einer bestimmten Frau fürchtet (Lisa). Es gibt auch eine Handlung, die, wäre der Roman geglückt, in die "letzte große Wahnsinnswerdung" mündet. Diese Erlösungsfantasie findet der Rezensent aber unglaubwürdig, die eigentlich reizvolle Versuchsanordnung "in Lässigkeit und Horror" hält er für gescheitert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.02.2011

Böses Buch, gutes Buch. Daniel Haas kriegt sich gar nicht ein vor Begeisterung, fast verrät er noch das unglaubliche Ende. Wenn Bret Easton Ellis, Thomas Bernhard und Michel Houllebecq zusammenhocken und einen Roman schreiben, kommt sowas raus, meint Haas, ein vor bösen Banalitäten, zitierfähigen ätzenden Einsichten, enthemmtem Grauen, Ressentiments und buchstäblich kannibalistischer Mordlust sprühender monologisierender Monstertext. Ein verbaler und handgreiflicher Angriff auf alles Zartbesaitete. Das Dollste aber ist für Haas die Wende ins Metaphysische, zugleich Sinnhafte, die das Buch am Schluss auch noch nimmt. Muss nicht sein, findet er, gibt dem Ganzen aber noch einen irren Spin mehr.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.02.2011

Ein totaler Verriss: Unoriginell, uninspiriert und geschwätzig findet Jörg Magenau Thomas Glavinics Roman "Lisa". Den Plot - ein Mann zieht sich aus Angst vor einer Serienmörderin mit seinem Sohn in eine Berghütte zurück und spricht dort zu einer Online-Radio-Zuhörerschaft in ein Mikro - scheint dem Rezensenten nur mäßig interessant, zumal die Leser gänzlich auf das in seinen Augen überflüssige "Gelaber" der zugekoksten Hauptfigur angewiesen sind. Dass sich der Autor dann noch die Möglichkeit schafft, durch ein technisches Problem mit dem Mikro, dieses endlose Gerede über Gott und die Welt nach Wunsch abreißen und neu einsetzen zu lassen, ist Magenau einfach zu billig. Zudem sieht er sich auch insofern getäuscht, dass ein Thriller lediglich angetäuscht, dann aber nicht geliefert werde und auch die Auflösung des Ganzen einfach nur langweilig sei, wie der Rezensent kundtut, so öde, dass er auch keine Scheu hat, sie zu verraten.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.02.2011

Rezensent Andreas Breitenstein muss jetzt doch mal ein ernstes Wort mit Thomas Glavinic reden. Ja, begabt sei er, zweifellos; ein paar sehr ordentliche Romane geschrieben habe er auch, den "Kameramörder" (von 2001) etwa oder das Apokalyptikum "Die Arbeit der Nacht" (von 2005). Seitdem aber gehe es bergab, da fehle wohl die Konzentration, Glavinic schreibe zu viel und zu schlampig. Der Gipfel dieser Fehlentwicklung ist für Breitenstein nun dies: "Lisa". Aus einem "fait divers" um eine unerklärlich allgegenwärtige Täterin entwickelt der Autor einen ziemlich unzusammenhängenden Plot, einen "Blog"-Text eher als einen Roman. Die Monologe des Ich-Erzählers als Internetradioansprachen an die nicht zuhörende Welt fügten sich zu keinem Ganzen und so lande das Ganze im Niemandsland zwischen "Horror" und "Humor". Als guter Pädagoge gibt Breitenstein aber die Hoffnung nicht auf, redet Glavinic gut zu und ist sicher, dass er's beim nächsten Mal wieder besser macht.