Tanja Maljartschuk

Blauwal der Erinnerung

Roman
Cover: Blauwal der Erinnerung
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2019
ISBN 9783462052206
Gebunden, 288 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Ein Roman über den vergessenen ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyj, dessen Leben auf kunstvolle Weise mit dem der Ich-Erzählerin verknüpft wird: Sie sucht in dessen Vergangenheit nach Spuren, um besser mit ihrer eigenen Gegenwart zurechtzukommen. Eine Frau leidet, nach unglücklichen Beziehungen aus der Bahn geworfen, unter Panikattacken und verlässt monatelang die Wohnung nicht. Sie findet Orientierung und Halt in einer historischen Figur, die für die Geschichte der Ukraine eine große Rolle spielte: Wjatscheslaw Lypynskyj. Der leidenschaftliche Geschichtsphilosoph und Politiker entstammte einer polnischen Adelsfamilie, die in der Westukraine lebte. Schon früh identifizierte er sich mit der Ukraine und bestand auf der ukrainischen Form seines Namens. Nach dem Studium befasste er sich politisch und historisch mit dem zwischen Polen und Russland zerrissenen Land und forderte wie besessen seine staatliche Unabhängigkeit. Ein Kampf, der ihn durch verschiedene Länder führte und persönliche Opfer kostete.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 31.05.2019

Nico Bleutge bedauert es, aber den Roman von Tanja Maljartschuk findet er weitgehend daneben. Stärken entdeckt er in Momenten, da es der Autorin gelingt, Geschichte plastisch zu machen durch Erinnerung, intensive Szenen und Atmosphäre. Die Übersetzung von Maria Weissenböck bringt das laut Bleutge auch gut rüber. Maljartschuks Bildlichkeit und Stil überzeugen ihn hingegen nicht, ebensowenig ihr Versuch die existenzielle Krise ihrer Schriftsteller-Erzählerin mit der Geschichte des ukrainischen Freiheitshelden Lypynskyi zu parallelisieren. Auf Bleutge wirkt das beliebig.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.04.2019

Rezensentin Kerstin Holm hat einiges übrig für Tanja Maljartschuks Nachzeichnung des Lebens des ukrainischen Unabhängigkeitskämpfers und politischen Publizisten Wjatscheslaw Lypynskyj. Das identifikatorische Moment im Roman (die Autorin stellt das nervöse und amouröse Leiden ihrer Ich-Erzählerin an die Seite der Lebens- und Leidensgeschichte Lypynskyjs) macht Holm zwar mitunter Sorgen, wenn die Erzählerin seitenlang mit sich hadert. Wie sich Maljartschuk in Literatur, Memoiren, Briefe und Schriften eingearbeitet hat, um Lypynskyjs Epoche (1882-1931) fantasievoll Leben einzuhauchen, findet Holm allerdings bemerkenswert. Und wie eine geschichtslose Vergangenheit Ängste heraufbeschwören kann, erfährt Holm hier auch. Im besten Fall dient der Roman der Stärkung des ukrainischen Geschichtsbewusstseins, meint Holm.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 11.03.2019

Einen "Roman, der wagt und gewinnt" hat Carsten Otte mit Tanja Maljartschuks "Blauwal der Erinnerung" gelesen. Gewagt ist er in zweierlei Hinsicht, findet der Rezensent, zum einen konzeptionell als kühne Verknüpfung disparater Elemente - dem Leben des ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyi und dem traurigen Liebesleben einer Schriftstellerin siebzig Jahre später -, zum anderen sprachlich in Form von Maljartschuks eigenwilliger "Prosapoesie". Beides gelingt nach Ottes Ansicht überzeugend, letzteres gar so bestechend, dass er Maria Weissenböcks Übersetzung lieber als "Nachdichtung" bezeichnen möchte, um ihrer literarischen Leistung gerecht zu werden. Es ist die unwiderstehliche Mischung aus Melancholie und Heiterkeit, die Maljartschuks Stil auszeichnet und ihr im vergangenen Jahr in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis einbrachte, fasst der hingerissene Rezensent zusammen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.02.2019

Was Sergej Lebedew oder Maria Stepanova für Russland sind, ist Tanja Maljartschuk für die Ukraine: Eine Schriftstellerin, die sich neben dem Fortwirken der "Traumata des 20. Jahrhunderts" jener "Leerstelle" der Erinnerung widmet, für die das Sowjet-Regime im historischen Gedächtnis sorgte, meint Rezensentin Wiebke Porombka. Von dem pathetisch-ironischen Ton und der "frappant-poetischen" Bildsprache der Bachmann-Preisträgerin lässt sich die Kritikerin mit durch ein Jahrhundert ukrainischer Geschichte nehmen, dabei abwechselnd den Spuren des ukrainischen Nationalhelden Wjatscheslaw Lypynskyj und der Rahmenhandlung um eine durch Panikattacken an ihre Wohnung gefesselte, der eigenen Vergangenheit nachspürenden Schriftstellerin folgend. Dass die historischen Episoden aufgrund ihrer Materialfülle gelegentlich ein wenig langwierig geraten, geht für Porombka in Ordnung.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 20.02.2019

Frank Junghänel hält das Untröstliche an diesem teils autobiografischen Buch von Tanja Maljartschuk für das eigentlich Tröstliche. Das Buch behandelt laut Rezensent ein Leben in Angst, bestimmt von Panikattacken und sozialer Phobie. Als die so geplagte Erzählerin im Stadtarchiv ihrer ukrainischen Heimat auf die Biografie von Wjatscheslaw Lypynskyj stößt, des Vorkämpfers der ukrainischen Unabhängigkeit, entwickelt sie eine Obsession für den Mann und verknüpft seine mit der eigenen Lebensgeschichte. Die genaue Recherche, die poetische Sprache und der illusionslose Blick der Autorin haben Junghänel schwer beeindruckt und erschüttert.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 09.02.2019

Richard Kämmerlings ist enttäuscht von Tanja Maljartschuks Roman. Weder gelingt die Nacherzählung der Biografie des ukrainischen Nationalhelden Wjatscheslaw Lypynskyj ohne Kolportage, meint er, noch überzeugt der zweite Strang der Erzählung, in dem es um autobiografisch grundierte Affärenerfahrungen einer jungen Autorin geht. Klischees und der allwissende "Zeitrafferton", mit dem die Autorin durch das Zarenreich, die Oktoberrevolution und den russischen Bürgerkrieg hetzt, haben Kämmerlings eher gelangweilt als gefesselt, auch wenn die Autorin die Quellen kennt, wie der Rezensent einräumt, und die Dilemmata politischen Handelns am Beispiel ihrer Figur gut herausarbeitet. Fiktion und Historie finden im Buch nicht zu einer gelungenen Synthese, findet Kämmerlings.