Sabine Gruber

Daldossi oder Das Leben des Augenblicks

Roman
Cover: Daldossi oder Das Leben des Augenblicks
C.H. Beck Verlag, München 2016
ISBN 9783406697401
Gebunden, 315 Seiten, 21,95 EUR

Klappentext

Bruno Daldossi ist ein erfolgreicher Fotograf, der sich auf die Arbeit in Krisen- und Kriegsgebieten spezialisiert hat. Nach vielen Jahren, in denen er für das Hamburger Magazin "Estero" in Tschetschenien oder im Irak, im Sudan oder in Afghanistan fotografiert hat, geht er mit Anfang Sechzig nur noch sporadisch auf seine gefährlichen Missionen. Als ihn aber seine langjährige Gefährtin Marlis, eine Zoologin, mit der er in Wien zusammenlebt, wegen eines anderen Mannes verlässt, verliert der so gehärtete Mann völlig den Halt. In seine Trauer um den Liebesverlust mischt sich immer stärker die Frage, wie mit dem Leid der Welt, das er in seinen Bildern festhält, zu leben und wie damit umzugehen ist. Wie viel Wahrheit halten wir aus? Wie viel Einfühlung, wie viel Nähe sind uns möglich?

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.12.2016

Rezensent Helmut Böttiger kann sich trotz kleinerer Mängel der Faszination dieses raffinierten Romans nicht entziehen: Die Zerrissenheit des Kriegsfotografen Bruno Daldossi kann ihm Autorin Sabine Gruber gut vermitteln; in zahlreichen eindringlichen Szenen spürt der Kritiker geradezu die zwiespältigen Gefühle des Helden, der immer wieder entscheiden muss, ob er hilft oder fotografiert. Überhaupt gelinge es der Autorin, die Bilder der grausamen Situationen literarisch zu verdichten und die zerstörte Psyche Daldossis zu beleuchten. Dass Gruber bei aller bemerkenswerten Kenntnis des Milieus und ihrer exzellenten Beobachtungsgabe auf allzu viele Sex and Crime, bzw. Sex und Krieg-Elemente setzt, findet der Kritiker bedauerlich. Auch die spannenden Frauenbeziehungen des Helden hätten der Hemingway'schen "Sauf- und Fickrituale" nicht bedurft, meint der Rezensent, der allerdings betont, dass die Autorin der Kitsch- und Kolportage-Gefahr noch gerade eben entgeht.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 24.12.2016

Große Risiken geht Sabine Gruber in dem Roman ein, schreibt Paul Jandl, der zumindest dem Mut der Autorin Reverenz erweist - die Antwort auf die Frage, ob der Roman glückt, überlässt er den Lesern. Es sind eine Menge drängender Fragen, die der Roman aufgreift - ist ein Kriegsfotograf ein Mann der Empathie, oder muss er nicht zugleich kaltschnäuzig sein? Wie verhält es sich mit den Flüchtlingen? Und den afrikanischen Zwangsprostituierten? Das alles kommt vor, und Jandls Frage (die er, wie gesagt, nicht beantwortet) ist, ob man dies mit einer am Ende noch glaubhaften Psyche der Protagonisten und Triftigkeit der Konstruktion in Verbindung bringen kann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.11.2016

Rezensentin Daniele Strigl hat einiges übrig für Sabine Grubers Versuch einer Ehrenrettung des Berufstandes des Kriegsfotografen. Der Held im Roman scheint ihr sympathisch in seinem Selbstverständnis als Verfechter einer Ethik der Präzision und der Akribie der Recherche. Als er vor den Trümmern seines Lebens und Liebens steht, bringt die "stupende" Einfühlung der Autorin Strigl aus der Fassung. Doch der rote Faden der Liebesgeschichte kann Strigl nicht täuschen, Thema das Buches, meint sie, ist die Schuld des Beobachters und des Kosumenten. Hier überzeugt Gruber die Rezensentin mit einem differenzierten Blick und Anschaulichkeit. Als Leserin sieht sich Strigl gezwungen hinzusehen, wenn Gruber die Fotos des Reporters genau beschreibt. Den Text um ein männliches Handwerk nennt Strigl realitätssatt, authentisch, nicht anbiedernd und gründlich komponiert. Dass die magische Intensität im Text nicht durchgängig ist und die Erzählstimme allzu distanziert bleibt, dass der Roman außerdem zu viel will, indem er sämtliche Krisenherde des Planeten aufruft, verbucht Strigl als Minus.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.11.2016

Rezensent Burkhard Müller findet ihn misslungen und doch lehrreich, den Roman von Sabine Gruber über einen heimkehrenden Kriegs- und Krisenfotografen, der mit sich und der Welt hadert, einer Geliebte hinterherläuft (eigentlich ist der abgebrühte Bursche nämlich Romantiker) und natürlich viel zu viel trinkt. Natürlich. Klischee ist laut Müller so manches in diesem Buch, damit fängt das Problematische an. Dass Gruber mit diesem Charakter im Mittelpunkt kaum Handlung entwickeln kann, wie Müller feststellt, gilt dem Rezensenten als weiterer Schwachpunkt. Außerdem werden ihm die Widersprüche des Berufes des Helden zu wenig erörtert, und schließlich bleibt für ihn durchweg spürbar, dass hier nichts erlebt und empfunden wurde, sondern nur gestaltet, und zwar eher anschauungslos und seicht. Schlimmer kann es ja kaum kommen. In seiner Hilflosigkeit dem Thema gegenüber aber scheint das Buch Müller höchst lehrreich.
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