Rolf Lindner

In einer Welt von Fremden

Eine Anthropologie der Stadt
Cover: In einer Welt von Fremden
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2022
ISBN 9783751803786
Gebunden, 290 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Wer an Berlin denkt, denkt an die Großstadt als Raum vielfältiger Möglichkeiten. Sie ist ein Ort der Begegnung mit Originalen und Typen, die der Anonymität trotzen. Ihren Anfang nahm die Geschichte dieser Metropole an der Spree mit ihrem explosiven Wachstum gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als zahllose Menschen aus den ostelbischen Gebieten in die Stadt strömten, auch um dem überwachenden Blick der strengen dörflichen Sozialordnung zu entkommen. Berlin offenbarte ihnen die Freuden der großen Stadt, die bis heute in den zahlreichen Vergnügungsmöglichkeiten bestehen, und seine eigentümliche Schönheit, wozu nicht zuletzt die aufkommende Stadtbeleuchtung und Leuchtreklame beitrugen, die die Innenstädte zu hell erleuchteten Bühnen machten. Neue Gemeinschaftsformen entwickelten sich, in denen sich Gleichgesinnte und Wahlverwandte fanden: Assoziationen von Künstlern, esoterisch-okkultistische Zirkel, intellektuelle Kreise oder queere Communitys. Und bis heute bringt die Großstadt ihre eigenen Mythen hervor, die in Liedern und Gedichten, Erzählungen und Romanen, Bildern und Filmen zum Ausdruck kommen und die Wahrnehmung der Stadt überlagern.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.01.2023

Rezensent Michael Mönninger schätzt die Studien des Berliner Soziologen Rolf Lindner zu Populärkultur von Punk bis Fußball. Das vorliegende "Opus Magnum" erweitert nun die Erkenntnisse des Autors und gibt erstmals Einblick in den "humanen Kern" von Städten, stellt der Kritiker zufrieden fest. Er liest in dieser überwiegend auf Berlin konzentrierten Anthropologie der Großstadt von der im neunzehnten Jahrhundert einsetzenden Attraktion der Metropolen, die für viele Zuwanderer laut Lindner im Wesentlichen in der Vorurteilslosigkeit, Identitätsauflösung und den Aufstiegschancen in Städten lag und liegt. Darüber hinaus liest der Kritiker hier von der Entwicklung von Distanzregeln, Blickdisziplin und Schweigefähigkeit, etwa in U-Bahnen, und lernt, wie auch die Humanwissenschaften, die ihre Experimentalräume nun auf offener Straße fanden, von der Metropolenbildung profitierten. Nicht zuletzt verdankt Mönninger, dieser, wie er findet "glänzenden" Studie Einsichten in den Generationenwechsel oder den Auf- und Abstieg von Subkulturen.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 30.11.2022

Rezensent Thomas Groß schwärmt in den höchsten Tönen von diesem Text des Ethnologen Rolf Lindner. Der Stadtforscher beschäftigt sich hier unter anderem mit der Proximik, also der Lehre vom Abstand. Gemeint ist in diesem Zusammenhang die Kulturtechnik des Großstädters, auch noch im dichtesten Gedränge die "zwischenmenschliche Etikette " zu wahren, die das Leben in der Masse erträglich machen. In neun Kapiteln begleitet der Kritiker den Autor durch New York, Chicago, Paris und Berlin, quer durch die Zeiten und hin zu Vergnügungsparks, Clubs, cruising areas, Etablissements und Tingeltangels: An Orte, die durch die Flüchtigkeit und Unverbindlichkeit der Begegnung gekennzeichnet sind, aber dadurch eben auch Raum zur Veränderung lassen. Baudelaire, Benjamin oder Simmels werden zitiert, Flaneure, in deren Reihe der Kritiker Lindner gerne stellt: Als Meister "wissenschaftlicher Ambulatorik".