Nicholson Baker

Norys Storys

Roman
Cover: Norys Storys
Rowohlt Verlag, Reinbek 2000
ISBN 9783498006051
gebunden, 320 Seiten, 21,47 EUR

Klappentext

Deutsch von Eike Schönfeld. Nory ist neun und eine ziemlich Schlaue. Sie weiß, wie man Gottes Gedanken denkt, warum Wachsen weh tut und warum niemand unsterblich ist. Und sie kann die tollsten Geschichten erfinden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.06.2000

In einer Doppelrezension bespricht Eleonore Frey zwei Romane aus kindlicher Sicht.
Als das klassische Beispiel einer Literatur, die den Blick eines Kindes mit der Stimme eines Erwachsenen kombiniert, gilt Eleonore Frey Henry James` Erzählung "What Maisie knew". Ganz so radikal bzw. entlarvend in ihrer Sicht auf die Welt der Erwachsenen seien die beiden besprochenen Bücher von Nicholson Baker und Jenny Offill nicht, aber beide Autoren bedienten sich der kindlichen Perspektive auf gelungene Weise. Im Mittelpunkt steht bei beiden das Familienleben, das bei Baker eher positiv wegkommt, während bei Offill die zunächst märchenhaft surrealistisch anmutende Geschichte das Abdriften der Mutter in den Wahnsinn beschreibt.
1.) Nicholson Baker: "Norys Storys" (Rowohlt-Verlag)
Etwas sybillinisch mutet die Anmerkung der Rezensentin über die Übersetzung von Eike Schönfeldt an: "Wenn eine Übersetzung diesen hohen Grad an Einfachheit erreichen wollte,..." - ja, hat sie nun oder hat sie nicht? Nehmen wir an, Eleonore Frey ist nicht ganz zufrieden gewesen mit dem eigentlich "Unmöglichen", so zeigt sie sich um so beeindruckter von den "einfachen" Erzählungen Bakers, der die Übersiedlung der Familie von Kalifornien nach England aus Sicht seiner Tochter beschreibt. Wie das Kind Dinge oder Situationen wahrnimmt und einordnet, nämlich absolut gleichwertig, das Wichtige nicht vom Unwichtigen scheidend, erhebt Baker zum poetischen Prinzip, schreibt Frey. Baker bediene sich dabei der Perspektive wie auch der Sprache der Tochter, ohne sie sich völlig zu eigen zu machen.
2.) Jenny Offill: "Annas kosmischer Kalender" (Fischer-Verlag)
Jenny Offills Debütroman steht in der Tradition der surrealistisch angehauchten Märchen und Fabeln, konstatiert Eleonore Frey. Sie bilden den Hintergrund der Erzählung bzw. den Fundus, aus dem die Mutter der Erzählerin schöpft und damit dem Mädchen auf ganz subtile Weise Angst einjagt. Eine Art schwarze Magie, der das Mädchen verfällt, während die Mutter in den Wahn abdriftet und schließlich im Fluss ertrinkt. Frey lobt den "scharfen Blick" der Autorin, mit dem es ihr gelingt, zugleich die Stimme des Kindes und einer Erwachsenen zum Sprechen zu bringen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 22.03.2000

Etwas "ungemein Schwieriges", findet die Kritikerin Ina Hartwig, hat Nicholson Baker versucht: nämlich den Blick des Erwachsenen "nicht auf, sondern ins Innere der Kinderwelt" zu werfen. Die Entscheidung, ob dies gelungen ist, möchte Ina Hartwig noch etwas aufschieben. Da sie ihre Kritik trotzdem schreiben musste, führt sie einigermaßen umständlich in die Handlung ein. Erzählt von der Hauptfigur, dem Mädchen Nory und ihren Freundinnen und von Norys Verpflanzung aus Kalifornien nach England. Norys literarische Verwandtschaft mit Lewis Carolls Alice wird knapp beleuchtet und Bakers Affinitäten zu Nabokov. Bei allem wirkt die Rezensentin sehr bemüht, weder dem Autor noch dem Roman selbst, den Eike Schönfeld "äußerst gelenkig" ins Deutsche übersetzt habe, je zu nahe zu treten. Doch man ahnt: Baker hat schon bessere Bücher geschrieben.