Martin Amis

Die Hauptsachen

Cover: Die Hauptsachen
Carl Hanser Verlag, München 2005
ISBN 9783446206533
Gebunden, 455 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Ausgehend von seinem Schreckensjahr 1994/95, in dem sein Vater stirbt, sein Freund Saul Bellow schwer krank ist und sich die englische Presse vor allem seinen Zahnproblemen widmet, spinnt Amis Fäden in seine Vergangenheit. Er schildert die Liebschaften seines Vaters, erzählt von einer Jugend inmitten der intellektuellen Elite Englands, von seinen Anfängen als Schriftsteller und von seinen eigenen gescheiterten Beziehungen zum weiblichen Geschlecht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 05.01.2006

Vor allem die Diskretion hat es Hubert Winkels angetan, die der Brite Martin Amis für seine Skandalchronik der Familie an den Tag gelegt habe. Obwohl und gerade weil der Sohn des Schriftstellers Kingsley Amis sich von Haus aus, in naturgegebener Konkurrenz, gegen den Vater zu behaupten hatte, und sowohl Vater als auch Sohn für nicht eben unbeschriebene Blätter in der britischen Yellow-Press bekannt seien, gelinge dem Autor ein bemerkenswerter Spagat zwischen Literatur und Leben. Als "eigentümliche Mischung aus Erinnerungsbruchstücken und Familien- respektive Vaterroman" sei das Buch zu lesen, dessen "viele Neben und wenige Hauptsachen" dann doch eine Einheit zu bilden imstande seien. Im stetigen Wechsel zwischen der Familie des Sohnes und der des Vaters bildeten sich zwei dramaturgische Hauptstränge heraus, die schließlich im Jahr 1995 als Annus horribilis mit dem Tod des Vaters und der Scheidung des Sohnes kulminierten. "Diskretion als Stilprinzip" sei wider Erwarten dem "literarischen Popstar Martin Amis" zu bescheinigen, so der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.12.2005

"Much better", ruft begeistert Rezensent Thomas David, denn in seiner Autobiografie habe Amis zum ersten Mal die allzu "kalte Satire" seiner Romane abgelegt und schreibe eindrucksvoll über das, was wirklich schmerzt. Dabei sei der Zahnarzt und das ruinierte Gebiss des Schriftstellers nicht nur eine metaphorische Schatzkammer für den Memoirenschreiber, sondern eine von vielen tatsächlich existentiellen Schmerzensstationen im Leben des Autors. Kurz, die Operationen seien nicht allein Eingriffe in Amis' Selbstbild gewesen, sie hätten ihn auch physiognomisch verändert. Die vielen anderen "gravierenden Erlebnisse" der Autobiografie, der Tod des Vaters, die erste Begegnung mit der neunzehnjährigen Tochter oder der Freund Saul Bellow auf der Intensivstation, werden aus Sicht des Rezensenten zwar erzählerisch so dargeboten wie in den Romanen auch, als "anekdotenreiche Geschichte einer Prüfung", doch nähere sich der Schriftsteller hier erstmals einem "Ort im Innersten seiner selbst". Und wie besser könnte man einen englischen Schriftsteller preisen, als, wie Rezensent David es tut, William Blakes "Songs of Innocence and Experience" anzustimmen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.10.2005

Rezensent Alexander Leopold findet Martin Amis' aktuelles Buch richtig "bemerkenswert" - schließlich stellt es eine "ganz eigene literarische Leistung" dar. Amis hat im Alter von 51 Jahren nach dem Tod seines Vaters seine Memoiren geschrieben, die bereits im Jahr 2000 in England erschienen sind. Der Leser möge sich nicht davon abschrecken lassen, dass Amis nur "lose chronologisch" vorgeht und das Buch mitunter etwas "sperrig" wirkt, empfiehlt der Rezensent. Dafür schreibe der als "eitler Haudrauf" bekannte Autor nämlich richtig sensibel: "Anrührend" schildert er das Sterben des Vaters, "schroff und kritisch" dagegen handelt er dessen politische Lebensveränderungen ab. Doch das Werk ist nicht nur ein "Mein Leben als Sohn-Buch" geworden, betont der Rezensent. Vielmehr erfahre der Leser Wissenswertes über die Jugend des Schriftstellers, erste literarische Versuche und - wie der Rezensent etwas irritiert feststellt - sogar über seine Zahnprobleme. Schön auch, dass Amis allen Verlusten immer wieder "Lebenszuwachs" gegenüberstellt, die "alltäglichen Wunder" nicht vergisst und uns so ein "empfindsames und intelligentes" Lebens- und Erinnerungsbuch präsentiert.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.09.2005

Schlichtweg überwältigt ist Ijoma Mangold von diesem autobiografischen Roman, in dem Martin Amis seiner Familie und seinen Freunden ein Denkmal setzt. Die "Hauptsachen" aus dem deutschen Titel sind die Herzensangelegenheiten: Geburten, Scheidungen, Todesfälle (Hochzeiten offenbar nicht). Im englischen Original heißt das Buch, informiert Mangold, "Experiences". Beides gefällt ihm gut. Denn Amis beschreibt das Leben als eine "kontinuierliche Verwandlung von Unschuld in Erfahrung": Er erfährt, dass seine zwanzig Jahre zuvor verschwundene Cousine von Englands berüchtigtstem Massenmörder, Frederick West, ermordet worden ist, er verlässt seine Frau und beiden Söhne, zugleich erfährt er, dass er Vater einer zwanzigjährigen Tochter ist. Sein Vater stirbt. Seine Freundschaft zu Julian Barnes zerbricht. Apropos Prominenz: Da Martin Amis einer berühmten britischen Schriftstellerdynastie entstammt, ist das Buch natürlich auch in voyeuristischer Hinsicht ein Leckerbissen, meint Mangold. Vor allem die Szenen zwischen Vater und Sohn haben ihm es angetan; als "hochgradig gewitzt" schätzt er Kingsley Amis, der sich in den 50er Jahren vom Stalinisten zum Reaktionär gewandelt hatte, jedoch immer einen eleganten wie boshaften Humor pflegte. Nur einen Bauplan, empfiehlt Mangold, sollte man in diesem Buch nicht suchen, sondern sich einfach von der "Brillanz jeder einzelnen Szene" überrumpeln lassen - man würde ihn vor "Rührung und Lachen" eh nicht entdecken.
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