Kai Michel, Carel van Schaik

Mensch sein

Von der Evolution für die Zukunft lernen
Cover: Mensch sein
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
ISBN 9783498003272
Gebunden, 384 Seiten, 24,00 EUR

Klappentext

Etwas stimmt mit dem Leben nicht. Jeder kennt das Gefühl. Depressionen und Angststörungen grassieren. Krisen, Kriege und Katastrophen dominieren die Nachrichten.Die längste Zeit redete die Kirche uns ein, es liege an der menschlichen Sündhaftigkeit. Heute hält uns eine ganze Ratgeberindustrie auf der Anklagebank und verordnet Selbstoptimierung, Achtsamkeit und Resilienztraining. Höchste Zeit für eine evolutionäre Aufklärung. Wir sind nicht schuld. Wir müssen uns nur endlich selbst verstehen! Der Anthropologe Carel van Schaik und der Historiker Kai Michel erklären, wie es dazu kam, dass wir eine Existenz im Ausnahmezustand führen. Sie räumen mit Missverständnissen über die Evolution und die menschliche Natur auf und zeigen, welche Macht die Kultur über uns besitzt.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.12.2023

Der hier rezensierende Philosoph Hanno Sauer wird nicht recht glücklich mit dem neuen Buch des Autorenduos Carel van Schaik und Kai Michael. Der niederländische Evolutionsbiologe und der deutsche Literaturwissenschaftler und Historiker erklären dem Kritiker hier die evolutionären Bedingungen des menschlichen Unglücklichseins unter Bemühung der Mismatch-Theorie, also der Idee, der Mensch sei seiner ursprünglichen Heimat in der Umwelt "evolutionärer Angepasstheit" entrissen und in eine ihm im Grunde fremde, menschengemachte Umwelt versetzt worden. Durchaus folgen kann Sauer den Autoren, wenn sie Ambivalenzen unserer Gruppenpsychologie erläutern oder die Bedeutung moralischer Strukturen für das menschliche Zusammenleben betonen. Aber Sauer fragt sich schon, in welche Umwelt wir denn besser passen sollten? In jene, als die Hälfte aller Kinder nicht älter als fünf Jahre wurde vielleicht? Darüber hinaus geht dem Rezensenten die "apokalyptische Endzeitpornografie" des Buches nach einer Weile ziemlich auf die Nerven. Und den Tipp der Autoren, wir müssten erst Platons Höhle verlassen und aus evolutionärer Perspektive aufs Leben blicken, kann Sauer auch nicht ganz ernst nehmen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.11.2023

Rezensent Johan Schloemann ist kein großer Fan der von ihm so bezeichneten pathetischen Anthropologie, dessen sich Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem Buch übers Menschsein befleißigen. Letztlich wenig wissenschaftlich ist diese schwärmerische Spielart der Sozialbiologie, meint Schloemann, sie idealisiert die menschheitsgeschichtliche Stufe der Jäger und Sammler und sieht in der Sesshaftwerdung einen Sündenfall, der alle Übel der Moderne gebiert. Die Autoren behaupten zwar laut Rezensent, evolutionswissenschaftliche Tatsachen zu berichten, ihre Ausgestaltung des Lebens am steinzeitlichen Lagerfeuer strotz dann jedoch nur so vor Romantisierungen einer egalitären Gemeinschaft ohne Burn-Outs und Genderhierarchie. Als Inspirationsquelle für neue Formen des Beisammenseins mag das hier und da nützlich sein, konzediert Schloemann; aber letztlich lasse sich die Uhr der Menschheitsgeschichte schlicht nicht mehr zurückdrehen.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 11.11.2023

Rezensentin Susanne Billig ist fast etwas überrascht vom Optimismus, mit dem Carel von Schaik und Kai Michel in ihrem neuen Buch auf den Menschen und seine Evolutionsgeschichte blicken. Denn so schlecht, wie wir uns selbst mittlerweile wahrnehmen, sei die Lage gar nicht, gäben der Anthropologe und der Historiker zu bedenken - wenn man nämlich den Blick von den letzten Jahrtausenden in Richtung der letzten hunderttausend Jahre ausweitet: da sehen die Autoren in kleinen "egalitären" Gemeinschaften zu Zeiten der Jäger und Sammler ein Bedürfnis nach und auch Potenzial zur "gerechtigkeitsbasierten" und "empathischen" Selbstorganisation, wie Billig liest - darauf und auf unsere kulturelle Prägung gelte es sich rückzubesinnen. Wie von Schaik und Michel diese Botschaft "griffig" verpacken, gerät der Kritikerin manchmal etwas zu pädagogisch, aber sie erfreut sich aber trotzdem an dem "wohlbegründeten Humanismus" dieses Buchs.