Juli Zeh

Spieltrieb

Roman
Cover: Spieltrieb
Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783895610561
Gebunden, 600 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Tief im Westen der Republik in unseren Tagen, an einem Bonner Gymnasium, entwickelt sich die atemberaubende Geschichte einer obsessiven Abhängigkeit zwischen einer Schülerin und einem Schüler, Ada und Alev, aus der sich erst die Bereitschaft, dann der Zwang zu Taten ergibt, die alle Grenzen der Moral, des menschlichen Mitgefühls und des vorhersehbaren Verhaltens überschreiten. Die beiden jungen Menschen wählen sich ihren Lehrer Smutek als Ziel einer ausgeklügelten Erpressung. Es beginnt ein perfides Spiel. Ganz ruhig fängt das an: Ada, überaus selbstbewusste Schülerin, vierzehn Jahre alt, kommt neu an ein Gymnasium namens Ernst-Bloch, wo der Alltag sie nicht fordert und die Lehrer meist schwache Gegner beim intellektuellen Kräftemessen sind. Anfangs erregt Ada auf Ernst-Bloch wenig Aufmerksamkeit. Das soll sich ändern ...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.01.2005

Der Rezensent Rainer Moritz macht es sich nicht leicht, den neuen Roman von Julie Zeh zu kritisieren - vermutlich deshalb, weil er mit den Begründungen, die von manchen seiner Kritikerkollegen, die das Buch verrissen haben, angeführt wurden, keineswegs einverstanden war. Ein "pornolastiges Hanni-und-Nanni-Remake" ist das Buch nämlich in seinen Augen keinesfalls. Als junge Autorin hat Zeh bei ihm viel Kredit und so freut er freut sich, dass sie "ihr Talent nicht nur in kleinteiligen Kurzgeschichten erprobt". Trotzdem wird er mit dem Resultat nicht richtig glücklich. Das liegt vor allem daran, dass Zeh sich seiner Meinung nach zu sehr von Robert Musils "Törless" hat inspirieren lassen - vor allem, was die sprachliche Ausgestaltung des Romans angeht: "So beeindruckend es auch ist, wie Juli Zeh alte und neue Ideologien in eine mit zahlreichen Klischeebausteinen bestückte Romanhandlung zu integrieren versucht... so schrill tönt der sprachliche Aufwand, den Juli Zeh betreibt." Dass sie überambitioniert ist und inhaltlich den moralphilosophischen Rundumschlag wagt, findet Moritz hingegen gar nicht störend. Trotzdem leistet sich der Rezensent keinen Totalverriss. Statt dessen weist er in seinem Fazit darauf hin "welches Potenzial diese Schülertragödie in sich birgt und welche Gestalt sie ohne ein Musil- Zwangskorsett hätte annehmen können."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.12.2004

"Wie kann sich eine nicht unbegabte Autorin nur so eklatant in der Schublade vergreifen und glauben, einfach aus dem Handgelenk mit etwas Rechtsphilosophie Musil und Dostojewski aktualisieren und zugleich eine neue Ära der Geistesgeschichte einläuten zu können", fragt Rezensent Richard Kämmerlings nach der Lektüre dieses Romans. Es geht darin um eine Schüler-Lehrer-Tragödie: Zwei Gymnasiasten, "selbsternannte 'Urenkel der Nihilisten'" terrorisieren und erpressen einen Lehrer - ein Motiv gibt es nicht, "die Vernichtung einer Existenz ist purer Selbstzweck". Damit ist Juli Zeh zwar auf der Höhe der Zeit, aber Kämmerlings ist trotzdem genervt. Die "ausufernde Handlungsfülle", die literarischen Anspielungen, die "chronische Verwendung schiefer Metaphern", all das erweckt in ihm keine Sympathie für einen groß angelegten, wenn auch vielleicht gescheiterten Versuch. Er hat nur das Gefühl, den Roman einer überambitionierten Klassenstreberin gelesen zu haben.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.11.2004

Armer Robin Detje! 566 Seiten lang hat er sich durch Juli Zehs neuen Roman gequält, der nichts geringeres will, als Musils Jahrhunderterzählung vom Zögling Törless zu aktualisieren und zwar mit dem gleichen Anspruch, den die Musil-Apologeten ihrem Meister gerne zuschreiben: "den Beginn einer neuen, möglichst düsteren Epoche samt Untergang des Guten geistig begleiten und begründen" zu wollen. Dabei kann die Zeh überhaupt nicht schreiben, stöhnt Detje. Die Handlung, offenbar ein Stück aus dem täglichen Bildzeitungsleben, geht so: Frühreife Schülerin mit impotentem Freund lässt sich vom knackigen Sportlehrer ordentlich rannehmen und dabei vom impotenten Freund filmen. Der virile Pauker wiederum ist verliebt in die unbefriedigte Adoleszentin und prügelt den Hobbypornografen halb tot . Ein schauriges Gestotter und Gestöckel sei das, mit brutalsten Kolportageelementen und samt Happy End. Die junge Autorin hat sich in die berühmte Umständlichkeit Musils verliebt, spottet Detje, und versuche nun, mit dessen Eleganz zu operieren, um sich dann doch nur auf dem "Schrottplatz der sprachlichen Überanstrengung" zu tummeln. Dabei scheint das Unterfangen im Ansatz gar nicht mal so übel, ist doch die altkluge Mädchenfigur "psychologisch schön begründet". Sie hätte so auch zur Heldin einer "Salinger Story mit Dr.-Sommer-Elementen" taugen können, meint Detje, was der Zeh dann jedoch aus der Feder geflossen sei, ist für ihn "Hanni und Nanni auf der Porno-Penne".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.10.2004

Ulrich Greiner singt mit seiner Besprechung des zweiten Romans von Juli Zeh das Hohelied auf eine "ganz ungewöhnlich begabte Schriftstellerin", was ihn umso mehr beeindruckt, als dass die Autorin erst dreißig Jahre alt ist. Bei "Spieltrieb" handelt es sich um einen "Schülerroman", bei dem die bekannte Konstellation von grausamen Lehrern, die die Schüler malträtieren, umgedreht ist, erklärt der Rezensent. Dabei seien die beiden Schüler Ada und Alev, die ihren Sportlehrer erst verführen und dann mit Fotos des Geschlechtsakts erpressen, keineswegs "böse", sondern einfach nur erfüllt von einer "wilden, pubertären Kraft", gepaart mit "Bedenkenlosigkeit", so Greiner weiter. Ihn beeindruckt nicht nur die "durchtrainierte Sprache" der Autorin, die sich für ihn äußerst wohltuend von der "braven Deutschleistungsprosa" der Gegenwartsliteratur abhebt, er preist auch den "hoch gebildeten Scharfsinn" Zehs, die im Roman ihr "selbstreflexives, ironisches Spiel" mit ihren Lesern treibt. Diesen Roman sollten alle Schüler und Lehrer lesen, meint der hingerissene Rezensent, der darin zwar keine "Gebrauchsanweisung" für den Schulalltag, aber ein mit "Witz und Verstand gezeichnetes Bild unseres dunklen Zeitalters" erkennt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.10.2004

Viel Lob und ein bisschen Tadel erteilt Hauke Hückstädt, und ein paar schöne Formulierungen hat er auch zu bieten: "Spieltrieb ist ein Internatsroman, ein Bedeutungsmassiv am Fuße des Siebengebirges, (...) ein rachenschwarzer Bonn-Bonbon". Die 14-jährige Ada ist intelligent und kalt, ihr älterer Schulfreund Alev laut Hückstädt "mephistophelisch", der Lehrer Smutek stammt aus Polen und wagt sich so nahe an Ada und Alev, dass diese ein Spiel beginnen, in dem es um mehr geht als Erpressung - "das Spiel" als "letzte uns verbliebene Seinsform", wie Alev es im Buch sagt. Wenn also der "Spieltrieb" letzter Antrieb ist, wer kann dann noch sagen, was gut und böse ist? Darum geht es eigentlich, und diese "unpathetische, verdichtete Reflexion philosophischer Fragen der Existenz, der Ethik, der Identität" findet Hückstädt sehr gelungen. Gleichfalls Figurenzeichnung und fast alles andere, nur nicht die "brachiale Bildmetaphorik" derer sich Juli Zeh bedient. Dass beispielsweise ein "Müllwagen (...) Mülltonnen auf ex" trinkt, kann die Verdienste des besten Romans schmälern.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2004

In Juli Zehs neuem Roman "Spieltrieb" geht es um das Überschreiten von Grenzen und das Vertrauen auf die Macht der eigenen Vernunft, so das Fazit von Anne Kraume. Was soll man aber auch tun, wenn es nichts mehr gibt außer der eigenen Vernunft, an das man sich halten könnte? Angesiedelt ist die Handlung in einem klischeehaften Milieu: Bonner Villengegend, Privatgymnasium, zwei wohl noch jugendliche, aber schon ausgesprochen unabhängige Geister, allgegenwärtiger Ennui und grassierende Wohlhabendheit, die sich zusammenschließen zu einem state of mind jenseits des Nihilismus. Wie zum Spaß beschließen Ada und Alev also, einen Lehrer in die sexuelle Falle zu locken. Das gelingt. Und es gefällt der Rezensentin. Der Vorwurf, den Kraume allenfalls glaubt, Zeh machen zu können, ist der der Konstruiertheit. Aber finden wir nicht manchmal Gefallen gerade an den konstruierten Plots? Wenn sie nur intelligent genug konstruiert sind? So die Argumentation Kraumes, die in die Feststellung mündet, dass Zeh den Klischees, mit denen sie spielt, nicht in die Falle geht - weil sie dafür schlicht und einfach zu intelligent vorgeht.
Stichwörter