Jonathan Franzen

Crossroads

Roman
Cover: Crossroads
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
ISBN 9783498020088
Gebunden, 832 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Ein Roman über eine Familie am Scheideweg: über Sehnsucht und Geschwisterliebe, über Lügen, Geheimnisse und Rivalität. Der Auftakt zu Jonathan Franzens Trilogie "Ein Schlüssel zu allen Mythologien" über drei Generationen einer Familie aus dem Mittleren Westen. Es ist der 23. Dezember 1971, und für Chicago sind Turbulenzen vorhergesagt. Russ Hildebrandt, evangelischer Pastor in einer liberalen Vorstadtgemeinde, steht im Begriff, sich aus seiner Ehe zu lösen - sofern seine Frau Marion, die ihr eigenes geheimes Leben lebt, ihm nicht zuvorkommt. Ihr ältester Sohn Clem kehrt von der Uni mit einer Nachricht nach Hause zurück, die seinen Vater moralisch schwer erschüttern wird. Clems Schwester Becky, lange Zeit umschwärmter Mittelpunkt ihres Highschool-Jahrgangs, ist in die Musikkultur der Ära ausgeschert, während ihr hochbegabter jüngerer Bruder Perry, der Drogen an Siebtklässler verkauft, den festen Vorsatz hat, ein besserer Mensch zu werden. Jeder der an einem Scheideweg stehenden Hildebrandts sucht eine Freiheit, die jeder der anderen zu durchkreuzen droht. In "Crossroads", einer aus mehreren Perspektiven erzählten Geschichte, die sich im Großen und Ganzen an einem einzigen Wintertag entrollt, nimmt Jonathan Franzen den Leser mit in die Vergangenheit und beschwört eine Welt herauf, die in der heutigen noch nachhallt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.10.2021

Rezensent Johannes Franzen wünscht sich nach dem Lesen von Jonathan Franzens "Crossroads" das Ende der Rückkehr des realistischen Erzählens. Denn der Autor behandele auf 800 Seiten im ersten Teil einer scheinbar geplanten Trilogie die inzwischen in der Literatur seiner Meinung nach schon auserzählten Probleme einer Familie der siebziger Jahre in Chicago: Von der Midlife-Crisis eines Vaters, von Eheproblemen, Generationenkonflikten und Pubertät hat der Rezensent jetzt oft genug gelesen. Zudem strotze der Roman vor Wiederholungen, alles werde bis ins kleinste Detail auserzählt, so dass kein Raum für Deutungen mehr bleibe, klagt der Rezensent. Und für Franzens Sexszenen schämt er sich gar. Die deutsche Übersetzung scheint ihm altbacken, die in Jugendsprache geschriebenen Passagen gekünstelt. Dass der Roman auch spannende Passagen hat, erwähnt er immerhin auch.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 11.10.2021

Rezensentin Shirin Sojitrawalla möchte sofort wissen, wie es mit den Figuren in Jonathan Franzens neuem Familienroman weitergeht. Zum Glück ist das Buch der erste Teil einer Trilogie über eine Pfarrer-Familie im Mittleren Westen in den Siebzigern. Auch wenn die vom Autor im bewährten Breitbandformat dargelegten Nöte der Familienmitglieder der Rezensentin banal vorkommen, bleibt sie dran. Nicht mal Stilblüten und schwülstig beschriebene Affekte können sie gegen den Autor aufbringen. Dem Menschenkenner Franzen ist eben nichts Menschliches fremd, meint sie. Franzens filmischer Wechselblick zwischen "niedrigschwelligen" Familienquerelen und historischen Ereignissen sowie die enorme Plastizität der Figuren scheinen Sojitrawalla einfach zu fesseln.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 09.10.2021

Rezensentin Sigrid Löffler ätzt tüchtig über Jonathan Franzen und seinen neuen Roman. Der den Auftakt zu einer Trilogie bildende, multiperspektivisch erzählte Text  über eine Pfarrer-Familie in einem Vorort von Chicago in den 1970ern verzettelt sich laut Löffler in allerhand Glaubenskrisen der Protagonisten. Dass Franzen den ganz großen Scheinwerfer auf banale Moralgeschichten um Reue und Selbstmitleid wirft, hält sie zwar für ein Erfolgsrezept, literarisch überzeugend findet sie es aber noch lange nicht. Die episch ausbuchstabierten erotischen Geplänkel und persönlichen Kränkungen der Figuren interessieren Löffler eher wenig. Am besten gefällt ihr noch die Ehefrau des Pfarrers, die zerrissenste Figur im Buch, wie sie findet. Ansonsten viel "Geächze" um nichts, schimpft sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.10.2021

Rezensentin Cornelia Geißler freut sich, dass dieser achthundertseitige Roman nur der erste Band einer Trilogie ist, denn sie bewundert Jonathan Franzen als großartigen Erzähler, der ihr das Amerika der siebziger Jahre mit all seinen sozialen und politischen Konflikten existenziell nahebringt. Dabei erzähle er die Geschichte der Familie Hildebrandt mit viel Ironie und bösem Witz, wie Geißler versichert: Russ hat als Pfarrer einer protestantischen Gemeinde einige kränkende Erfahrungen hinter sich, und während sich seine Kinder in rauschhaften Sex und heftige Debatten stürzen, steigt er vergeblich einer jungen Witwe nach. Der Rezensentin bringt Franzen seine Figuren in wechselnden Perspektiven so nah, dass sie beginnt, wie sie zu denken, wie sie feststellt. Mehr noch als der Glaube, der hier - außerhalb aller Institutionen - verhandelt wird, interessieren Geißler jedoch die Kämpfe, die hier in der Familie und in der Stadt ausgetragen werden: Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Gut gegen Böse.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.10.2021

Rezensent Manuel Müller erkennt sofort die Parallelen zu anderen Romanen von Jonathan Franzen nach der Lektüre dieses "monumentalen" Auftakts der neuen Trilogie. Für den Kritiker ist schon der erste Teil eine "Wucht", die ihn direkt in einen Vorort Chicagos in den Siebzigern an den Weihnachtstisch einer Pastorenfamilie katapultiert: Vater Russ knabbert an einem Seitensprung, den er aus Ekel an seiner Gattin begangen hat, auch die anderen Familienmitglieder packen nach und nach ihre heimlichen Lüste und Konflikte aus, resümiert der Rezensent. Wie Franzen im Mikrokosmos der Familie die Befreiung, die Zeitenwende im Amerika der Sechziger und Siebziger skizziert, samt Drogen, Atheismus, neuen Beziehungsmodellen, aber auch der Zerstörung von alten Gewissheiten, findet Müller einmal mehr brillant. Ein grandioses "Sittenbild der Aufbruchsstimmung", schließt er.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.10.2021

Rezensent Tobias Rüther ist jetzt schon neugierig auf die Fortsetzung von Jonathan Franzens neuem Roman, der den Auftakt einer Trilogie bildet. Allerdings macht es ihm der Autor gar nicht leicht mit seiner in den frühen 1970ern spielenden Geschichte einer Pfarrersfamilie aus dem Mittleren Westen. Zu introspektiv ist das Geschehen, zu schwer die Prosa. Die Geschichte dreht sich zunächst nur um den Wandel des Bewusstseins der weitgehend mit sich selbst befassten Figuren, stellt Rüther fest. Wie sich in der kleinen Gemeinde und in den Köpfen der Figuren amerikanische Geschichte widerspiegelt, kann Rüther nur erahnen. Franzens meisterliche Dialoge lassen Rüther aber nicht daran zweifeln, dass dieser Autor die Gegenwart und ihre Urgründe im Griff hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2021

Paul Ingendaay sieht die Bedeutung von Jonathan Franzens Erzählkunst, zu besichtigen in seinem neuen Roman, weniger im Schönschreiben als im Blick auf unsere Gegenwart, der von der Vergangenheit aus eröffnet wird. Die eigene Zeitgenossenschaft und die Debatten von heute werden für Ingendaay erkennbar, wenn Franzen eine Familiengeschichte in den Siebzigern erzählt, unterschiedliche Generationen porträtiert, ihre Entwicklungen und Erfahrungen. Das findet Ingendaay höchst aufschlussreich. Erzähltechnisch hat er einiges auszusetzen: Die Weitschweifigkeit im Detail, die forcierte Witzigkeit und der altbackene Stil (nicht nur bei den Sexszenen) gehen ihm doch mächtig auf die Nerven. Vielleicht doch besser noch mal Graham Greene lesen?, fragt er sich.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 02.10.2021

Rezensent Felix Stephan ist ganz baff vor dem radikalen Kurswechsel, den Jonathan Franzen mit seinem neuen Roman einschlägt: Weg von zynisch-ironischen Reflexionen über das Fernsehen aus seinen Vorgängerromanen hin zu einer ernsthaften, fast schon "feierlichen" Befragung der menschlichen Moral bewege sich die Geschichte um einen amerikanischen Vorstadtpfarrer, der von einer neuen religiösen Jugendgruppe verdrängt wird. Meisterlich gelingt es Franzen dabei, die Geschichte von männlicher Midlife-Crisis und moralischen Problemen tatsächlich so zu erzählen, "als wäre dieses weiße Vorstadtmilieu nie ironisiert worden", staunt Stephan. Ein vor Könnerschaft geradezu "strahlender" Roman, der den überwältigten Kritiker zu Vergleichen mit Tolstoi, Flaubert und Eliot greifen lässt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 30.09.2021

Rezensent Adam Soboczynski versteht Jonathan Franzens neuen Roman als Hinweis auf den Ursprung unserer Empfindsamkeit. Der als erster Teil einer Trilogie konzipierte Text geht laut Rezensent zurück zum Anfang der 70er und beschreibt anhand der dramenreichen Geschichte einer Pfarrersfamilie in den Suburbs von Chicago, wie sich der protestantische Gottglaube in die säkularisierten Identitätsdiskurse von heute verwandelte. Wie der Autor das "Gefühlspanorama" einer Epoche entfaltet, findet Soboczynski überwältigend. Dass die beschriebene Innerlichkeit den Text selber prägt, so in den Passagen über den Vietnamkrieg, findet der Rezensent unproblematisch. Ein großer, augenöffnender Roman, lobt er.