Ingo Schulze

Orangen und Engel

Italienische Skizzen
Cover: Orangen und Engel
Berlin Verlag, Berlin 2010
ISBN 9783827009166
Gebunden, 190 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Mit Fotografien von Matthias Hoch. Der Ich-Erzähler, der offenbar wert darauf legt, einem deutschen Stipendiaten der Villa Massimo ähnlich zu sein, berichtet von Rom, von den Ausflügen und Reisen nach Neapel, Apulien und Sizilien. Doch man kann nicht von Tempeln, Kirchen, Fresken und Bildern schwärmen, ohne dass illegale Einwanderer, Prostituierte und Touristen mit in den Blick geraten. Vor dem Hintergrund mythischer Landschaften und antiker Ruinen gewinnen die alltäglich-unalltäglichen Erlebnisse, die Ingo Schulze in diesen Geschichten beschreibt, etwas Exemplarisches und bleiben zugleich vage und ambivalent. Das Heute wird durchlässig für die Schichten der Vergangenheit, auf denen wir uns bewegen. Diese Verknüpfungen gelingen so großartig, dass uns die AS-Roma-Hose, die für eine bessere Behandlung im Krankenhaus sorgt, ebenso in Erinnerung bleiben wird wie ein in Liebe zum Erzähler geratener Oktopus, ein rumänischer Gelegenheitsarbeiter vor dem Supermarkt, der wie in tausendundeiner Nacht fabuliert und doch zum Richter für den Erzähler wird, oder der gegen das Vergessen kämpfende Signor Candy Man, den die Liebe zu einer Frau einst in den Osten geführt hatte.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.09.2010

Mit Ingo Schulze ist ein Autor in Rom unterwegs, der ständig ein wenig über die eigenen Füße stolpert, findet Hubert Spiegel in seiner Rezension dieser Sammlung von Impressionen eines Villa-Massimo-Aufenthalts. Die Absicht, hier einen auf römische Alltagsverhältnisse konzentrierten, ganz und gar nicht bildungshubernden Text übers Sein eines Deutschen in Rom zu verfassen, erkennt der Rezensent wohl und hat auch gar nichts dagegen. Supermarkt statt Colosseum: kein schlechter Ansatz. Das Problem liege dann aber darin, dass Schulze das Alltägliche doch ins Bedeutungsvolle hochtunen wolle, ob sich die banalen Vorkommnisse nun dagegen sperren oder nicht. Oft sperren sie sich für Spiegels Gefühl aber schon. Mit seiner Beobachtungs-Selbst-Befangenheit stehe sich Schulze in Rom darum auf nicht unsympathische, aber doch etwas anstrengende Weise selbst im Weg. Besser mache es der Fotograf Matthias Hoch, dessen Bilder aus Rom nicht mehr als die Alltagsimpressionen sein wollen, die sie sind.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 29.07.2010

Großes intellektuelles Vergnügen hatte Helmut Böttiger bei der Lektüre dieses Italienbuchs. Das fängt für ihn schon mit dem chamäleonhaften Erzähler an, der so tut, als sei er Ingo Schulze, es aber definitiv nicht ist. Deshalb sei auch die ihm beigegebene Familie nichts als ein geschicktes trompe l'oeil. Geschickt unterlaufe der Erzähler die ewig durch Goethe determinierten Erwartungen an ein Italien-Buch wie dieses. Locker würden konkrete Details in den Blick genommen und daran ein zeitgenössischen Erfahrungswelten angepasstes Italienbild entworfen, das Böttiger nichtsdestotrotz emphatisch wie das Johann Wolfgang von Goethes findet. Hochpassend findet der Kritiker auch die dem Band beigegebenen Fotos von Matthias Hoch, die für ihn nach dem gleichen Prinzip wie Schulzes Texte mit ihrem knappen und nüchternen Zugriff auf die Sujets funktionieren. Schließlich lehnt Böttiger mit Schulzes Erzähler lässig an den Säulen einer Kirche von Syrakus, wo auch Platon schon gelehnt haben könnte und freut sich, das er mit Schulze erleben durfte, dass das Erhabene vom Lächerlichen stets nur einen Knopfdruck entfernt ist.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.07.2010

Beatrix Langner stellt in Ingo Schulzes Erinnerungsband über seinen Stipendiatsaufenthalt in der Villa Massimo in Rom zwar Anflüge von "seltsam düsteren Vergänglichkeitsvisionen" fest, gibt dem Autor dann aber doch gute Noten für "Transzendenzvermeidung". Das sieht sie vor allem seiner mitgereisten Familie geschuldet, die wirkungsvoll unterbindet, dass hier die Kunst das Leben überformt. Mit Interesse bestaunt die Rezensentin im Autor einen vollkommen neuen "Typus des "wohlhabenden Kleinbürgers und hochsubventionierten Vagabundierers", der nicht zuletzt durch den familienfreundlichen Umbau der Villa Massimo möglich gemacht wurde, wie sie meint. Wenn da auch ein bisschen Spott durchklingt, so merkt man es Langner durchaus an, dass sie Schulze gern durch sein Italien gefolgt ist, weil er ihr gegen bildungsbürgerlich-kunsthistorische Anflüge wohltuend gefeit scheint. Statt von Goethe oder Seume erzähle Schulze von seinen italienischen Eindrücken, vom Sonnenbrillenkauf und Kinderquengeleien, so die Rezensentin eingenommen. Die beigegebenen Fotografien von Matthias Hoch sieht sie bildersprachlich mit Schulzes Texten verwandt, und sie attestiert ihnen bei aller Strenge eine erfreulich unverbrauchte Sichtweise.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 22.06.2010

Burkhard Müller muss anhand von Ingo Schulzes "Orangen und Engel", in dem er seinen Aufenthalt in der Villa Massimo festhält, einmal mehr konstatieren, dass sich über das "Paradies" halt nicht leicht literarisch schreiben lässt. Das Gefühl der "Erlösung" und der "Dankbarkeit", das sich angesichts der Schönheit der italienischen Landschaft und der Freuden des Lebens in der Fremde einstellt, ist ein "Zustand", der eben wenig hergibt, zumal die Szenen, die der Erzähler glücklich notiert, sich auch dem Leser nicht wirklich mitteilen, bedauert der Rezensent. Als hätte der Autor das selbst empfunden, versuche er, mittels Anekdoten das Ganze aufzuwerten, was aber nach Ansicht des Rezensenten ebenfalls nicht wirklich gelingt, weil hier eben statt authentisch Erlebtem lediglich "Nacherzähltes" geboten wird. Vielleicht, mutmaßt Müller, liegt es daran, dass Schulze gleich seine ganze Familie in die Villa Massimo mitgenommen hat und sich deshalb nicht recht auf das Erlebnis der Fremde einlassen kann? Was er in den Texten vermisst, bieten ihm dafür die Fotografien von Matthias Hoch reichlich, denn hier findet er den "immer noch frisch verwunderten Blick" und das Spielerische, was er in den Texten vermisst hat.
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