Ian Buruma

Anglomania

Europas englischer Traum
Cover: Anglomania
Carl Hanser Verlag, München 2002
ISBN 9783446201446
Gebunden, 397 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Deutsch von Hans Günter Holl. An berühmten Europäern von Voltaire bis zu Wilhelm II. zeigt Ian Buruma die Hassliebe Kontinentaleuropas zum Inselreich England: ein Verhältnis, das einer heftigen Affäre gleicht. Immer entdecken die Europäer an den Engländern überwältigend viel Nachahmenswertes. Oder, so Buruma, sie phantasieren es hinein. Denn es sind eigene Englandprojektionen, in die sich die "Anglomanen" immer wieder verlieben- oder die sie zu hassen beginnen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.08.2002

"Wo warst du Lektor?" heult Rezensent Werner von Koppenfels auf, weil er ein wunderbares Buch in seiner deutschen Ausgabe ganz fürchterlich verschandelt sieht. Das Unglück beginnt für ihn schon mit dem deutschen Titel dieser "anekdotenreichen Geschichte der europäischen Anglophilie", das Autor Ian Buruma im Original "Voltaire's Coconuts" genannt habe - in Anlehnung an eine Stelle in Voltaires "Dictionnaire philosophique". Die deutsche Ausgabe habe den "ungewöhnlich witzigen Titel", diese "Visitenkarte von Autor und Gegenstand" in den Orkus expediert und den Untertitel zum Titel erhoben. Auch sei Burumas schöne und dabei keineswegs unkritische Liebeserklärung an Großbritanien "mit so geringer Einfühlung für die englischen Wirklichkeiten", dafür aber "mit ausgeprägtem Sinn für das mot faux" übersetzt. "Muss ein in München verlegtes Buch wirklich den ersten Bayernkönig als "Fürst Ludwig" apostrophieren?" fragt er verzweifelt. Die Kapitel dieses "glänzend lesbaren" Buches seien von sehr unterschiedlicher Länge und "scheinbar nur chronologisch aneinander gereiht". In Wirklichkeit verknüpfe sie ein "feines Netz von Querverbindungen". Die "elegische Coda" dieses Buches" bilde ein Text über Isaiah Berlin und den Trauergottesdienst für den großen "Man of Letters" in einer Londoner Synagoge, in dem der Rezensent die "Englischwerdung des europäischen Geistes ebenso wie die Bereicherung Englands durch seine kontinentalen Schutzsuchenden" verkörpert sieht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.05.2002

Ein sehr widersprüchliches Bild der Engländer und Englands bietet der Autor Jan Buruma dem Leser: In einer Mischung aus kritischer Analyse, Reportagestil und Autobiografie entwickelt er "300 Jahre britischer Geschichte" aus dem Blickwinkel der revolutionsgeschüttelten europäischen Nachbarn, so meint der Rezensent Carsten Stütz. Er porträtiere und zitiere "Intellektuelle, Aristokraten, Ästheten, Tunichtgute und Gelehrte" und aus dieser "Kontrastierung unterschiedlicher Perspektiven" heraus wird ein englisches Freiheitsmodell sichtbar, das die englische "Identifikation mit den eigenen nationalen demokratischen Institutionen" der einst einzigen und fortschrittlichsten Großmacht Europas als Begründung einer Europa-skeptischen Haltung ausmache. Mit "gemischten Gefühlen" bejahe der Autor die Einheit Europas und die notwendigen Veränderungen. In diesem "raffiniert konstruierten Buch", das aus "geistiger Distanz und zugleich mit teilnehmenden Blick" geschrieben ist, erhellt sich dem Rezensenten der "einstige Glanz Englands", und umso störender findet er die manchmal sinnentstellende Übersetzung.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.03.2002

Allein Burumas Idee, offene und verborgene, kulturelle und seelische Bezüge zwischen England und dem Kontinent Revue passieren zu lassen, sei ein "glänzender Einfall", lobt Klaus Harpprecht in seiner Rezension. Und das Ergebnis? Ein "brillantes Buch". In seiner klugen, in der Gedankenführung leider etwas sprunghaften Kritik würdigt Harpprecht, wie Buruma kenntnisreich und manchmal mit einer Prise Spott die Bilder und Mythen von England zerlegt, die wir seit Jahrhunderten mit uns herumschleppen: Shakespeare als genialer Wilder, der Gentleman, die produktive Unordnung. "Ein Buch", schreibt Harppecht, "voll prallem Leben, unterhaltsam, oft bewegend". Und, so der beeindruckte Rezensent, mit dem "Reichtum einer Bildung, die es sich leisten kann, so leichten Tones wie Burumas Prosa daherzukommen".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.03.2002

Im Zentrum des anglo-amerikanischen Liberalismus, wie Ian Buruma ihn versteht - und propagiert - stehen "individuelle Freiheit" und "persönliche Verantwortung". Dies sind, nach Burumas Ansicht, "universelle Prinzipien", die Durchsetzung (und Ablehnung) ihrer Geltung untersucht er in diesem Streifzug durch (vor allem) Geschichte und (ein wenig) Gegenwart. Voltaire tritt als erster liberaler "Anglomane" auf - die Anglomanie des Titels übersetzt Buruma als "Liebe zum Liberalismus als Kulturform". Nach und neben Voltaire kommen aber auch, wie Rezensent Christoph Albrecht aufzählt, "romantische Exilrevolutionäre", "Börsenmakler" und "liberale Wirtschaftstheoretiker" vor. Mehr als das: sie "treten uns lebendig entgegen". Ein ausführliches Porträt gilt dem zum Engländer erzogenen, zum Anti-Engländer gewordenen Kaiser Wilhelm II.. Der Band schließt, wie könnte es anders sein, mit dem Blick auf die anglomanste Nation der Gegenwart: die USA.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.03.2002

Ian Buruma führt in seinem Buch eine Galerie von Anglomanen vor, Hanns Zischler schreitet sie in seiner Rezension nicht ohne Begeisterung ab. Als Anglomanen bezeichnet Buruma diejenigen, die - im positiven Sinne - von England und allem, für das es steht, besessen sind. Das gilt für Voltaire, der die englische Kompromissfähigkeit schätzte ebenso wie für Alexander Herzen, dem es "das erfrischend Irrationale der englischen Bräuche" angetan hatte. Ein ausführliches Porträt gilt Fürst Pückler, der aus Begeisterung jede Menge englischer Parks in Brandenburg anlegen ließ, aber auch Kaiser Wilhelm II., der allerdings eine überaus ambivalente Haltung zum Land seiner Großmutter Königin Viktoria hatte: dem "kindheitlich idealisierten England" standen wüste antisemitische Ausfälle ("Juda-England") gegenüber. Bewegend findet Zischler auch die im Buch dargestellte Geschichte von Burumas Vorfahren. Überhaupt hat er - von einem kleinen Schnitzer der insgesamt, wie er lobt, "flüssigen" Übersetzung abgesehen - nur einen einzigen Makel entdeckt: den Schutzumschlag der deutschen Ausgabe, empfiehlt er, sollte man umgehend in den Müll befördern.
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