Hans Magnus Enzensberger

Josefine und ich

Eine Erzählung
Cover: Josefine und ich
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
ISBN 9783518418215
Gebunden, 148 Seiten, 15,00 EUR

Klappentext

Eine geradezu unheimliche Begegnung: Joachim, ein durchaus vernünftiger junger Mann von dreißig Jahren, erfolgreicher Wirtschaftsexperte, gerät im Herbst 1990 in die Fänge einer rätselhaften, herrschsüchtigen alten Dame, die mit ihren 75 Jahren auf eine stolze Karriere als Sängerin zurückblickt. Diese Frau kennt keine Selbstzensur. Josefines Ansichten, die sie ohne Rücksicht auf Konvention und Logik vertritt, empören und faszinieren ihn. Was steckt hinter ihren schillernden Erzählungen? Phantasiert Josefine? Lügt sie? Kann sie überhaupt singen? Wovon lebt sie, und welche Rolle spielt ihre greise polnische Dienerin Fryda? Joachim, der sie seit ihrer ersten Begegnung regelmäßig besucht, wird zum Detektiv, zum Forscher; aber zugleich sieht er sein eigenes Leben und Denken von dieser liebenswürdigen, aber "militanten Konservativen" in Frage gestellt. Als der Erzähler zwanzig Jahre später auf das Tagebuch stößt, in dem er damals von seinem josefinischen Abenteuer Rechenschaft abgelegt hat, gesteht er: "Ich vermisse diese Ohrenbläserin. So viel Haltung. So wenig Sentimentalität. Ich wünsche jedem, der heute dreißig ist, eine Josefine. Nur fürchte ich, solche Menschen wie sie gibt es nicht mehr."

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.07.2006

Ausgesprochen genervt hat Rezensent Alexander Leopold dieses Buch beiseite gelegt. Schon dessen Samteinband löste bei ihm ambivalente Assoziationen zwischen "Kinderpopo" und "nassem, dezent übel riechendem Maulwurffell" aus. Zudem wies er bereits nach einmaligem Gebrauch "hässliche Kratzspuren" auf. Aber auch zwischen den Buchdeckeln wird es offensichtlich nicht besser. Die Geschichte des jungen Erzählers und seiner Faszination für die ältere Josefine findet der Rezensent eher "öde" und grübelt bald verzweifelt, was ihm der Dichter damit eigentlich sagen will. Den Erzähler findet er im Übrigen ziemlich "papieren" und die "diskurssüchtige" Protagonistin Josefine ist aus seiner Sicht ebenfalls ein "Pappkamerad von Enzensbergers Gnaden", der allerdings reichlich aus dessen Essays zu zitieren scheint. Enzensbergers Kafka-Referenz findet Leopold erst recht deplatziert, freut sich aber zumindest über die Anregung, Kafkas Erzählung "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse" noch einmal zu lesen. Fazit: "Dass Enzensberger da nicht rankommt, muss man nicht betonen."

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 13.07.2006

Burkhard Müller kann dem neuen Buch von Hans Magnus Enzensberger wenig abgewinnen. Schon die Konstellation, die Aufzeichnungen des dreißigjährigen Joachim über seine Besuche bei der alten Dame Josefine bezeichnet er als eine Form der "Regression", wobei der Autor sich die Rolle der alten Dame angeeignet habe. Auch die überall durchscheinende Form des unverhüllten Aphorismus findet der Rezensent eitel und von "schwer erträglichem Gehabe", zumal häufig sehr banale Weisheiten verhandelt würden. Enzensberger habe es sich mit seiner angeblichen Erzählung sehr einfach gemacht, die gesuchte Nähe zu Kafka diagnostiziert Müller als "gewisse Abstumpfung des schriftstellerischen Instinkts", denn Enzensberger müsse doch wissen, dass man sich Kafka nur aus der Ferne nähern könne. Warum der Autor, anstatt nach den alten Fragen zu graben, nicht wie ehedem seine Nase in den Wind hält und einfach ein nur intelligentes Buch geschrieben hat, bleibt für den Rezensenten völlig unverständlich.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.07.2006

Ein Protokoll des Grauens präsentiert Rezensent Jens Jessen zu seinem Lektüreerlebnis. Schon dessen Samteinband lässt ihn schaudern. Gleich nach dem ersten Satz musste er sich erst mal einen Tee kochen, um nicht einzuschlafen. Bald kann er kaum noch die Kraft zum Umblättern aufbringen, so sehr strengen ihn die "Klischees" und "Platitüden" in diesem Buch an, an dem ihm dann eine merkwürdige Verquickung von Langeweile und kokett enthemmten Klischees immer stärker aufstößt. Es ärgert Jessen auch, dass Hans Magnus Enzenzberger seinem Eindruck zufolge "den (vorgeblich) politisch inkorrekten Ansichten seiner Figur" dadurch ein Alibi zu verschaffen sucht, dass er sie zur Jüdin macht. Im Übrigen möchte er keine Geschichten mehr über von Deutschen gerettete Juden lesen, denn um eine solche scheint es sich hier strafverschärfend außerdem zu handeln. (Wobei die Art, wie Jessen diesen Einwand formuliert, auf eine Ansteckung durch Enzensbergers Hemmungslosigkeit schließen lässt). Noch schlimmer kommt es für Jessen, als Enzenzberger sich auch noch auf Kafka beruft. Nach einem "augenzwinkernd-schlampigen" Schluss ist der Rezensent schließlich völlig fertig mit den Nerven und braucht erst mal einen Schnaps.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 21.06.2006

Peinlich berührt und als Leser nicht ernst genommen fühlt sich Rezensent Roman Bucheli nach der Lektüre dieser "klebrigen" und mit notorisch redundanten Anmerkungen des Erzählers übersäten Tagebuch-Geschichte. Die alte Dame namens Josefine K. sei zudem eine vom Autor Hans Magnus Enzensberger "achtlos" zusammengeklebte Kunstfigur. Und auch der Erzähler und Verfasser des Tagebuchs als komplementär zur exzentrischen Josefine unscheinbar auftretendes Wesen sei keineswegs besser gestrickt. Nein, empört sich der Rezensent, Kafkas berühmte Erzählung von der unbegabten Sängerin Josefine als Folie auch nur anzudeuten, gehe eindeutig nach hinten los. Das vernichtende Urteil: "Fahler Abklatsch".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.06.2006

Ratlos, ermüdet und verstimmt hat Rezensentin Ursula März diese Kafka-Adaption wieder zugeschlagen. Schon von der Aufmachung kommt die Erzählung aus ihrer Sicht als "Unterrichtsstunde in Sachen Kulturkritik" daher und enthält dann auch inhaltlich wenig, das März nicht schon aus den feuilletonistischen Leitartikeln des Autors zu kennen glaubt. Hans Magnus Enzensberger zwinge außerdem die feine "hermeneutische Rätselhaftigkeit" von Franz Kafkas Original in eine theoriebestimmte Abhandlung, die als Dialog gestaltet sei, und deren Sprachduktus März zudem ziemlich steif findet. Als Handlungszeitraum beschreibt die Rezensentin September 1990 bis September 1991. Unberührt von den großen Geschehnissen in der Welt werden von den Protagonisten immer wieder dienstags die großen Fragen nach Kunst, Gesellschaft und Individuum durchgekaut. Den Antworten darauf kann die Rezensentin zwar noch eine gewisse Provokationslust anmerken, weil Enzensberger seiner Heldin auch immer mal wieder einen reaktionären Touch verleiht. Aber selbst das kann die eher gelangweilte Rezensentin nicht hinter dem Ofen hervorlocken.