Elfriede Jelinek

Gier

Ein Unterhaltungsroman
Cover: Gier
Rowohlt Verlag, Reinbek 2000
ISBN 9783498033347
Gebunden, 460 Seiten, 23,01 EUR

Klappentext

Der Landgendarm Kurt Janisch - "ein gutaussehender und scheinbar leichtherziger Mann, der Gendarm, wie er uns Frauen gefällt" - hat ein Auge auf den Grund und Boden allein stehender Frauen geworfen, ist besessen von der Gier nach Geld und Besitz. Und als Polizist weiß er, wo er sich seine Opfer holt: auf den Landstraßen, wo er sich, "mit Kugelschreiber und Rchtblock" bewaffnet, die Autonummern der Frauen und ihre Adressen notiert. Das erste Opfer ist eine Frau in den mittleren Jahren, aus der Stadt in diese ländliche Gegend gezogen, um allein und in der Natur zu leben. Eine Enttäuschte, "vor der Zeit vom Baum des Lebens abgeschüttelt", und dem Gendarm in keiner Weise gewachsen. Denn der macht sie sexuell hörig, um an ihr Haus zu kommen. Und dann ist da ein sehr junges Mädchen, noch keine sechzehn, dem Mann ebenfalls verfallen. Weil sie seine Pläne und Ziele gefährden könnte, bringt er sie um. Als ihre Leiche, in eine Plastikplane gehüllt, im See gefunden wird, schöpft die ältere Geliebte Verdacht. Sie ahnt, worum des dem Gendarm geht.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 19.10.2000

Gabriele Killert ist der "Schmähkultur", die die Autorin in Anschluss an ihren letzten Roman "Lust" auch in diesem Buch zelebriert, ziemlich überdrüssig. Der Fortschreibung des Geschlechterkampfs kann die Rezensentin in ihrer Einseitigkeit nichts abgewinnen und sieht die zugegeben "virtuose" Sprachmacht dem "Zahn der Zeit" zum Opfer fallen. Und so staunt sie über das derart "übersichtlich strukturierte Weltbild" der Autorin, die ihren Roman wieder einmal auf einen "einzigen Stängel baut" und dabei nicht an feministischen und psychoanalytischen Klischees spart. Das, was sie dem "Schmarrn" zugute hält, sind die Stellen, in der die Erzählerin den "Inferioritätskomplex", den die Rezensentin der Autorin selbst zuschreibt, nicht verulkt, sondern monologisch untersucht; hier werde ersichtlich, was Jelinek zu leisten imstande sei.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.10.2000

Als "neues böses Meisterwerk" bezeichnet Ina Hartwig in ihrer Rezension dem neuen Roman von Elfriede Jelinek, bei dem man "sich zurückversetzt [fühlt] in die frühe Zeit Jelineks, wo sie eine junge Popliteratin war, ätzend und flink." Jelineks Hauptfigur, der Polizist Kurt Janisch, gehöre zum Jörg-Haider-Milieu und liefere deshalb eine geeignet Projektionsfläche für ihren Österreichhass. Dem verleiht Jelinek Ausdruck mit einer anstrengenden Sprache, die Hartwig als eine "einzige Dauerregung" bezeichnet und die sie - obwohl anstrengend - trotzdem genießen kann. Sogar "virtuos" nennt sie Jelineks Stil. Die einzige Einschränkung in ihrer durchweg positiven Besprechung von "Gier" ist, dass der, der Jelinks anti-österreichischen Gefühle nicht teilt, sich bisweilen beim Lesen etwas strapaziert fühlen könnten.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 18.10.2000

Petra Kohse weiß nicht so recht, ob sie diesen Roman gierig verschlingen oder angeekelt zur Seite legen soll, und weiß diesen Zwiespalt ihrer Gefühle in ihrer Kritik anschaulich zu beschreiben. Was sie stört und was sie nervt, ist eigentlich das gleiche: die Gnadenlosigkeit von Jelineks Prosa, die Härte ihres Blicks, unter dem alle Männer zu brutalen Konsumtieren und alle Frauen zu freiwilligen Opfern werden, die in den `glibberndsten Formen` als Modernisierungsverliererinnen geschildert werden. Die kriminalistisch aufbereitete Geschichte um einen Frauenmord hat Kohse aber offensichtlich doch so mitgerissen, dass sie dem Buch letztlich positiv gegenüber steht und ihm eine derartige `Wirklichkeitsdeckung` attestiert, dass sie Lust hat, an die Orte des Geschehens zu fahren, um nachzusehen, ob es da wirklich so aussieht. Und doch: das `kultivierte Halblächeln` der Autorin auf dem Buchcover, das `selbstredend Zynische` ihrer Prosa - ganz ins Reine kommt Kohse damit nicht.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2000

Sehr ausführlich beschäftigt sich Andreas Breitenstein mit dem neuesten Buch von Jelinek. Dabei setzt er im ersten Abschnitt seiner Besprechung die entscheidenden Marksteine: was allenthalben über die Literatur Jelineks gesagt wird, nämlich dass sie die `Realität zur Kenntlichkeit` entstelle, ist hier nicht bestätigt; eine `Ästhetik des Schreckens` hat ihn selten so `gleichgültig` gelassen, - kurz: `die Lektüre ist von quälender Langeweile`. Alle drei Beobachtungen werden dann von Breitenstein ernsthaft und gründlich belegt. Zwar geht ihm die ständige Wiederbelebung der `literarischen Leiche` `österreichischer Antiheimatroman` offenbar sowieso auf die Nerven, aber sein entscheidender Vorwurf an die Schriftstellerin ist, dass sie weder ihren Figuren noch ihrer Sprache - und auch nicht dem Leser - irgendwelche Erkenntnismöglichkeiten lässt. Alles ist `modellhaft`, `Vorzeigeobjekt`, die Personen und Verhältnisse längst `durch die Mühlen totaler Entlarvung gegangen`. Im `Dauergestus der Empörung` gegen die kapitalistisch, männlich-ausbeuterische und verdinglichte Gegenwart meint die Jelinek offenbar, so Breitenstein, nichts brauche mehr `gezeigt` zu werden und immer nur `behauptet`. Seit ihrem Roman `List` (1989), meint Breitenstein, hat die Schriftstellerin sich in diese `poetische Sackgasse` begeben und wirklich `anstößig` findet er weniger die Gewalt- und pornografischen Passagen, sondern dass `die Erzählinstanz (kaum verschleiert die Autorin selbst) vom umfassenden Sinnentzug ausgespart bleibt`. Ein kräftiger Verriss.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 07.09.2000

Verena Auffermann spöttelt ein wenig über den spöttisch "Unterhaltungsroman" untertitelten Roman von Elfriede Jelinek, in dem Jörg Haider als Jörg H. seinen Auftritt hat, der als die Fortsetzung ihres pseudopornographischen Erfolgsromans "Lust" anzusehen ist und sich entsprechend lustig und unterhaltsam lese - bis zur Hälfte etwa. Danach beginnt Auffermann das Buch zu langweilen, da sie weiß, wie es funktioniert. Neues bringt ihr die Lektüre des Buches ohnehin nicht: das gewohnte Märtyrspiel der Frauen, in dem die Männer als Prototypen das Monster abgeben. Das ganze ist wie ein überzeichneter Heimatfilm, als Dorfkrimi verpackt, der Auffermann mit seiner "kreativen Bosheit" durchaus beeindruckt. Die Rezensentin sieht den zu umfangreich geratenen Roman dennoch eher als Epilog, als Abgesang auf ein Thema, das sich literarisch erschöpft hat. Wenn er auch - halbwegs - vergnüglich zu lesen ist.
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