Sander L. Gilman (Hg.), Claudia Schmölders

Gesichter der Weimarer Republik

Eine physiognomische Kulturgeschichte
Cover: Gesichter der Weimarer Republik
DuMont Verlag, Köln 2000
ISBN 9783770150915
Kartoniert, 328 Seiten, 34,77 EUR

Klappentext

Die Entstellungen des Krieges, der Wahn des "neuen Menschen", die Hoffnungen und Ängste angesichts modernster Technik, Wissenschaft und Wirtschaft prägten die Epoche der Weimarer Republik. In dieser Zeit der Verunsicherung und Orientierungslosigkeit hatten physiognomische Spekulationen Hochkonjunktur. Kaum eine Epoche der deutschen Kulturgeschichte hat so häufig in den Spiegel geblickt wie die Weimarer Republik.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 03.08.2000

Die "Gesichtsobsession", schreibt Karoline Hille, erreichte in der Weimarer Zeit ihren Höhepunkt, Buchtitel wie "Anlitz der Zeit" von August Sander belegen dies auch für nicht dem Verdacht des Rassismus ausgesetzte Autoren und Künstler. Eine interdisziplinäre Tagung 1999 im Potsdamer Einstein Forum hat sich mit diesem Thema aus vielen Perspektiven beschäftigt, der vorliegende Band fasst die Beiträge zusammen. Karoline Hille hat viel Interessantes gefunden, gleichwohl findet sie den "Anspruch, eine physiognomische Kulturgeschichte" (müsste es nicht heißen: eine "Kulturgeschichte der Physiognomie"?) "etwas zu hoch gegriffen". Die Diskussion des so fatal-wirksamen Werkes von Paul Schultze-Neumanns "Kunst und Rasse" (von Willibald Sauerländer) hat ihr eingeleuchtet, besonders die "Zwangsläufigkeit" seiner Entwicklung vom Lebensreformer zum Rassenhygieniker. Weniger einleuchtend findet sie einige Beiträge, die sich beispielsweise mit Georg Grosz beschäftigen, der mit seinen Bildern der Gesellschaft "den Spiegel vor die Fratze" halten wollte. Dass er mit seinen Krüppel- und Prostituiertengesichtern ihre Träger nicht zu "Mitleidsobjekten" machte, sondern zu "Karikaturen des verhassten Systems", wie Maria Tatar zeigt, will Hille wohl glauben. Aber dass er mit seinen Kriegsdarstellungen glorifiziert hat, was er zeigt, scheint ihr abwegig. Der Wunsch nach Orientierung in der sich rasch modernisierenden Epoche nach dem 1.Weltkrieg war in der Tat eine nachvollziehbare Motivik, schreibt Hille, für rechts und links, sich mit dem "Gesicht der Zeit", "der gesichtslosen Moderne" etc zu beschäftigen. Ob diese Beschäftigung so zwangsläufig in die Rassenhygiene münden musste, wie es geschah, bleibt fraglich; die Beschäftigung damit ist in diesen Aufsätzen jedoch allemal lohnend zu lesen, da sie sich der Janusköpfigkeit des Themas stellen, urteilt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.05.2000

Zwar malt der französische Schriftsteller Michel Houellebecq (in "Elementarteilchen") die Welt seiner Großmutter noch als freundlich-zwischenmenschliche und schiebt erst der "neonkalten Gegenwart" der neunziger Jahre die Schuld für die Verwüstung menschlicher Beziehungen in die Schuhe, meint Alex Rühle. Aber von einer "physiognomischen Kulturgeschichtsschreibung", die den Kern einer kühlen Abwägung körperlicher Merkmale als mehr oder weniger "marktgerecht" enthielt, sprach Oswald Spengler schon 1918. In diesen Rahmen, zwischen Houellebecq und Spengler, spannt Rühle seine Besprechung ein. In den verschiedenen Beiträgen des von den Literaturwissenschaftlern Schmölders und Gilman herausgegebenen Buches gehen die Autoren auf die bereits in der Weimarer Republik unterschwellig präsenten "rassentheoretischen Ansätzen" im Blick auf den eigenen Körper ein. Sogar in den "harmlosen Texten von Irmgard Keun" spüre jemand wie Katharina von Ankum solche Elemente heraus, referiert Rühle. Die Verantwortung für das `gepflegte` Gesicht, zu dem auch Elisabeth Arden in dieser Zeit die berufstätige Frau verpflichtet, werde neben den Biologismus kriminalistischer Überlegungen vom `Verbrechertyp` gestellt. Selbst die "lebensweltlich-ästhetische Normierungen der anthropologischen Komparatistik" glitt schnell ab zur "Rassen-Kunst" usw. Wie überzeugend (oder auch nur neu) der Rezensent diese Analyse "antimoderner" Tendenzen in der Weimarer Zeit in diesem "kaleidoskopartigen Blick auf eine Epoche der Orientierungslosigkeit" tatsächlich findet, bleibt allerdings unklar.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 20.05.2000

Der Rezensent mit dem Kürzel "rox" erläutert in einer kurzen Rezension zunächst das Konzept des Buches, dem die "Idee einer Kulturgeschichtsschreibung durch Physiognomik" zu Grunde liegt. "rox" äußert kein klares Urteil zu dem Band, jedoch scheint er doch fasziniert zu sein, wenn er einige Beispiele aus dem Buch anführt. So erwähnt er Fotografien von Geisteskranken, Porträts von Verbrechern, aber auch Köpfe von Malern und Kriegsverletzten. Und natürlich werde in dem Band auch das sich bereits ankündigende Schönheitsideal der Nationalsozialisten behandelt.