Chiara Valentini

Der eigenartige Genosse Enrico Berlinguer

Kommunist und Demokrat im Nachkriegseuropa
Cover: Der eigenartige Genosse Enrico Berlinguer
J. H. W. Dietz Verlag, Bonn 2022
ISBN 9783801206284
Kartoniert, 480 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Enrico Berlinguer ist eine Schlüsselfigur der politischen Geschichte Italiens. Von 1972 bis 1984 war er Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens, der größten in einem westlichen Land. Er gilt als Vater des "Eurokommunismus". Wie kam es, dass Berlinguer diese neue Konzeption eines demokratischen Kommunismus entwickelte und damit neue Wege ging? Worin liegt Berlinguers Bedeutung heute?Die italienische Journalistin und Schriftstellerin Chiara Valentini zeichnet dazu dicht und fesselnd ein umfassendes, gut dokumentiertes Porträt. Sie berichtet über bislang unbekannte menschliche und politische Dimensionen und beschreibt die Ideen, Leidenschaften, Fehler und Erfolge dieses großen Europäers. Im Zentrum seiner Idee des Eurokommunismus standen die Themen Demokratie als universeller Wert, Unabhängigkeit von Moskau, Eintreten für die europäische Einigung, Einsatz für den Weltfrieden und die damalige "Dritte Welt", Betonung der "moralischen Frage" in der Politik bis hin zu dem Versuch, gegensätzliche Welten zu integrieren, insbesondere im Zuge des angestrebten "historischen Kompromisses" zwischen Kommunisten und christdemokratischen Katholiken.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.2022

Rezensent Matthias Rüb ist nicht unempfänglich für das Charisma, das den italienischen Kommunistenführer Enrico Berlinguer einst umgab, diese besondere Mischung aus Revolte und Melancholie. Dabei scheinen ihm die zurückhaltenden, bürgerlichen, vielleicht auch sozialdemokratischen Züge des späteren Berlinguer deutlich mehr zu behagen als der stalinistische Eifer seiner Jugend. Wie die italienische Journalistin in ihrer Biografie das Leben des KPI-Chefs erzählt, findet der Rezensent anschaulich und nachvolziehbar und in der deutschen Übersetzung auch gut kommentiert. Beeindruckt hat ihn Berlinguers Einsicht in den real existierenden Kommunismus der Sowjetunion, wie er zitiert: "Erstens, die Wahrheit sagt man so selten wie möglich. Zweitens, die Landwirtschaft funktioniert nicht. Drittens, es gelingt nie, das Papier von den Karamellbonbons abzuziehen."
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.09.2022

Rezensentin Birgit Kraatz schreibt mit großesm Respekt für die italienische Journalistin Chiara Valentini und mit noch größerer Bewunderung für den kommunistischen Politiker Enrico Berlinguer. Kraatz schöpft aus dem Buch "Trost, Labsal und intelektuelles Vergnügen", denn es erinnere an einen Politiker, der seinen Überzeugungen treu blieb, Kommunistische Ideale mit demokratischen Prinzipien verband und dabei auch sehr geschickt zu agieren verstand. Dass Berlinguer mit Moskau brach, mit den Christdemokraten dagegen Kompromisse schloss, rechnet ihm Kraatz hoch an. Dass er nach den Attentaten faschistischer Terroristen und der Entführung Aldo Moros durch linke fest zum italienischen Staat stand, habe diesem das Überleben gesichert, ist Kraatz überzeugt. Eine Mahnung für das Land, das heute ebenso leichtfertigt einen Beppe Grillo an die Macht bringt wie es einen Mario Draghi verjagt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.09.2022

Rezensent Claus-Jürgen Göpfert nimmt gerne an Chiara Valentinis "Geschichtsunterricht" in ihrem Buch über Enrico Berlinguer teil. Denn aus dem politischen Wirken des einstigen KPI-Generalsekretärs könne man viel über die heutige Parteizersplitterung in Italien und auch über eine potenzielle Zukunft der Linken lernen. So liest er in der "eher romanhaften" Darstellung der renommierten Journalistin gespannt vom umstrittenen Weg dieses "außergewöhnlichen Kommunisten", der an ein sozialistisches, aber pluralistisches System (später: Eurokommunismus) glaubte, eine Zusammenarbeit der KPI mit den Christdemokraten erwirkte, für die politische Integration von Frauen kämpfte und sich bei alldem auch viele Feinde machte, wie Göpfert zusammenfasst. Bemerkenswert und lehrreich findet der Kritiker dabei vor allem Ausführungen darüber, wie sich die KPI nach Berlinguers Tod 1984 erst umbenannte und dann mit anderen Parteien zusammentat - der Anfang der Zersplitterung in Einzelbewegungen, so Göpfert -, sowie die Dialogfähigkeit des Politikers. Vor allem die Offenheit für Veränderung scheint der Kritiker, auch für die Linken, für ein "wichtiges politisches Erbe" zu halten.