Andrea Barrett

Schiffsfieber

Erzählungen
Cover: Schiffsfieber
Claassen Verlag, München 2000
ISBN 9783546002295
Gebunden, 339 Seiten, 20,40 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Karen Nölle-Fischer. Eines haben diese Erzählungen gemein: Sie spielen ausnahmslos in vergangenen Jahrhunderten, und sie beschäftigen sich mit wissenschaftlichen Entdeckungen und der menschlichen Begierde, forschend die Welt zu erfassen. Es geht um Liebe und Verlust, um Sinnsuche und Selbstverständnis, um Menschen, deren Schicksal unentwirrbar verwoben scheint mit ihrem Forscherdrang und einer großen Faszination für die Natur. So werfen in der Geschichte "Habichtskraut" ein aufschlussreicher Brief von Gregor Mendel und ein gewaltvolles Familienerbe ihre Schatten über das Leben einer Professorengattin. In "Der englische Schüler" kämpft Carl von Linne, der Vater der biologischen Nomenklatur, einen letzten Kampf gegen das fortschreitende Vergessen. Der Band gipfelt in der Erzählung "Schiffsfieber". Unter den irischen Emigranten, die vor der großen Hungersnot 1847 nach Kanada flüchten, grassiert der Typhus. Ein junger Arzt setzt seine Karriere aufs Spiel und entscheidet sich für den Einsatz auf einer Quarantänestation am St.-Lorenz-Strom.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.05.2001

Tanya Lieske bezeugt der Autorin literarisches Talent und einen präzisen wie einfallsreichen Zugriff auf die Geschichte der Wissenschaft, mit dem sie fiktive und historische Elemente kombiniert. Die erste Erzählung des Bandes, "Habichtskraut", hält sie für einen gelungenen Auftakt; auch die Erzählung "Der englische Schüler" findet ihr Lob, sie schätzt den knappen und lakonischen Erzählton und die Verschmelzung der verschiedenen Motive und Ideen zu einem Ganzen. Manche Erzählungen sind ihr jedoch zu forciert, so etwa "Höhlenkoller" - diese Erzählung kommt ihr etwas sentimental vor, und die Parallelführung zweier Handlungsstränge findet sie aufgrund der zu großen Ähnlichkeit nicht überzeugend. Im Ganzen hält sie die Erzählungen Barretts für "Romane in nuce", was vor allem für "Schiffsfieber" gelte. Sie lobt auch die Gestaltung der Hauptfigur dieser Erzählung, die "mehr Mensch und weniger Theorem" sei - anders als andere Figuren dieses Bandes. Charakteristisch für ihre Erzählungen sei, dass sie mit dem Wissen der Nachgeborenen "Zweifel an dem Wert der Erkenntnis und an dem Preis, der dafür zu zahlen war" in den Geist ihrer Wissenschaftler sät.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2000

Mit einer geradezu wütenden Reflexion zur "Neuformatierung der Conditio Humana" beginnt Bruno Steiger seine Besprechung dieses Erzählbandes. Was die Geschichten Andrea Barretts auszeichnen, so der Rezensent, ist der von ihnen erzählerisch geleistete Nachweis, dass "wissenschaftliche Erkenntnisse... allein in literarischer Form, als Mythos begriffen, verstanden werden können". In den drei vom Rezensenten kommentierten Erzählungen steht jeweils die privatere Seite großer Forscher im Vordergrund: in "Der englische Schüler" geht es um Linné, dem als Greis, durch Schlaganfälle getroffen, kaum etwas von seinem legendären Gedächtnis und damit der von ihm eingeführten Systematik der Pflanzen geblieben ist. Auch die beiden anderen Geschichten verhandeln durch die Wahl der Protagonisten, so legt Steiger nahe, die Wissenschaft als Benennung, "Nomenklatur", als zunächst nur "Worte" machen. Für Bruno Steiger sind diese Geschichten gebündelt in der Aufmerksamkeit der Autorin dafür, dass alle Erkenntnis in erster Linie interpretiert werden und vor allen Dingen "gelebt werden" muss.