Ralf Rothmann

Im Frühling sterben

Roman
Cover: Im Frühling sterben
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
ISBN 9783518424759
Gebunden, 234 Seiten, 19,95 EUR

Klappentext

"Im Frühling sterben" ist die Geschichte von Walter Urban und Friedrich - "Fiete" - Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland, die im Februar 1945 zwangsrekrutiert werden. Während man den einen als Fahrer in der Versorgungseinheit der Waffen-SS einsetzt, muss der andere, Fiete, an die Front. Er desertiert, wird gefasst und zum Tod verurteilt, und Walter, dessen zynischer Vorgesetzter nicht mit sich reden lässt, steht plötzlich mit dem Karabiner im Anschlag vor seinem besten Freund ... In eindringlichen Bildern erzählt Ralf Rothmann vom letzten Kriegsfrühjahr in Ungarn, in dem die deutschen Offiziere ihren Männern Handgranaten in die Hacken werfen, damit sie noch angreifen, und die Soldaten in der Etappe verzweifelte Orgien im Angesicht des Todes feiern. Und wir erleben die ersten Wochen eines Friedens, in dem einer wie Walter nie mehr heimisch wird und noch auf dem Sterbebett stöhnt: "Die kommen doch immer näher, Mensch! Wenn ich bloß einen Ort für uns wüsste ..."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.08.2015

Roman Bucheli hat genug von all den unkritischen Lobeshymnen auf Ralf Rothmanns Kriegsroman. Wie kann jemand heute noch über den Krieg schreiben wie Konsalik? Wo bleibt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rothmanns ästhetischen Mitteln, die die moralische Herausforderung des Textes annimmt?, fragt er seine KollegInnen und liefert ebendiese, indem er von der Frage, inwieweit der Autor hier die Geschichte seines Vaters verarbeitet, einmal absieht. Bucheli entdeckt dramaturgische Kniffe und dass der Autor nichts dem Zufall überlässt, auch nicht, was seine Figur betrifft, eine tadellose Lichtgestalt inmitten des Grauens, wie Bucheli feststellt, und unerträglich kitschig, weil sie so eindimensional bleibt, wie er schimpft. Und hier liegt für ihn das ganze Drama des Textes, in einer Figur, deren Schuld der Autor nicht problematisiert, sondern durch die Allwissenheit des Erzählers quasi unantastbar macht. Für Bucheli ein unerschütterlicher, durch pseudoreligiöse und naturmystische Momente weiter jedem Zweifel entrückter Darstellungsrealismus, der eine moralische Auseinandersetzung gar nicht erst zulässt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.08.2015

Beatrice von Matt fürchtet von dieser Lektüre beschädigt zu werden, weil Ralf Rothmann in seiner genau recherchierten und, wie die Rezensentin findet, meisterlich gestalteten Beschreibung des Krieges bis an die Grenzen des Erträglichen geht. Wie hier ein Nachgeborener (Rothmann selbst, vermutet Matt) mit biblischen Bezügen die Kriegsgeschichte des Vaters erzählt, erinnert sie an Bilder von Goya, die im Zentrum stehende Hinrichtung eines Freundes an Kleist'sche Unausweichlichkeit. Die Notwendigkeit dessen aber ist ihr bewusst, Rothmanns Zielen auf das Allgemeine, die mörderische Mechanik des Krieges und eines bestialischen Regimes.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.06.2015

Hymnisch bespricht Rezensent Christoph Schröder "Im Frühling sterben", den neuen Roman des Autors Ralf Rothmann, den er als einen der besten deutschsprachigen Schriftsteller würdigt. Einmal mehr stellt Rothmann sein Talent, soziale Milieus genau zu schildern, unter Beweis, schwärmt der Kritiker, der hier zwei jungen Männern in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs folgt. Als "romantischen Realismus" bezeichnet der Rezensent Rothmanns Erzählkunst, die sich in diesem Buch in der Verbindung von eindringlich geschilderten Passagen von Brutalität, Leid und Frontalltag und bisweilen sentimentalen, nahezu transzendentalen Momenten voller Schönheit offenbare. Dennoch beschönigt der Autor nicht, verurteilt auch nicht, sondern setzt einer verlorenen Generation mit seinem herausragenden Roman vielmehr ein verdienstvolles Fundament, erklärt der begeisterterte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 24.06.2015

Christian Thomas wird den Roman von Ralf Rothmann nicht mehr los. Für die Höllenfahrt des Krieges, seine Gewalt, seine Lust findet der Autor den richtigen Ausdruck, meint er. Rothmanns Realismus, seine Drastik zusammen mit einem Hang zur Transzendenz und einer, wie Thomas es nennt, "spirituellen Empathie" mit Kreatur und Mensch ergeben für den Rezensenten eine realistische Rekonstruktion des Krieges. Auch wenn vieles unausgesprochen bleibt oder gerade weil, ist das Buch für Thomas bemerkenswert. Seine Beseelung, scheint es, rührt daher und die Erschütterung des Lesers. Ähnlich wie bei Böll oder Richter, meint der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.06.2015

Kleiner Roman, große Literatur, schwärmt Rezensent Lothar Müller nach der Lektüre von Ralf Rothmanns neuem Buch "Im Frühling sterben". Einmal mehr begegnet dem Kritiker hier die aus anderen Romanen bekannten Erzählerfigur Rothmanns - wenn auch nur kurz, denn jene leitet nur die Kriegserinnerungen des Vaters Walter Urban ein. Bewundernd notiert der Rezensent, mit welcher Stille, Diskretion und doch Nahsicht Rothmann den Erzähler vom Frühjahr 1945, Exekutionen, brutalen Tötungen und Frontkoller berichten lässt, dabei nie die Innensicht der Figur preisgibt, auf Kommentare verzichtet und den Leser doch schonungslos in das Geschehen einbindet. Nicht zuletzt liest der Rezensent einen bewegenden Roman über die Erblast zwischen Vätern und Söhnen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.06.2015

Sandra Kegel ist fasziniert von Ralf Rothmanns neuem Roman. Wie der Erzähler das Schweigen des Vaters über die Erlebnisse im Krieg aufbricht, wie er eintaucht in die letzten Kriegstage in Norddeutschland, als der 17-jährige Vater und sein Freund zwangsrekrutiert und verheizt werden, das findet Kegel vom Autor mythisch und metaphorisch satt, feinnervig und genau gefasst. Von der Drastik des Infernos auf dem Schlachtfeld, wie Rothmann es mit Anleihen aus der Bibel und bei Celan schildert, kann sich die Rezensentin nur langsam erholen. Ein Buch, das ihr schwer im Gedächtnis liegt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 18.06.2015

Atemberaubend, tief, spannend und tragisch ist dieser Roman nach Ina Hartwig, die in der Zeit die Tendenz hat, den ganzen Roman nachzuerzählen - ein sicheres Zeichen für ein ehrliches Gefühl der Mitgenommenheit bei Kritikern. Ralf Rothmann schildert hier in der Gestalt des Walter das Drama seiner Vätergeneration, die Geschichte eines Jungen, der von der SS zwangsrekrutiert wird und trotz seiner Reserven "unschuldig schuldig" wird. Es ist also eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Vätern, keine pauschale Verurteilung, kein Schwarz-Weiß-Schema. Und dabei hilft Rothmann nach Hartwig seine Menschenkenntnis und seine "Begabung für Ambivalenzen". Das Credo des Romans spricht für Hartwig der Nebenheld Fiete aus, an dessen Erschießung Walter beteiligt ist: Die Schuld wird sich fortsetzen, auch in die Generationen der noch ungeborenen Kinder.