Vorgeblättert

Leseprobe zu ZZ Packer: Kaffee trinken anderswo. Teil 3

28.09.2009.
Wir parken auf Lupitas Auffahrt. Im Dunkeln sieht ihre Rasendeko wie eine Ansammlung von Grabsteinen aus. Bewegungsgesteuerte Scheinwerfer flammen auf, als mein Vater auf das Haus zugeht. Lupita steht auf ihrer Veranda, eine Schrotflinte im Anschlag. Sie trägt einen seidigen Pyjama, durch den ihre Brustwarzen durchscheinen. Rosa Lockenwickler hängen ihr wie Blüten in den Haaren.
"Was du willst hier?" Ihre Augen nehmen ihn ins Visier. Dann kneift sie sie zusammen, um zu sehen, wer noch im Auto sitzt, reckt sich ein bisschen in die Höhe, aber als sie sieht, dass es bloß der alte Streber Spurgeon ist, lässt sie jeden Versuch, sich in Pose zu setzen, fahren.
Ich bleibe im Wagen sitzen. Sie und mein Vater verschwinden im Haus, während ich den Gänseblümchen-Windrädern beim Sichdrehen zuschaue. Das Geschrei, das aus dem Haus dringt, ist größtenteils O-Ton Lupita. "Ich genug von deinem schwarzen Arsch! Es reicht!" Dann hört es auf. Sie haben sich ins Schlafzimmer gestritten, und jetzt knallt die Tür zu, dann ist alles still.
Aber die Stille hält nicht lange. Lupita stößt ein paar schöne, tödliche, spanische Drohungen aus und die Fliegentür fliegt knallend auf. Die Arme voller kleiner Käfige, vollgestopft mit je zwei Vögeln, kommt mein Vater, von Lupita gefolgt, heraus. Ich höre es rieseln, als er die Dinger auf der Rückbank verstaut und sich Vogelfutter und Käfigeinstreu im Wageninneren verteilen. Mein Vater sagt während dieser Prozedur kein Wort. Schaut stur geradeaus.
Er geht noch einmal ins Haus, aber Lupita geht diesmal nicht mit. Er kommt mit einem weiteren Käfig voll Vögeln zurück.
Lupita folgt ihm ein paar Schritte, bleibt dann aber auf halbem Weg zum Auto stehen. Da steht sie in ihrem Ensemble aus sexy Pyjama, rosa Schaumgummiwicklern und Schrotflinte.
"Nicht aussteigen", sagt Ray Bivens jr. zu mir. "Wir fahren jetzt. Langsam."
Ich tue, was er sagt, und setze aus der Auffahrt zurück.
Lupita schreit uns hinterher: "Nie du denkst nach, vielleicht was Lupita fühlt!" Einen Augenblick glaube ich, dass sie uns hinterherläuft, aber sie lässt sich nur auf die Stufe ihrer Veranda plumpsen und stützt den Kopf in die Hände.


Sobald sie sich an den Rhythmus der Straße gewöhnt haben, fangen die Vögel eine rudimentäre, zusammenhanglose Konversation miteinander an. Der blau-goldene Ara singt "Love Me Do", verrät aber durch eklatante Grammatikfehler seinen Migrationshintergrund. Der Lori sagt wiederholt: "Donnerlittchen, wo ist meine Taschenuhr?", und produziert dann die Imitation eines lüsternen Männerlachens. Droht das Gespräch einzuschlafen, ruft einer: "Arriba, ’riba, ’riba!", und das Ganze geht von vorne los.
"Vogelkacke stinkt nicht", sagt mein Vater. "Das ist das Verrückte an Vögeln."
"Sie liebte diese Vögel", sage ich. "Und du hast sie ihr einfach weggenommen."
"Die lernen am besten, wenn sie unter Stress stehen", sagt er. "Was glaubst du wohl, warum die ständig ‚Arriba!‘ sagen? Das schnappen sie von den Mexikanern auf, die es so eilig haben, sie aus dem Land zu schaffen."
Er bringt mich damit fast aus dem Konzept, aber ich bleibe beim Thema. "Lenk nicht ab. Du hast ihr wehgetan. Und was ist mit den Vögeln? An Futter für sie hast du nicht gedacht, stimmt’s?"
"Du bist ne totale Pussy, ist dir das klar?"
Er hat das Wort nur ein einziges Mal vorher benutzt, als ich zwölf Jahre alt war und mich weigerte, mich mit einem anderen Jungen zu prügeln, und hat gesagt, wenn ich diesen Jungen nicht verkloppte, würde er mich am nächsten Tag verkloppen.
"Du musst unbedingt zu dieser Demo gehen. Wenn du da bist, meld dich am Pussy-Schalter und sag, du möchtest deine gegen einen Johnny eintauschen."
Ich werfe einen Blick in den Rückspiegel, fahre dann quer über sämtliche Spuren des I-65 North, bis ich auf dem Seitenstreifen bin. Das ist genau die Sorte Wagemut, die er von mir - außer ihm gegenüber - immer verlangt hat.
"Ich hoffe für dich, du hast einen guten Grund anzuhalten", sagt er.
"Aussteigen", sage ich, sobald das Auto steht. Die Vögel stellen ihr Geschwätz ein, und als ich mich umdrehe, schauen sie von mir zu ihm, als hätten sie Wetten darauf abgeschlossen, wer den Kürzeren zieht.
Ray Bivens jr. fasst sich in gespielter Ungläubigkeit an die Stirn. "Das hast du noch nie vorher gehört? Erzähl mir nicht, es hätte dich noch nie jemand ne Pussy genannt!"
"Aussteigen, Sir", sage ich.
"Klar. Und ob ich aussteige." Er öffnet die Beifahrertür, gerade als ein Sattelschlepper vorbeisaust, und selbst ich spüre den Sog. Er knallt die Tür zu und schließt die kalte Luft mit mir ein.


Es ist spät: nach Mitternacht. Ich halte an der nächsten Ausfahrt, um meine Mutter anzurufen. Sie sagt, wenn ich meinen Arsch nicht noch heute Nacht wieder nach Hause schaffe, zieht sie mir die Haut bei lebendigem Leibe ab. Ich sage ihr, dass ich sie ebenfalls lieb habe. Sie tut gern so, als sei ich der Mann im Haus, und gibt es praktisch ausdrücklich zu, wenn sie mich vor dem Schlafengehen fragt, ob ich alle Türen abgeschlossen habe, oder sagt, ich solle sie zur Kirche fahren, damit ja alle sehen, was für einen guten Sohn sie hat. Aber es sind Gelegenheiten wie diese, die deutlich machen, dass der einzige Mann im Haus Jesus heißt.
Ich kaufe mir im Tankstellenshop einen Ho-Ho, und während ich mit den Zähnen den Biskuitteig von den cremigen Innereien trenne, stelle ich mir vor, wie Derron Ray Bivens juniors Spinnereien mit einem gutartigen Schulterzucken abtun würde. "Paps hat einen Knall", würde er nach einem NBA-Spiel ins Reportermikrofon sagen, sich dann seine locker geballte Faust ans Herz legen, wie jemand, der eine Auszeichnung entgegennimmt, "aber ich hab den Kerl lieb."
Ich gehe zum Auto zurück, und die Vögel krächzen und beschweren sich, allein gelassen worden zu sein. Ich fahre zur letzten Ausfahrt zurück und biege dann wieder nach Norden ein, fahre langsam auf der rechten Spur. Als ich meinen Vater sehe, halte ich auf dem Seitenstreifen und löse die Zentralverriegelung. Er tut so, als hätte er von vornherein gewusst, dass ich zurückkommen würde. Wir sprechen fast eine Stunde lang kein Wort, aber die Sache ist klar wie Kloßbrühe: Wenn ich keine Pussy bin, werde ich die Schule schwänzen, aufs Debattierturnier pfeifen und nach D.C. fahren.



Mit freundlicher Genehmigung des A1 Verlages


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