Vorgeblättert

Leseprobe zu Romualdas Granauskas: Das Strudelloch. Teil 3

29.07.2010.
Kapitel 3

Der mit Vidas gemeinsam verbrachte Sommer war trocken, heiß und staubig. Seit dem Abitur im Juni hatte es fast nicht geregnet. Die Stadt glühte vor Hitze; die Bäumchen auf den Bürgersteigen und die Blätter der Apfelbäume in den Gärten waren grau und welk. Die Bücher in der Bibliothek rührte niemand mehr an, sie schienen alt und vollkommen nutzlos zu sein. Alle Türen der Schule waren verschlossen, der Basketballplatz war leer, nur auf der anderen Straßenseite blitzten in der Scheibe einer auf und zu gehenden Tür irgendeines Büros bisweilen spitze Sonnenstrahlen auf. In den Straßen sah man keine Schüler mehr, sie tummelten sich alle an der Venta hinter der Stadt. Wer konnte, war dort, auch die Erwachsenen, die einsame Mütterchen mit Gießkannen in den Gärten zurückgelassen hatten. Zweige mit reifen Kirschen breiteten sich über den Bürgersteigen aus, weder waren die Kirschen gepflückt noch die Zweige mutwillig abgebrochen worden.
     Vidas besaß ein Fahrrad und radelte am frühen Morgen, Gaucys? Mutter war schon in der Kolchose, von der jenseitigen Stadt entlang den Bahnschienen herbei, sein Hemd war am Rücken vom Schweiß dunkel gefärbt. Sie aßen einige Kirschen vom alten Kirschbaum, befestigten die Mappe von Gaucys an dem Fahrrad und schoben es über die Bahngleise, durch die Felder und Äcker zum Burgberg. Der Mutter gefiel Vidas, obwohl sie ihn nur selten gesehen und mit ihm nicht ein einziges Mal länger gesprochen hatte, deswegen fragte sie Gaucys auch später über ihn aus.
     "Er ist ein ernstes Kind", beschloss sie, "schade, dass er Waise ist."
     "Er hat doch einen Vater, und er hat eine Stiefmutter!"
     "Eine Stiefmutter ? Du weißt nicht, wie es ist, bei einem Stiefvater oder bei einer Stiefmutter aufzuwachsen, Gott bewahre, was habe ich alles erlitten, ich selber bin so aufgewachsen."
     "Vidas hat niemals gesagt, dass es ihm schlecht geht. Er hat sogar ein Fahrrad, alles ?"
"     Nun, ein Fahrrad ? es steht ihm auf die Stirn geschrieben, dass er nicht glücklich ist."
     "Ich werde dir nichts mehr über ihn erzählen." antwortete Gaucys erbost.
     "Du brauchst nichts zu erzählen, aber was auf seine Stirn geschrieben ist, das ist geschrieben. Er wird im Leben nicht glücklich sein."
     "Du bist eine Wahrsagerin."
     "Nun gut. Wenn Regen kommt, werdet ihr dann beide hier lernen?"
     "Jeder allein, Vidas wird dann später wieder herradeln."
     Sie schoben das Fahrrad auf die Landstraße, dort standen sie eine Zeit lang und schauten auf das große Roggenfeld, hinter dem das graue Schindeldach von Svazas? Hof zu sehen war, und dort am Fuße des Berges floss die Venta. Es fühlte sich an, als ob sogar schon hier auf der Landstraße die Kühle des Flusswassers zu spüren war. Links hinter dem Roggenfeld befand sich der restliche Teil des Dorfes, aber jetzt nannten ihn alle das Zentrum, weil dort die Brigade arbeitete, dort blinkten die Scheiben der Gewächshäuser, die Schieferdächer der Kornlager, dort versammelten sich jeden Morgen die Bewohner des ganzen Dorfes, und der Brigadeleiter wies jedem seine Arbeit zu.
     Sie schoben das Fahrrad weiter am Roggenfeld entlang, von dort führte ein schmaler Weg zu Svazas? Hof, dann durch den Hof den langen Abhang hinunter, wo der große Garten von Svazas lag, und schließlich durchquerten sie mühevoll die sumpfige Wiese, die den Burgberg in einem großen Bogen bis hin zum Fluss umschloss, niemand hatte sie jemals gemäht, da sie nur mit Büscheln von scharfrandigen Grashalmen und Wollgras bewachsen war. Vielleicht war hier vor mehreren hundert Jahren ein morastiger Sumpf, ein Wehrgraben oder sonst etwas gewesen.
     Die Hänge des Burgberges waren hoch und steil, das Fahrrad ließen die beiden Freunde bei den Weidenbüschen am Fluss, dann stiegen sie zum Gipfel hinauf. Der war flach wie ein Tisch, bewachsen mit mancherlei zarten Gräsern und Thymian. Direkt am Rand des Gipfelplateaus wuchs noch eine große alte Kiefer, deren Baumkrone der Wind abgerissen hatte. Vielleicht hatte sie früher in der Mitte des Gipfelplatzes gestanden, aber die Venta spülte den Burgberg ständig von unten aus und jedes Jahr stürzten von neuem große Erdklumpen, Rasenstücke, Wurzeln und Niströhren der Flussschwalben in den Strom. Ein Teil der knotigen, abgebrochenen und bizarren Kiefernwurzel hing in der Luft. Ein dicker, etwas vertrockneter Ast streckte sich weit über den Fluss, über das unten wirbelnde Strudelloch, niemand kannte die Tiefe dieses Strudellochs, obwohl einige Kinder des Dorfes auf dem Ast entlang balancierten und dann hinabsprangen, mit den Füßen nach unten, die Händen wie Zinnsoldaten an die Seiten gepresst, jedoch hatte nie jemand den Boden des Strudelloches mit den Fußsohlen berührt.
     Das jenseitige Ufer war eben und glatt, bis ans Wasser abwechselnd mit Weidensträuchern oder Gras bewachsen. Weiter entfernt stand noch Sommergetreide, dahinter sah man Dächer irgendeines Hofes, einige Bäume und einen ausgetretenen Pfad, der durch das Feld mit Sommergetreide zum Hof führte.
     Die kleineren Kinder des Dorfes gingen hier nicht schwimmen, für sie war es zu tief und zu gefährlich, sie planschten auf der anderen Seite des Dorfes in einer seichten Bucht, wo der Sand des Bodens zu sehen war und einige Boote angelegt hatten, die irgendjemandem gehörten.
     Wenn sie das Plateau erklommen hatten, breiteten sie unter der Kiefer im Schatten Hosen und Hemden aus, legten sich bäuchlings darauf und schlugen die Bücher auf. Beide hatten das Abitur etwas besser als durchschnittlich bestanden, aber für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule mussten sie in Englisch und Mathematik noch allerhand bimsen. Hier oben war es frisch und es blies, wenn der Wind auch heiß war, aber immerhin ein Wind, der die Haare zauste und die Buchseiten umblätterte.
     "Wie gut ich mich hier fühle!", wunderte sich Vidas schon beim ersten Mal. "Ich fühle mich so gut, dass ich mich gar nicht konzentrieren kann."
     In seinem Dorf gab es keinen großen Fluss, nicht einmal ein kleiner Bach floss vorbei, deswegen konnte Vidas nicht schwimmen.
     "So geht es nicht," entschied Gaucys, "wenn man dich nun in der Aufnahmeprüfung fragt, ob du schwimmen kannst. Du willst ein Matrose sein und kannst nicht schwimmen! Man wird dich gar nicht weiter fragen, das war?s dann ?"
     Beide gingen vom Burgberg aus ein ziemliches Stück stromabwärts, wo es in der Nähe des Ufers keine Strudellöcher und Strudel gab, Vidas wurde anfangs von Gaucys gehalten, und nach einigen Stunden paddelte er schon wie ein Hündchen alleine an den Gräsern entlang, später versuchte er sogar schon zu kraulen.
     Der Fluss zog Vidas wirklich wie ein Magnet an, kaum hob er die Augen von dem Buch, sofort starrte er lange zu der unten fließenden Venta, zu dem strudelnden Fluss, ungefähr zehnmal am Tag schlug er vor, nach unten schwimmen zu gehen, und sehr oft musste Gaucys ihn fragen: "Sind wir hierher gekommen, um zu schwimmen oder um ab und zu auch ein wenig in das Buch zu schauen?"
     Vidas schüttelte heftig den Kopf, damit das Bild des dahinfließenden Stroms vor seinen Augen verschwinden möge.
     Als Vidas und er das erste Mal das Fahrrad am Roggenfeld entlang in Richtung von Svazas? Hof schoben, dann durch dessen Garten den Abhang hinunter, sagte Gaucys aus irgendeinem Grunde: "Hier wohnt Svazas Undininis."
     Vielleicht deswegen, weil er wie alle Dorfkinder vor Svazas panische Angst hatte, als er klein war. Sein großer Garten lag voll von schönsten heruntergefallenen Äpfeln, sie lagen grün und rot dicht nebeneinander im Gras, aber niemand wagte, sich zu bücken und einen Apfel aus dem Garten aufzuheben, nicht einmal jene Äpfel, die genau auf die Mitte des Weges gerollt waren. Wenn die Schar der lärmenden Kinder sich seinem Garten näherte, dann ging Svazas sofort auf den Weg und erwartete sie ruhig. Die Kinder verstummten und fassten sich aus Angst an den Händen und rückten zu einem engen Häufchen zusammen, so dass beim Gehen ihre Beine und Füße durcheinander gerieten.
     "Bleibt sofort stehen!", pflegte Svazas ruhig zu sagen. "Wenn ihr meine Äpfel stehlt, salze ich euch ein!"
     Dann wandte er ihnen den Rücken zu und schritt ruhig in sein Haus. Aber bei Gott, was für ein Getrappel ihrer nackten Füße den Abhang hinunter war plötzlich zu hören. Und das Weinen der Kleinsten, die bei dem Gerenne zurückblieben oder hinfielen! Die Männer des Dorfes versuchten sogar einmal, Svazas ins Gewissen zu reden.
     "Schadet es dir etwa, wenn ein Kind einen heruntergefallenen Apfel aufhebt?
     Du lässt doch sowieso fast alle verfaulen."
     "Sollen sie verfaulen, es ist gut, wenn sie im Garten verfaulen, dann düngen sie die Erde."
     "Aber warum willst du sie mit Einsalzen ängstigen?"
     "Vielleicht werde ich sie ja einsalzen, was wissen sie schon?"
     Er zuckte mit den Schultern und trottete fort.
     "Und warum nennt man ihn Wassermann?", fragte Vidas und schaute in den großen Garten am Abhang.
     Gaucys wollte es erzählen, aber da sah er nicht weit entfernt Svazas, der sehr aufmerksam zu ihnen beiden herüberschaute. Es war nicht üblich, Svazas guten Tag zu sagen, niemand im Dorf tat es, weil er auch niemandem zu antworten pflegte. Die beiden gingen schweigend vorbei, aber Gaucys spürte lange seinen Blick im Rücken.
     Früher war Svazas ein Mensch, wie jeder andere gewesen, eigentlich sogar hübscher, seine Haare waren so üppig und lockig wie bei keinem anderen jungen Mann in der Umgebung. Aber Gaucys hatte diese Haare niemals gesehen, weil Svazas im Winter und im Sommer mit einer Hundefellmütze herumspazierte, die über die Ohren reichte - waren die Haare unter dieser Mütze vielleicht längst weiß geworden oder gar ausgefallen? Niemand konnte sich daran erinnern, wo die Familie Svazas ursprünglich herstammte, sie wohnten schon seit Alters her in dem Dorf und waren Fischer. Zu den Zeiten von Smetona war Svazas der einzige Fischer am diesseitigen Ufer der Venta, der sich nur mit der Fischerei befasste und davon lebte. Jeden Morgen in der Früh schob er seinen, löchrigen hölzernen Kasten, den er auf die Räder eines Fahrrades montiert hatte, vor sich her. Die Frauen der Stadt kauften ihm sofort alles ab, bis auf das letzte Fischchen, und den streunenden Katzen des Marktes blieb allein der Geruch dieses Kastens. Als die Russen kamen, verboten sie Svazas die Fischerei mit Netzen, nahmen ihm das Boot und die Netze weg, und so fischte Svazas schon lange nicht mehr, er ging nicht einmal mehr in die Nähe des Flusses. Er hatte sogar Angst, zum Brunnen zu gehen. Am Pfahl des Schwengels befestigte er eine Kuhkette und an dieser einen Kappstrick, den er sich am anderen Ende um den Bauch band, erst dann hob er die Stange und ließ, über den Brunnen gebeugt, den Eimer mit geschlossenen Augen nach unten. Schon seit langem war er so merkwürdig geworden, hatte angefangen, in Rätseln zu sprechen, obwohl man nicht sagen konnte, dass er völlig irr redete. Er sah den Menschen nicht mehr in die Augen, ging weder ins Badehaus noch in die Kirche, er wusch sich nicht und ebenso wenig seine Hemden, erst wenn sie faulten, zog er ein anderes an. Die Männer des Dorfes redeten über diese Merkwürdigkeiten von Svazas, sie lachten aber nicht bösartig darüber, die Frauen dagegen erinnerten sich gerne an Svazas? Liebesgeschichte, die sie sehr schön fanden, und gäbe es nicht dieses Ende der Geschichte, hätte sich jede im Geheimen gewünscht, darin die Stelle von Svazas? Geliebter einzunehmen.
     Nicht eine einzige hatte Svazas in seinem Dorf angeschaut, aber am jenseitigen Ufer wohnten auf einem Hof, den man vom Burgberg aus hinter dem Feld mit dem Sommergetreide sieht, die zwei Schwestern Rimdeikaites, Zwillinge, außergewöhnlich schöne junge Damen. Ihre Eltern waren gestorben, und sie lebten alleine und verdienten sich ihren Unterhalt mit nähen. Kaum hatte die Venta das Eis aufgebrochen, fuhr Svazas mit seinem Boot jeden Abend an das gegenüberliegende Ufer des Flusses, er hatte überhaupt keine Angst, dass die treibenden Eisschollen sein Boot wie eine Nussschale zertrümmern könnten. Jeden Abend setzte er über den Fluss, mehrere Jahre lang, aber eine klare Entscheidung konnte er sich offenbar nicht treffen. Svazas? Eltern hatten wenig Land besessen, nur den langen Abhang bis zum Fluss und noch einige Felder hinter einem Stall, der zugleich Scheune war. Noch als ganz junger Mann hatte Svazas, als Mitglied des Bauernverbandes, auf dem ganzen Abhang einen prächtigen Garten angelegt. Es war nicht nur ein einfacher Garten: er bestand aus sechs geraden Reihen mit Äpfel- und Birnenbäumen, die fast bis an die dicht mit Wollgras bewachsenen Wiese reichten, und in jeder Reihe wuchsen je fünfzehn Obstbäume, weiß gekalkt, die Svazas pflegte, ja, man kann sagen, er hat sie liebkost. Svazas? Eltern waren längst gestorben, auch die beiden Zwillingsschwestern waren nicht mehr ganz jung, aber immer noch gab es keine Hochzeit. Von dieser Hochzeit sprachen die Frauen des Dorfes, sie seufzten und gerieten darüber in Rührung.
     Dann war es wieder Frühling, der große Garten von Svazas stand in voller Blüte, im Hof um den Brunnen herum lärmten die Hochzeitsgäste und die Musikanten, da fuhr Svazas mit dem Boot zu seiner Braut. Als er sie am jenseitigen Ufer zu seinem Boot führte, schrie die Braut laut auf und war sprachlos, der ganze Boden des Bootes war mit blühenden Apfelzweigen ausgelegt! ? Svazas setzte sie in die weißen Blüten, er selber aber nahm die Ruder.
     Die Frauen, die das damals gesehen hatten, sagten, dass sie diese Schönheit nie vergessen würden: durch den mit Blüten übersäten Garten, durch seine Mitte schritt der große schwarzhaarige Svazas mit seinem einzigartigen Lockenkopf, und daneben, in seinem Arm eingehängt, schritt die Braut, sie hatte sich ein Kleid und einen Brautschleier von solcher Schönheit genäht, so weiß, dass sie weißer aussah als die blühenden Apfelbäume! Das war ein Paar, welches Gott wirklich segnen musste mit einem langen und einem von Liebe erfüllten Leben.
     Die Hochzeit war nicht riesig, aber dennoch blieb sie dem ganzen Dorf lange im Gedächtnis haften. Erstens hatte Svazas nur eine der Schwestern von dort zu sich herüber geholt, nur die Braut, er sagte, dass die andere erkrankt wäre.
     Zweitens, als es am Abend schon dunkelte und sich ein Brautführerpärchen im Garten unter den Obstbäumen küsste, ruderte mit einem anderen Boot die zweite Schwester von dem jenseitigen Ufer über die Venta, aber sie stieg nicht den Abhang hinauf zum Hof, sondern suchte in der Dunkelheit nach dem höchsten Apfelbaum im Garten und begann ein Seil daran zu binden. Als das Pärchen zu rufen anfing. "Was tust du?" ? "Was tust du?", da warf sie die hin und her pendelnde Schlinge fort und rannte zum Fluss zurück, und das Pärchen hörte nur ein hastiges Platschen der Ruder im Wasser. Sie wollten die Hochzeitsfeier nicht stören und berichteten nur Svazas oder vielleicht noch jemandem davon, der ging dorthin und löste ruhig das Seil ab, rollte es zusammen und nahm es mit nach Hause.
     Im Herbst, vielleicht Ende November, als die Venta furchtbar anschwoll und tobte, gebar die junge Svaziene ein Mädchen, obwohl damals zur Baumblüte selbst die aufmerksamsten Frauen noch nichts hatten bemerken können. Eine Woche danach kam auch ihre Schwester nieder. Da wickelte Svaziene den Säugling in ein Federbett, verschnürte es mit einem Strick und wollte von Svazas sofort auf das jenseitige Ufer hinübergesetzt werden.
     "Siehst du nicht, wie der Fluss jetzt tobt? Das Kind ist nicht älter als eine Woche. Gott bewahre, wenn ? es ist noch nicht einmal getauft ?"
     "Ich sage dir, bring uns hinüber! Ich werde beide Kinder nebeneinander legen und Gott bewahre dich, Svazas, vor einem solchen Leben, wenn sie einander ähnlich sein sollten! ?"
     Sie ging mit dem großen, weißen Bündel im Arm, ohne auf Svazas zu warten, auf dem Gartenpfad zum Boot hinunter, und er lief mit den zwei Rudern auf den Schultern hinterher. Aber es verging vielleicht nur eine gute halbe Stunde, bis sie am jenseitigen Ufer wieder mit dem Bündel erschien. Der Fluss schäumte und tobte, aber Svaziene stand plötzlich aufrecht mittendrin, warf ihr Bündel weit fort und sprang hinterher. Svazas versuchte, das Boot unter Kontrolle zu bekommen und schaute um sich, an welcher Stelle Svaziene zum ersten Mal an der Oberfläche auftauchen würde, da packte der Fluss das weiße Bündel und trug es weit mit sich fort, aber Svaziene tauchte nicht wieder auf.
     Diese lange Geschichte machte keinen großen Eindruck auf Vidas, er überlegte nur ruhig: "Ob der Mensch irgendwann wissen wird, welche Kräfte in seinem Verstand verborgen sind? Und was mit seinem Verstand geschieht, wenn irgendetwas aus der Tiefe unerwartet hochkommt ? nun gut, lernen wir weiter, sonst verlieren wir beide den Verstand und bestehen die Aufnahmeprüfungen nicht."
     "Warte, ich habe dir noch nicht alles erzählt", Gaucys hatte das Gefühl, dass Svazas? Geschichte auf eine unerklärliche Art und Weise für sie beide wichtig wäre. Und zwar nicht nur, weil Svazas sie jeden Tag am Weg empfing, sie aufmerksam und lange betrachtete, so als ob er etwas sagen wollte.
     Das weiße Bündel wurde nach einem Tag gefunden, es war in den überschwemmten Weidengebüschen am Ufer hängen geblieben, aber Svaziene fand man erst nach ein oder zwei Wochen, sie war in die weiteste Ferne fortgetragen worden, noch unterhalb der Stadt hinter dem jüdischen Friedhof, nicht weit entfernt von dem Mühlendamm. Man brachte Svazas in die psychiatrische Abteilung, aber schon nach einem halben Jahr wurde er entlassen und zum Invaliden erklärt. Deswegen ging er auch nicht mehr in die Kolchose, und es wollte auch niemand mit ihm zusammenarbeiten. Man roch schon aus einigen Metern Entfernung seinen säuerlichen Schweiß, und den seines nassen Hund. Jetzt während der Hitze trug Svazas eine warme Hundefellmütze mit den Ohrenklappen auf dem Kopf, auf dem nackten Körper eine mit dem Hundefell nach innen gekehrte Weste, und barfuss stand er in seinen Galoschen. Im Winter zog er über diese Weste noch einen Mantel aus Hundefell und trug Strümpfe aus Hundefell. Niemand sah ihn je anders bekleidet. Er lebte nur von seiner Invalidenrente, aber im Herbst verdiente er mit seinem Garten noch etwas dazu, jedes Jahr kam jemand mit einem Lastwagen und kaufte ihm alles ab. Deswegen verstand auch niemand, warum er die Hunde umbringen musste, als ob er Hungers sterben würde.
     "Ich esse dreimal am Tag Fleisch!", prahlte er, "und ihr?"
     Svazas besaß eine hochbeinige braune Hündin, die jeden Frühling und Herbst läufig wurde, und dann kamen für die Hunde des ganzen Dorfes schwere Tage, denn sie wurden eingesperrt, sogar die kleinsten zottigen, die sonst herumliefen, wo sie wollten: alle wurden an Ketten gelegt oder im Stall eingesperrt, so lange, bis die bräunliche Hündin nicht mehr läufig war. Aber Svazas waren die Köter des Dorfes gleichgültig, wenn der Wind sich in Richtung Stadt drehte, versammelten sich dort Dutzende von Hunden, und ganze Rudel bogen in den Hof ein, dann führte Svazas seine Hündin in den Stall und alle Hunde folgten ihr, Svazas verriegelte die Tür des Stalls, die Hündin aber führte er durch das Türchen zum Garten in das Freie und band sie an der Hundehütte fest, damit der Wind den Geruch wieder in Richtung Stadt tragen würde. Diese Tage waren für Svazas sehr arbeitsreich: erschlagen, häuten, zerhauen und in zwei großen Zubern das Fleisch salzen.

                                                        *

Mit freundlicher Genehmigung des Wallstein Verlages

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