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Heute öffne ich. Ich hätte es schon gestern tun können.
Worauf warte ich?
Auf den ersten Gast.
Unschlüssig stand ich am Tresen, befüllte die Kaffeemaschine, machte mir einen Milchkaffee zur Übung, nahm ein Tablett und trug drei Gläser Wasser durch den Raum, ich stolperte nicht, und nichts zerschellte auf dem Boden.
Als ich das Tablett vorsichtig auf einem Tisch abstellte und mich setzte, hörte ich ein Geräusch. Vielleicht klopfte es im alten Holz. Vielleicht klopfte es aus dem Keller.
Alles Lauschen verriet mir nichts, aber Unruhe beschlich mich. Ich stand auf und drehte das Pappschild um.
Am ersten Tag steckte ein Kind den Kopf durch die Tür.
Am zweiten Tag kam niemand.
Am dritten Tag kehrte eine alte Dame für eine halbe Stunde ein, sie trank einen Espresso.
Am vierten Tag kam vormittags eine Frau meines Alters und schrieb zwei Postkarten. Sie bat um einen Milchkaffee und ein Croissant. Nachmittags kamen vier jüngere Männer, ihre Gesichter waren gerötet, es war fünf Uhr, als sie Crémant bestellten und nach etwas zum Knabbern fragten.
Am fünften Tag, einem Samstag, füllten sich nach der ersten Abendvorstellung im Kino plötzlich alle Tische. Ich zählte und kam durcheinander, von zwei Tischen riefen gleichzeitig ungeduldig zwei Gäste. Nach einer halben Stunde schob sich Kasia durch die Tür und stellte sich neben mich.
Sie rennen, ich fülle Gläser, beschied sie und gab mir einen Stoß in den Rücken.


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Mit dem letzten Glockenschlag um Mitternacht war alles leer, auch Kasia war verschwunden, aufgewirbelter Staub senkte sich, es war still, ich spülte die letzten Gläser.


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Du spinnst total, schrieb Friedrich, als ich ihm eine Nachricht mit den geänderten Öffnungszeiten schickte. Das kannst du nicht durchhalten. Ich bin jetzt in Italien, ich laufe durch die Berge, die Winde blasen stark, es gibt noch immer verlassene Städte, die Leute, habe ich gehört, fürchten, dass in den Mauern oder den Polstergarnituren der leeren Wohnzimmer Viren lauern, andernorts fürchten sie die wiederkehrenden Erdbeben, andernorts Waldbrände. Und es gibt welche, die erzählen, dass noch immer in den Kellern und Gerätehäusern Leichen liegen, luftdicht in Säcken verpackt. Robert habe ich auf einer meiner Wanderungen getroffen.


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Von Robert träumte ich nachts, meine Finger bebten und zitterten, ich entzückte mich an ihnen und flog in seine Arme, er strich über meine Augenbrauen, die Falten an seinen Mundwinkeln rührten und trösteten mich zugleich, und schließlich schlief ich beruhigt an seiner Brust ein.


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Anderntags erschienen zwei Studenten aus dem Institut, betrachteten mich nachdenklich, stutzen, strahlten mich dann an.
Da sind Sie wieder! Haben Sie Feldstudien betrieben? Wir haben Sie vermisst!, rief der eine.
Als ich nach ihren Wünschen fragte, begriffen sie und erröteten leicht. Sie wollen uns bedienen?
Ja, sagte ich und musste achtgeben nicht zu jubeln.
Ein Glas Wasser bestellten sie zu zweit. Jeder einen Espresso.
Dann ein Stück Kuchen, das ich nicht hatte. Dann eine Limonade. Später Crémant und endlich zwei Gläser Rotwein.
Zwei Frauen kamen kurz und gingen, zwei andere kamen, blieben auch, und später kamen ihre Freunde. Cafés werden immer teurer, sagten sie, wer geht schon in ein Café, sie warfen mir einen abfälligen Blick zu und brachen um Mitternacht auf.


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Gäste sind kein scheues Wild, sagte ich mir.


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Im Treppenhaus verlosch immer wieder das Licht, die Stufen lagen dann im Dunkel, die Bewohnerinnen stolperten, der vormalige Hausmeister Herr Biliki kam und bot mir an, in meinem Hof, den ich noch nicht betreten hatte, einen alten Generator aufzustellen, mit Diesel zwar und folglich streng verboten, jedoch höchst effektiv und zuverlässig, der ungewohnte Lärm werde zwar die Anwohner aufschrecken und belästigen, andererseits für Licht sorgen, und schließlich werde damit auch mein Café stets beleuchtet sein. Die Gäste würden ja sonst ausbleiben.
Aber bei mir gehe das Licht nicht aus, wagte ich einzuwenden, und dass ich den Hof noch nicht betreten.
Gleich darauf lagen ein paar Abende hintereinander alle Häuser der Straße im Stockdunklen. Frau Plessow behauptete, in der Straße das Grunzen von Wildschweinen gehört zu haben. Herr Biliki konterte, das seien die Schmerzenslaute von Passanten gewesen, die gegen geparkte Autos, gegen Tretroller und Poller und andere Passanten gestoßen seien.
Dieselben Leute kamen wieder und setzten sich an die gewohnten Tische, ein Glück, dass sie nicht wegblieben.
Mit Friedrich waren sie lange zufrieden gewesen, nun war ich statt seiner dort, und wenn sie nicht zufrieden waren, kamen sie doch und bestellten, was sie immer schon bestellt hatten.
Die alte Frau Plessow lächelte leise, als sie mich auf der Straße traf, hinter ihr fiel die schwere Tür ins Schloss, Wind fegte eine Taube vorbei.
Ungeziefer, sagte sie und schob mit ihrem weißen Schuh einen kleinen Kadaver vor sich her. Immerhin haben Sie Kerzen, das gleicht manches aus. Und aus dem Haus kommt eh keiner ins Café.
Ich nickte folgsam.
Und wie der Hof aussieht.
Sie ging. In ihren Augen war ein kühler Schimmer. Ich hielt ihr noch immer vergebens die Tür auf. Als sie außer Rufweite war, suchte ich, was sie beiseitegeschoben hatte, mit dem Fuß.


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Die Lider halb geschlossen, lag da bewegungslos eine junge Ratte in einem blauen Hosenanzug. Was für ein seltsames Spielzeug, dachte ich, wie echt das Fell nachempfunden.
Sie blutete aus einer Kopfwunde. Die Zähne waren gebleckt.
Eine Pfote hing über die Kante des Bürgersteigs hinunter auf die Straße.
Mir schwindelte, ich schloss die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, lag das Tier einen Meter weiter auf der Fahrbahn, ein Auto sirrte heran und überfuhr es.
Jetzt waren nur noch der Hinterleib und der Schwanz erkennbar.


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Irgendwann kriechen auch die Reichen aus ihren allzu hellen Wohnungen, sie fliehen vor den Fenstern, aus denen sie die ganze Stadt überblicken müssen, verkündete Herr Lehmann. Wenn sie sich amüsiert haben, werden sie schwermütig, wenn sie schwermütig sind, werden sie trübsinnig und suchen Trost. Immer wieder kommen ihre Fensterputzer, reiben das Glas, bis es glänzt, aber das hilft auch nicht, u8nd ihre liebsten Restaurants liegen halb unter der Erde mit winzigen Fensterchen, weil die Leute ihre eigene Pracht nicht mehr aushalten. Dann aber wollen sie wieder ans Licht steigen, am Licht gewöhnlicher Sterblicher teilnehmen, da kommen sie in die Cafés!


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Einen Tag war Kasia weggeblieben, zwei Tage hatte sie sich rar gemacht, am dritten Tag hob sie den rechten Fuß und trug, an einem sonnigen Herbsttag, silberne Sandaletten.
Sie stellte den Fuß auf einen Stuhl und klagte: Ist eng für Fuß. Und riecht. Mein Fuß riecht wie im Sommer, ist zu heiß, und Füße wissen, wie es besser sein soll.
Vom Glanz angezogen wollte ich mich nähern, sie wedelte aber wild mit der Hand.
Kommen brandneue Gäste!
Ich drehte mich zur Tür.
Drei waren es, ein braungelockter Jüngling, eine verwitterte Frau mit Stöcken, eine uralte Frau mit einer Warze auf der Nase, wie ich sie nie gesehen hatte.
Sie setzten sich an den großen Tisch am Fenster, breiteten Papiere aus, die der Junge eins ums andere aus der Tasche zog, und blickten sich suchend um.
Kasia klopfte mit ihren Sandalen auf die Dielen, als müsste sie im Keller die Dienerschaft aufscheuchen.
Champagner!, rief die Uralte. Die Verwitterte stieß sie mit dem Stock und schaute zum ersten Mal zu mir.
Wir brauchen erst eine Suppe, sagte sie streng. Nichts anderes als eine heiße Suppe.
Heiß ist es draußen!, wehrte der junge Mann ab.
Bald wird es noch heißer, sagte die verwitterte Frau, die vielleicht seine Mutter war.
Das ist nicht meine Mutter!, sagte der Jüngling, als hörte er meine Gedanken.
Entschuldigung, murmelte ich.
Wir planen ein Fest, erklärte die Uralte. Warum man das ohne Champagner tun sollte, leuchtet mir gar nicht ein.
Wann bist du noch mal geboren?, fragte die Mittlere.
1928, antwortete spitz die Erste. Und ob. Bloß weil ihr alle vor hundert sterben wollt!
Ich brachte eine Flasche Wasser und eine Flasche feinsten Zitronensirup und ein Schüsselchen mit Eiswürfeln, ein weiteres mit Minze und drei tiefe Teller mit drei Suppenlöffeln.
Die drei schauten zu mir auf und rührten sich nicht.
Sie sagten nichts, dann standen sie auf, gleichzeitig, als wollten sie gehen.
Kasia schnaufte wütend.
Bravo!, riefen die drei laut und applaudierten.
Ich verbeugte mich dankbar und kehrte zurück hinter meinen Tresen.
Kasia kam zu mir. Sind wahnsinnig, flüsterte sie, sie hatte jetzt die andere Sandale in der Hand und hob sie, als wollte sie den Schuh auf die Gäste schleudern.
Vorsichtig trat ich auf ihren nackten Fuß, dass sie zusammenzuckte und verstummte.


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Die Katze des Lieferanten hatte ich vergessen, er hatte sie im Hof ausgesetzt, jetzt saß sie plötzlich im Fenster und spähte durch das Gitter.
Wie gut, dass ich das Fenster geschlossen hatte, sonst wäre sie hereingekommen.
Weit riss sie das winzige Maul auf und miaute, es war laut genug.
Ich tat, als könnte ich sie nicht sehen.
Tiere, hatte meine Großmutter mir gesagt, glauben, dass du sie nicht siehst, wenn du so tust, als würdest du sie nicht sehen.
Tiere, sagte sie, sind unrettbar. Sie werden, sagte sie einmal, zurückkehren, du wirst es noch erleben.
Die Tiere, hatte sie gesagt.


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Auch in den beiden kleinen Toiletten gab es Fenster nach draußen, ebenfalls vergittert. Ein großes Waschbecken gab es auch und einen Putzschrank, in dem ich meinen Waschlappen versteckte und mein Handtuch, meinen Zahnputzbecher und eine Creme.
Spähte ein Vogel herein oder gar die Katze, zog ich den Vorhang zu.
War die Luft rein, schaute ich vorsichtig in den Hof und sah nichts und war enttäuscht.
Ein wenig Gesellschaft wäre gut, dachte ich. Kasia leerte manchmal einen Putzeimer im Hof aus, mit Schwung.
Es wuchs Löwenzahn und Goldrute und Winde. Auch ein Löwenmäulchen sah ich in einer Ecke.
Man wird wissen, wenn es Zeit ist, sagte ich mir, in den Hof zu gehen und die Remise anzuschauen, deren Backsteinmauer ich von der Küche aus sehen konnte.
Ein Fensterladen klapperte.


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Das ist der Fensterladen, sagte ich mir, als ich es nachts klappern hörte. Ich richtete mich im Sessel auf. Vor der großen Scheibe sah ich sie vorübergehen, sehr langsam gingen sie, drei Männer, sie trugen Anoraks mit Fellbesatz, jung sahen sie aus, wie Florian jetzt aussehen musste, wie Brüder gehen sie, dachte ich, weil sie sich eingehakt hatten, dann waren sie vorüber, aber nur für einen Augenblick. Die Dosen, mit denen sie nach einer Straßenlampe warfen, hatten sie vielleicht bei Herrn Lehmann gekauft und rasch ausgetrunken. Ich war froh, dass kein Licht mehr brannte im Café. Das Buch war mir vom Schoß geglitten, die Decke zog ich hoch bis an mein Kinn.
Da waren sie zurück, beugten sich an der Tür, als suchten sie den Türgriff im Dunklen.
Hallo, wollte ich sagen. Guten Abend!
Gute Nacht, flüsterte ich, als sie das Schloss öffneten, vielleicht mit einem Draht. Es war so still und friedlich.
Was wünschen Sie?
Mein Herz klopfte schnell, ich warf die Decke über mich und hörte ihre Stimmen.
Schon waren sie im Café, zogen die Tür ins Schloss, lachten schallend, rissen zwei Stühle von den Tischen, waren schon fast bei mir, zogen Flaschen aus dem Regal, lasen die Preise vor im Triumph, die billigen ließen sie fallen, nahmen die teuren, setzten sich an einen Tisch, schlenderten dann wieder zum Tresen, die Kasse stand offen und war leer bis auf ein paar Münzen, die flogen durch den Raum, und Gläser klirrten, Karaffen waren das, dann stemmten sie zu dritt die Kaffeemaschine ein Stück hoch. Zu schwer, rief der eine, lohnt sich nicht! Mach ein Foto, riet ein anderer.
Die kleine Musikanlage fegten sie von der Fensterbank, kippten die Besteckschublade aus. Mit den Gläsern zielten sie nach der Lampe, und meine Hände zuckten, weil ich mir die Augen zuhalten wollte, die Ohren zuhalten. Hätte ich Geld bei mir, dachte ich, vielleicht wollten sie meine Gäste sein. Sie stießen etwas über den Boden, das könnte ich sein, dachte ich, jetzt wollten sie wohl gehen. Weiter!, befahl der eine, der andere murrte, hörte ich, kam näher, trat wieder ans Regal. Grappa ist auch Schnaps!, rief er, schlug die Flasche auf. Knie dich hin, Maul auf!, rief er. Ich hörte das Glucksen aus der Flasche, still war es plötzlich, einer schluckte und schluckte wieder, ich durfte nicht mehr atmen.
Was ist das?, fragte der dritte, stieß gegen den Sessel.
Scheiß Dunkelheit, mach Licht!, antwortete von der anderen Seite einer und lachte auf. Ich hörte, wie es plätscherte.
Du Schwein, sagte einer kichernd.
Los, befahl der, der weiterwollte, einer stieß gegen einen Tisch, stürzte fast.
Die Tür schloss sich leicht, als wäre alles nur ein Spiel, ich hörte sie noch von der Straße, dann verklangen ihre Stimmen. Es blieb lange still, ich wollte mich nicht rühren, ein Vogel zwitscherte und dann ein zweiter, aufstehen wollte ich nicht, hielt mich an der Decke fest, wenn einer käme, dachte ich, wenn einer kommt, nun weine nicht.


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Im Halbschlaf wachte ich auf von einem Zwiegesang von einer Stimme, zornig und dann wie zum Gebet, ein böses Fluchen, dann eine sanfte Bitte, so ging es hin und her, dann ein erschreckter Ruf, und dann war die sanfte Stimme über mir, ergriff mich mit aller Macht, rüttelte, und weil sie weit weg war, ich nicht gleich die Augen öffnete, umarmte Kasia mich, hielt mich in ihren Armen, kniete vor dem Sessel und wischte mein Gesicht mit ihrer Hand, denn die Tränen tropften mir aus den Augen.


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Süßling, mach die Augen wieder zu, ich putze, musst nicht gucken!
Sie lief, hockte wieder bei mir, rief Stislaw an, brachte mir Wasser, klagte, während ich noch reglos blieb, die Augen öffnete ich aber, sah die Scherben und die Pfützen, roch den Urin, ein Stuhl war zerbrochen, eine Lampe war zersplittert, und Kasia wurde rot vor Zorn, als sie die Pisse wegputzte, sie hatte Handschuhe geholt, die sie sonst nie benutzte, und ich wusste, dass ich aufspringen musste und helfen. Dann stellte ich fest die Füße auf den Boden, Kasia schimpfte, ich dürfe barfuß nicht aufstehen wegen der Scherben, mir sank wieder der Mut, wir waren froh, als Stislaw kam.
Polizei rufen, sagte er, aber er zuckte dabei mit den Schultern. War bestimmt nur Langeweile, sagte er und hob den Stuhl mit dem gebrochenen Bein, schaute auf die Lampe, nahm die Musikanlage, pfiff dünn, trug alles hinaus.
Jeden Stuhl wischten wir, jede Lehne, jede Strebe, schrubbten die Tische, suchten auf dem Boden noch Spuren, nachdem wir ihn gewischt hatten, wischten ihn wieder, es rochjetzt nach Lavendel. Ich fragte mich, was das für eine Fußspur sein könnte, die eines Diebes, die eines Schutzheiligen, da war nur ein Abdruck wie von frischer Farbe, ein großer, breiter Fußabdruck, und keiner wusste, woher er kam.
Und wie Kasia noch immer putzte und Stislaw draußen hämmerte, ging ich zur Bodenluke, fragte mich, ob dort ein Versteck zu finden sei, ich bückte mich und zog an dem schmalen Gurt und staunte, dass sich leicht die Klappe hob, so leicht, als würde von unten jemand helfen, und wie von oben hörte ich von unten jetzt einen Singsang, Kasia sang, und unten, im Keller, sang auch jemand ein Lied.


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Der verstörte Kopf sieht Verstörendes, es war auch, als ich die Klappe ganz geöffnet und fünf Stufen hinuntergestiegen war, dunkel unten, und aus dem Dunklen kam der Gesang, und während Kasia oben summte, weinte, schimpfte, wegen meines Unglücks und wegen ihrer polnischen Malheurs aus Schlamm und Trug und Trunkenheit, aus arbeitslosen Männern und enttäuschten Frauen, sah ich unten hastiges Hin und Her und Hetzerei, und wie ich genau hinschaute, erkannte ich dort Ratten. Ratten, die um Ziegel herumrannten wie in einer Rallye, Ratten, die Koffer und schwere Taschen trugen, Ratten, die Kleider in Koffer rafften, flüchteten, oder sie spielten, dass sie flüchteten, oder ihr Spiel war unausweichlich Ernst.
Nachts siehst du Einbrecher, am Tag siehst du in deinem Keller Ratten, vielleicht sind alles Hirngespinste, vielleicht auch nicht.
Ich führe dich im Dunkeln, hatte Florian früher oft gesagt, wenn du dich fürchtest! Meine Augen sehen besser, hatte er sich gebrüstet, und ich schloss gern die Augen, denn er geleitete mich gut, seine Hände auf meinen Schultern, schob mich sachte vorwärts. Zuweilen hatte Daniel sich versteckt, darin war er Meister, sogar in unserer Wohnung, und nur, wenn Florian mich leitete, fanden wir ihn schnell, weil ich mit geschlossenen Augen das allerleiseste Geräusch hörte.


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Müssen gehen, rief Kasia mir zu und tat, als hätte sie nicht bemerkt, dass die Kellerluke offen stand. Ich schloss sie rasch. Lärmend räumte Kasia das letzte Putzzeug zusammen und sprach von weitem weiter.
Sie müssen heute ruhen, Geruch weggehen lassen, wies sie mich an und zeigte auf den Sessel und zeigte auf die Tür, als wollte sie mir sagen, dass ich spazieren gehen solle, energisch drehte sie das Pappschild um und folgte Stislaw hinaus.
Da saß ich drinnen, sah das Wort Geöffnet, wusste, wer kommen wollte, sah Geschlossen, fand weder das eine noch das andere gut und richtig, war ja beides falsch, ich war ja da, die Tür ließ sich nicht richtig schließen, und doch war es ein falscher Morgen, ein täuschendes Terrain, ein Für und Wider, und immer noch Geruch von Männerpisse, Lavendel und Sagrotan.
Es wurde Mittag.
Ich lasse heute das Café, dachte ich, und gehe in die Wohnung. Dort muss man auch den Staub wegwischen. Vielleicht finde ich jemanden, der zur Untermiete bleiben möchte und die Dusche mit mir teilt.
Auf halbem Weg zur Tür kehrte ich doch wieder um und ging zur Luke hin, ich zog sie hoch, öffnete sie ganz und stieg die Holzstiege hinab, nur ein paar Stufen, ins Halbdunkle. Da sah ich sie gleich wieder, hörte auch Blasmusik, sah Trommler, die voranzogen, und wie aufgezogenes Spielzeug folgten im Takt die Ratten, grellblau uniformiert, mit Käppis, die Schnauzen hoch erhoben, die kleinen Augen starr. Dahinter kamen dunkelblaue, sie hatten Stöcke in den Pfoten, und dann kam eine kleine Gruppe sehr dicker Ratten, sie trugen schwarze, enge Mäntel.
Am Rand standen klatschend Gäste, und abseits, hinter einer Absperrung aus Draht, warteten schäbige Zuschauer, sie durften sich nicht nähern, ihre Kleider waren zerrissen, ihre Ohren waren ausgefranst.
Was ist das, fragte ich mich entsetzt. Eine Parade, ein Aufmarsch? Ein Theaterstück?
Ich riss mich los und stieg hinauf und wollte weg, schloss die Luke, für einmal ließ ich gerne das Café, drehte den Schlüssel, und lief mit raschen Schritten in die Kurfürstenstraße.


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Wissen Sie nicht in der Nähe eine Wohnung?, fragte mich ein höflicher Mann in einem beigen Sommeranzug und hob und senkte seine Aktentasche, mir war, als hätte ich ihn schon gesehen. Kann eine WG sein, ergänzte sein Begleiter, wir brauchen sie fürs Referendariat und Examen, wir müssen da nur schlafen, bis wir fertig sind.
Eine Wohnung oder zwei Zimmer?, fragte ich und dachte an meine Wohnung. Wäre Ihnen mit zwei Zimmern auch gedient?
Sie schauten überrascht.
Wie meinen Sie? Was sagen Sie? Im Ernst?, redeten sie durcheinander, der eine strahlte, der Zweite guckte streng, der Erste fasste mich im Überschwang am Arm, der Zweite wich zurück, der Erste las in meiner Miene und sagte: Können wir gleich gucken? Der Zweite stieß ihn in die Seite.
Erinnern Sie sich nicht?, fragte der Erste. Ich habe Ihnen doch den Brief vom Doktor Kowalk gebracht!


Mit freundlicher Genehmigung des Fischer Verlags

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