Vorgeblättert

Leseprobe zu Esther Kinsky: Sommerfrische. Teil 2

09.02.2009.
Schrotthof

Lacibacsi hütete den Schrotthof, dort, wo die Straßen sich kreuzen. Er stand am Schrotttor und wartete auf die großen Kranwagen, die seinen Schrott holen sollten. Blaue Wagen mit braunroten Hungergreifern, die ächzend die Ansammlung alter Kinderwagen, Fahrräder, Pflugscharen und Karosserien aus seinem Hof hieven würden. Lacibacsis Frau hockte vor dem Haus und rauchte. Sie spielte mit kleinen Katzen. Sie lachte. Wie heißt deine Frau?, hatte einmal die Neue Frau gefragt, die zwei Häuser weiter wohnte. Die Neue Frau war irgendwann angekommen, eine Fremde aus einem anderen Land, ganz unvermutet hatte es sie hierher verschlagen, in diese gottverlassene Vorstadt am Ebenenrand, und ausgerechnet dort hatte sie sich niedergelassen, nur durch den schmalen Polizistengarten vom Schrotthof getrennt, und immerzu schaute sie in der Gegend herum, stundenlang saß sie auf der Treppe zum Dachboden und starrte werweißwohin, womöglich auch in seinen Hof. Lahtsibahtschi sagte sie zu ihm, sie konnte nichts dafür, denn sie war nicht von hier, sprach eine fremde Sprache, die ihnen hier wiederum nichts bedeutete. Eva heißt meine Frau, sagte Lacibacsi, und die Neue Frau sagte: Schade, sie sieht aus, als hieße sie Ruth. Lacibacsi argwöhnte Spott, mied den Blick der Neuen Frau fortan, aber die Ruthfrau winkte ihr immer von weitem, aus der Hocke.

Es war noch nicht richtig Sommer und schon so heiß, Lacibacsi kratzte sich die kranke Kehle, die ihm die Stimme ausgesaugt hatte, und schaute beide Straßen hinauf und hinunter, die Kätzchen spielten im grauen Staub, Lacibacsi dachte an seine Kneipe im üdülő, das Bäumerauschen, das Silberbanddesflusses in sanfter Biegung, das Auwaldgrün der Inselimstrom, den Männerchor, Grillabende, Motorradfahrer, die Schenkel und Glitzersandalen der Marikas und Zsuzsas, die Einfeiermädchen. Vor Hitze wurde ihm angst und bange, er wollte sich aus diesem Schrotthof schneiden, aus der lungernden Verwandtschaft mit Zwiebelwirtschaft und Holzklau, aus diesem Ödland im Sonnenflimmer, von seiner Ruthfrau in der Zigeunerhocke, er wollte ein Mannamfluss sein, ein Pappelschattenmann, Bierzapfer, Vertrauter von Trunkenen, Zeuge von Kampf und Aussöhnung, er wollte im lauen üdülőherz des Sommers leben und nicht hier an seinem ausgedorrten rostzerfressenen Rand, wo der Faltenhund seines Polizistennachbarn durch den Maschendrahtzaun sabberte. Nachbar, Nachbar, sagte er einmal zu dem jungen Polizisten, Warum hast du einen Hund mit einer solchen Lefzenflut?, ein solches Trauertier, dem der Schädel zu klein geworden ist, eine solche Jammergestalt?, aber der Polizist wusste keine Antwort, er war verlegen und dann gekränkt, fasste seine beiden kleinen Töchter an der Hand und schloss das Hoftor hinter sich.

Evike, mein Herzensstern, ich will in den üdülő und am Fluss verweilen, sagte Lacibacsi zu seiner Frau, und sie lachte aus der Hocke zu ihm auf.

Das Schlimmste steht uns noch bevor, sagte Lacibacsi gern, jeden Tag aufs Neue, wenn das Thermometer stieg, Das Schlimmste kommt noch, passt auf. Die Schrottwagen kamen, kleine Ratten stoben davon, der Schrott wurde gewogen, Lacibacsi bekam sein Bätzchen, seine Frau hockte, rauchte, lachte mit einer Nachbarin, die sich als Hexe kleidete, aus ihrem Ritterspornmeer an der Straßenböschung herübergeschwebt war, mit dicken Fußwickeln hatte sie sich durch das heiße Luftflimmern über dem Asphalt gepaddelt, trat jetzt meckernd mit ihren Wundfüßen nach den wimmelnden Kätzchen, die die Ruthfrau aus den Ärmeln zu schütteln schien. Ich bin auch eine Hexe, sagte die Ruthfrau, aber sie lachte dazu. Jetzt kaufen wir einen Swimmingpull, sagte sie, die Ausbeulung in Lacibacsis Hinterntasche würde sich in einen Swimmingpull verwandeln, jetzt würde ein lustiger Sommer anbrechen, und die Ritterspornhexe lachte süß, Mein Leben, sagte sie bettelnd, Evike mein Leben, schenk mir einen Knochen für meinen Hund!

Lacibacsis Verwandtschaft kam, wie immer, wenn der Schrott abgeholt worden war, schnauzbärtige Magermänner und frischfrisierte Schönflüsterer, Mundspitzkünstler, Taschenspielschüler, die großen Zwiebelkönige der Ebene, die Melonenschiffer der Entwässerungsgräben, hundescheu und katzenlieb, die Unterholzfäller im baumlosen Land der klirrenden Winter, die aus den kleinen vergitterten Gefängnisstübchen große Geschichten mitbrachten, sie und ihre schönen bunten braunhäutigen Frauen. Unversehens trieb Antal mit in dieser Wolke, auf dem Weg zur Neuen Frau, Antal, Antal, wo willst du hin, unser treuer Freund und Zwiebelwart?, flötete einer der Schönflüsterer. Antal sagte nichts, schwankte vorbei am menschenvollen Schrotttor von Lacibacsi, der ihm den Weg vertrat, Wohin mein guter Kamerad, sagte Lacibacsi, In welchen Wassern gehst du jetzt fischen, wann sehe ich dich im üdülő? Ich weiß es nicht, sagte Antal.

Die Verwandtschaft bestaunte den leeren Schrotthof. Ein Mann trat mit seinem spitzen Schuh an eine liegengebliebene Eisenspule, eine Feder, einen Deckel. Dinge, die nie wieder etwas sein würden als liegengebliebener Schrott, die alles Namenhafte eingebüßt hatten, namenlos am Rande des Nichts segelten, in einer Nebelbank aus säuerlichem Rostgeruch. Die Verwandtschaft wartete auf Bier und süße Getränke. Ich werde einen Swimmingpull bestellen, erklärte Lacibacsi allen, und ein Raunen ging durch die kleine Schar.

Tag um Tag harrte Lacibacsi vor seinem Tor der Lieferung des Swimmingpull, schattenstundenlang. In den heißen Stunden zog er sich hinter ein Fenster zurück, aus dem er die Straße beobachtete. Flinke Enkel und Neffen hatten dem Swimmingpull schon eine Heimstatt bereitet, zwischen zwei Ladaüberbleibseln, rot und staubblau, von denen Lacibacsi aus Gefühl nicht Abschied nehmen wollte. Zwischen diesen Ladaruinen zündete die Ruthfrau im Herbst ihre Feuer an, mittelgroße Laub- und Restefeuer, vor denen sie stundenlang in der Hocke verharren und in die sich glühend krümmenden und windenden, zu Licht, Hitze, Rauch, Schwärze werdenden Dinge blicken konnte. Truthähne stolzierten dort herum, sie kollerten schmutzigweiß und rosigbraun, einmal verirrte sich ein Pfau zu ihnen, den einer der Jungen mit einem Griff an den Beinen packte und schnabelkopfunter die Straße hinauftrug, dorthin, wo der Pfau zu Hause war. Die Vögel wurden in eine Ecke gezäunt, und der Swimmingpull kam an, leuchtendblau, ein großes rundes Becken, das nichts mit Staub und Rost und Asche zu tun hatte, ein greller Fremdling zwischen den schiefen Zäunen der Hinterhöfe, und die Lastwagenfahrer, die auf der großen Straße vorbeifuhren, starrten und spuckten aus dem Fenster, wenn sie die Ruthfrau sahen, die mit geschlossenen Augen auf einer bunten Luftmatratze über den stillen Wasserspiegel trieb.

Lacibacsi griff nach der Hand seiner Ruthfrau im blauen Wasser, Ich fahre in den üdülő, mein Herz, mein Leben, sagte er, ich muss mich um die Kneipe kümmern, Rubin meines Herzens, und die Ruthfrau nickte der Sonne zu.



Zwiebeln

Das sind die Zwiebelmänner sagte Antal und zeigte mit dem Finger vom Absatz der Dachbodentreppe auf eine Schnurrbartgruppe in Lacibacsis Swimmingpull. Neben Antal stand die Neue Frau. Laute Musik kam aus dem Radio in Lacibacsis Hof, und die Ruthfrau in einem roten Handtuchkleid hockte zufrieden auf der rissigen Veranda hinter dem Haus, die Kätzchen saßen ihr in Nacken und Haar, sie hatten schon Krallen, mit denen sie sich in ihre Locken klammerten und schaukelten. Es war heiß, weißgrau kam die Hitze in diesem Sommer, fraß die Farben aus allem heraus, sogar aus dem Himmel, die Hexe saß in ihrer welken Rittersporninsel, ein schwarzer Fleck im Gestrüpp des Spätnachmittags, und die Ferkel des Polizisten zuckten mit aufgedrehten Schwänzchen aus ihren dunklen Verschlägen in die bebende Hofluft.

Es war Winter, als wir hierherkamen, sagte Antal. Einer sagte: Geh doch zum Lacibacsi, der kann dir Arbeit geben. Nein, sagte Lacibacsi, Um diese Zeit habe ich keine Arbeit für niemand als mich selbst, aber ich habe einen Vetter gegenüber, der macht in Zwiebeln. Der Vetter war Jimmy. So heißt er nicht, aber er nennt sich so, sagte Antal, Und alle nennen ihn auch so. Jeden Tag brachte Jimmy drei Säcke Zwiebeln, die wir schälen mussten. Wir hatten Zeit bis zum frühen Nachmittag. Wir saßen in der Küche und schälten Zwiebeln. Zuerst tränten die Augen. Dann brachte Jimmy uns den Trick mit dem Wasser im Mund bei. Mundvoll Wasser beim Schälen, man kann nicht reden, braucht nicht zu reden, was soll man beim Zwiebelschälen auch reden, so weint man weniger. Es war immer dunkel draußen, immer. Schnee fiel, der Wind raste. Kein Berg, der ihm im Weg stand. Unser Sohn ging zur Schule, kam heim, stand am Fenster in seinem Zimmer, sagte nichts. Er war noch klein. Vielleicht hatte er Heimweh nach dem Ort, aus dem wir kamen. Wir schälten und schälten. In unserem Haus gab es nichts, das nicht nach Zwiebeln roch und schmeckte. Sogar der Kaffee. Wir putzten uns die Zähne mit Zwiebelpasta, wir legten uns in Zwiebelbetten. Jimmy hatte hat noch zwei Schwager im Zwiebelgeschäft, das waren Jerry und Joco. Nachmittags holte Jimmy, Joco oder Jerry die geschälten Zwiebeln ab, wir schafften den Auftrag immer, meistens machte ich den größten Teil, ich kann ein guter Arbeiter sein.

Meine Frau trank zwischendurch Rum, Der brave Zwiebelrum, sagte sie, Der tut gut in diesem Zwiebelelend. Dann kam Jimmy und sagte: Komm, fahr uns mit den Zwiebeln, du bekommst mehr Geld. Jetzt war ich Fahrer. Ich fuhr einen kleinen grünen Bus. Die geschälten Zwiebeln lagen in Netzen auf dem Boden im Laderaum, im Schmutz. Mir tränten die Augen beim Fahren, den Zwiebelkönigen aber nie.

Wir brachten die Zwiebeln immer an die gleiche Stelle, sagte Antal, Ein Haus abseits der Straße, ein Betrieb für Eingemachtes, und ich bekam mein Geld. Über Jimmys Hof hing der Gestank wie eine Decke, die Zwiebeln lagen in großen Haufen im Hof, und das Wetter war wie eine kaputte Maschine: Frost - warm - Frost - warm. Und so weiter. Nach jedem Frost stanken die Zwiebeln schlimmer. Bis nur noch faule übrig waren. Jerry wurde der Chef, und wir besorgten Brennholz. Ich war bloß der Fahrer, wartete im Auto an der Straße. Jerry und Joco schlugen unterdessen im Unterholz Krüppelstämme und brachen Äste, legten dieses Bruch- und Schlagholz zu Haufen. Inzwischen lag Schnee, alles war blau und weiß, es war sehr kalt. Manchmal sah ich Rehe auf den leeren Feldern, auch Hasen, und viele Fasane. Beim Laden musste ich helfen. Einmal wurden wir erwischt und mussten auf die Polizeiwache. Ich bin unschuldig, sagte ich auf der Wache, Ich bin bloß der Fahrer. Wir saßen da bis tief in die Nacht, und ich musste zu Fuß nach Hause gehen. Die Zwiebelkönige bekamen Strafen, mir passierte nichts, ich hatte ja nur an der Straße gestanden. Aber ich bekam nicht das Holz, das mein Lohn sein sollte. Es wurde ein kalter Winterausgang, ich wurde krank, und meine Frau sagte: Jetzt wirst du alt. Dann bekam ich Arbeit bei der Stadt. Graben, Pflastern, Betonieren. Ich bin Maurer. Meine Welt sind Ziegel und Beton. Schnurgrade Mauern. Mörtelmischen. Das Dröhnen der Betonmaschine. Verputzen. Aber ich kann eigentlich alles.

Die Zwiebelmänner trockneten sich ab und grölten zur Musik. Dann brieten sie Hackfleisch auf dem Grill und fütterten die Ruthfrau damit. Damit du nicht vom Fleische fällst, sagten sie so laut, dass man es ringsum hörte.
Sie waren längst keine Zwiebelmänner mehr. In den überlappenden Schatten des Grenzlandgebüschs ließ sich immer neues Glück versuchen.

Teil 3