Nadeem Aslam

Atlas für verschollene Liebende

Roman
Cover: Atlas für verschollene Liebende
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005
ISBN 9783498000721
Gebunden, 544 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Rosetta Stein. In einer namenlosen englischen Stadt sind Jugnu und Chanda verschwunden, ein pakistanisches Liebespaar, das ohne Trauschein zusammenlebte. Böse Gerüchte kursieren in der kleinen pakistanischen Gemeinschaft, und eines verschneiten Januarmorgens werden Chandas Brüder wegen Mordes verhaftet. Für Shamas und Kaukab, Jugnus Bruder und Schwägerin, entpuppen sich die nächsten 12 Monate, während der Prozess um den Ehrenmord läuft, als Lebenskatastrophe, in deren Verlauf sie alles, an das sie je geglaubt haben, infrage stellen müssen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2005

Dieser Roman des in Pakistan aufgewachsenen und in England lebenden Autors Nadeem Aslam wendet sich "aggressiv" gegen den Islam und ist doch ein "anmutiges Buch über die Liebe", konstatiert Kai Wiegandt. Während Bücher über den Islam für gewöhnlich deutlich machen wollen, dass der Islam an sich keineswegs eine gewalttätige Religion ist und beispielsweise die Selbstmordattentate durch "fundamentalistische Fehlinterpretationen" des Koran motiviert sind, scheint Aslam mit seinem Roman den Standpunkt zu vertreten, dass die Gewalt schon in der Religion begründet ist, erklärt der Rezensent. Im Mittelpunkt des Buches steht ein junges pakistanisches Paar, das unverheiratet in einer kleinen Stadt in England zusammenlebt und deshalb von den Brüdern der Frau umgebracht wird, resümiert Wiegandt. Für den Autor eine "Vorgeschichte" für die Londoner Selbstmordanschläge vom 7. Juli 2005. Aslams "polemische" Bestandsaufnahme lautet laut Rezensent, dass zum Selbstmordattentäter wird, "wer den Grund für sein eigenes Unglück bei den Ungläubigen und nicht bei Allah" sucht. Dies alles vermittelt Aslan trotz seines unbedingten Willens, die Welt so schlecht zu schildern wie sie ist, in einer metaphernreichen, an Vergleichen nicht sparenden "Traumsprache", was den Rezensenten vermuten lässt, ob sich hier nicht der "unverschämt naive Wunsch nach einer ?natürlichen' Welt" ausdrückt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.09.2005

Nadeem Aslams Roman setzt sich aus zwei miteinander verwobenen Teilen zusammen, einer Familiengeschichte und einer Sozialstudie, die Katharina Granzin vollkommen unterschiedlich bewertet. Von der Familiengeschichte ist sie uneingeschränkt angetan: Das Grundthema ähnele dem aus Franzens "Korrekturen", versetzt ins britisch-pakistanische Kleinstadtmilieu und weniger intellektuell als vielmehr mit einer gewissen Wut im Bauch umgesetzt. Dabei habe Aslam den schwierigeren aber geglückten Weg der Polyphonie gewählt, was für ein irritierendes Bild des von ihm beschriebenen Milieus sorge. Dabei hätte er es nach Meinung der Rezensentin besser auch belassen. Stattdessen aber unterfüttere der Autor seine Erzählung, in der ein so genannter Ehrenmord den Rahmen abgibt, mit zahlreichen Fakten, Figuren und Geschichtchen, wobei er im Gegensatz zur Erzählung der Familiengeschichte "mitunter recht plakativ" werde und ein eher undifferenziertes Schreckensbild der britisch-pakistanischen Gesellschaft schildere. Dadurch laufe er Gefahr, seine persönlichen Bemühungen, Großbritannien ein "anderes, aufgeklärtes und prowestliches pakistanisches Intellektuellen-Milieu" vorzustellen, wie er selbst es nach den Anschlägen von London verkörpert hat, auszuhebeln.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.08.2005

Irene Bilal ist tief berührt von diesem Roman, der einen sogenannten "Ehrenmord" unter pakistanischen Einwanderern in Großbritannien beschreibt. Ermordet wurde ein junges Liebespaar, weil es ohne Trauschein zusammenlebte. Während der eine Teil der Gemeinde - und besonders die Frauen! - den Mord gutheißen, weil er den islamischen Traditionen gehorcht, wollen die anderen, besonders die jüngeren, von diesen islamischen Werten nichts mehr wissen, lesen wir. Nadeem Aslan beschreibt das Dilemma der Immigranten mit großem Einfühlungsvermögen, findet Bilal, vielleicht, weil er selbst ein Einwanderer ist. Mit Erschrecken stellt die Rezensentin auch fest, dass der Autor von der "Wirklichkeit überholt" wurde; kommen ihrer Meinung nach auch die mutmaßlichen Attentäter von London aus jenem Kokon, in dem um die Identität in der Fremde gekämpft wird. Doch trotz des dunklen Inhalts erfreut sich Bilal an Aslans "literarischer Meisterschaft" und seiner einfühlsamen Sprache. Letztendlich, resümiert sie, ist dies ein "Plädoyer für die Liebe".
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