Vorworte

Grimm-Märchen fürs 21. Jahrhundert

Über Bücher, die kommen. Von Angela Schader
26.04.2024. Mit dem deutschen Brüderpaar hat Uri Jitzchak Katz' Debütroman zugegebenermaßen nichts zu tun. Doch die Geschichte, die dem Original den Titel gab - "Der Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" -, wird gleich in mehreren skurril-phantastischen Varianten eingebracht. Sie grundiert auch die realitätsnahen und teils hochaktuellen Themen, die der israelische Schriftsteller in seine labyrinthische Erzählung flicht.
Uri Jitzchak Katz. Foto: Gilli Efrat
Seid umschlungen, Millionen! Ein weltumspannendes, für alle Schreib- und Lesewilligen offenes Buchprojekt soll es werden, dem Internet sei Dank - der "größte Roman kommender Jahrhunderte", Tausendundeine Nacht auf Dauer gestellt, die "Bibel 2.0", jawohl.

Da berauscht sich ein Schriftsteller ungeniert an seiner Vision. Worum soll es denn gehen in dem Wunderwerk? Der Titel steht schon fest: "Der Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte".

Ach. Wo sind sie nun, die allumarmenden Träume?

Eine gute Nachricht gibt es immerhin. Das Buch dieses Titels, dessen Protagonist auch die eingangs zitierte Vision entwickelt hat, existiert tatsächlich. Für die von Markus Lemke besorgte deutsche Übersetzung wurde zwar eine andere Überschrift gewählt - nämlich "Aus dem Nichts kommt die Flut" -, aber die Geschichte vom im Grimm erstarrten Gesicht erscheint darin gleich in vier ganz unterschiedlichen Variationen. Und punkto Welthaltigkeit hat der im hebräischen Original 2015 erschienene Erstlingsroman des auch als Musiker und Filmemacher tätigen Uri Jitzchak Katz einiges zu bieten: Die Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts kommen darin ebenso zur Sprache wie die ambivalenten, wo nicht bedrohlichen Dimensionen von Digitalisierung und KI oder die Anatomie einer scheiternden Liebe.

Trotz seiner gewichtigen Themen hat das Buch Zug und Witz, liest sich gut; möchte aber ein Bekannter mal rasch über den Leseeindruck Bescheid wissen, steht man wie der Esel am Berg. Denn wie lässt sich die Struktur eines Romans auf den Punkt bringen, der an die vertrackten Architekturen des Zeichners M. C. Escher erinnert, indem er seine Themenkreise und Geschichten vielfältig miteinander verbindet, verflicht und ineinander spiegelt - durch wandernde Figuren, die sich zwischen der "realen" Ebene und den fiktiven Dimensionen des Geschehens bewegen, durch wiederholt aufscheinende oder variierte Motive, durch das Beziehungsnetz des Ich-Erzählers, der obendrein denselben Namen wie der Verfasser des Buches trägt?

Schon dieser real-fiktive Name ließe sich als Element des Escher-Baus herausgreifen, nämlich als dreistufige, Generationen und Epochen verbindende Treppe. Der Nachname stünde dann für Anschel Katz, den Urgroßvater des Protagonisten, der als fiktives Mitglied in den real existierenden "engeren Prager Kreis" eingeschleust wird: eine Gruppe von Schriftstellern, die Max Brod in seinem Erinnerungsbuch "Der Prager Kreis" beschreibt und der neben Kafka und Brod der Autor und Philosoph Felix Weltsch, der blinde Schriftsteller Oskar Baum und später auch der Literat und Journalist Ludwig Winder angehörten. Im Roman hingegen konstituiert sich der Zirkel aus den drei erstgenannten Mitgliedern, zu denen sich nebst Anschel Katz noch Hugo Bergman gesellt - eine weitere reale, aber faktisch nicht zum "engeren Kreis" gehörige Persönlichkeit des damaligen jüdischen Prager Geisteslebens.

Mit dem Mittelnamen Jitzchak rückt der Großvater des Ich-Erzählers ins Licht. Er vertritt die Generation der Pioniere, die im 20. Jahrhundert zunächst aus freien Stücken, zur Zeit des NS-Regimes dann notgedrungen nach Palästina übersiedelten oder flohen. Auch diese Romanfigur ist in einen realen Kontext eingebettet: Jitzchak gehört zu den Mitgründern des Anfang der 1940er Jahre aufgebauten und mit drei weiteren Siedlungen zusammengeschlossenen Kibbuz Kfar Etzion. Der Siedlungsblock lag außerhalb des Israel im Teilungsplan der Uno zugeschlagenen Gebiets und wurde im Palästinakrieg 1947/48 von den arabischen Streitkräften entsprechend hart attackiert; Kfar Etzion fiel am Tag vor Israels Staatsgründung, die überlebenden Verteidiger wurden nach der Kapitulation in einer Vergeltungsaktion für das Massaker von Deir Jassin ermordet. In einem aufschlussreichen Essay über den Roman beleuchtet der Basler Judaist Alfred Bodenheimer unter anderem eine noch dichtere Engführung von Fiktion und Realität: Ein Itzhak Katz, dessen Familienkonstellation Parallelen mit derjenigen der literarischen Figur aufweist, zählte tatsächlich zu den Opfern des Rachefeldzugs.

Zugleich - und hier setzt die eigenständige Stoßrichtung von Uri Jitzchak Katz' Roman an - ist der literarische Jitzchak Katz ein Bindeglied zwischen der jüdischen und der arabischen Welt, die sich in der Region nicht nur konkurrierten, sondern auch durchdrangen. 1943 schließt der junge Siedler Freundschaft mit dem arabischen Altmetallhändler Khalil, der ungleich lieber als seine Ware Geschichten austauscht; solche - darunter auch diejenige vom "Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" - spielen sich die beiden dann in langen Nächten zu. Jene Erzählung wird später zum Objekt eines weniger harmlosen Tauschhandels, den Jitzchak beim Ausbruch des Palästinakriegs mit Khalils Sohn Hamdha eingeht: Für das Kapitel um Kapitel übergebene Typoskript der Geschichte ist der Bursche bereit, den jüdischen Milizen bei der Infiltration arabischer Truppen zu helfen.

Auf Jitzchak Katz' Sohn Amos fallen im Roman nur wenige Streiflichter; deshalb darf auf der dritten Stufe der Generationen-Treppe der Vorname Uri für Jitzchaks Enkel, den 1971 geborenen Ich-Erzähler, stehen. Als er zwei Jahre zählte, fuhr ihm das Sirenengeheul des Jom-Kippur-Kriegs in die Knochen; 1982 verfolgte er mit einem Auge den Siegeslauf der brasilianischen Equipe bei der Fußball-WM, mit dem anderen denjenigen der israelischen Truppen im Libanon-Krieg - bis sich beiderorts das Blatt wendete, Italien die Brasilianer aus dem Feld schlug und die "moralisch lauterste Armee der Welt" im "libanesischen Matsch" versank. Seine eigene militärische Ausbildung, die mit dem Zweiten Golfkrieg zusammenfiel, zeichnet Uri dann nur mehr als kruden Slapstick nach; er selbst gehört einer Generation weltoffener Israeli an, die sich wendig im Internet tummelt, ohne aber ganz von den neuen Technologien geprägt zu sein.

Drei Zeit- und Themenschichten des Romans sind damit markiert. Nur skizzenhaft präsent ist diejenige der europäisch-jüdischen Kultur vor der Shoah: Die Rolle des leicht mutierten "engeren Prager Kreises" besteht lediglich darin, der Geschichte vom "Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" den Boden zu bereiten. Die zeitlich und kulturell nach beiden Seiten ausgreifende Darstellung der israelischen Staatsgründung dagegen beschränkt sich nicht auf die Geschichte von Kfar Etzion, sondern blendet auch auf Jaffa, in dessen vibrierender Atmosphäre sich jüdische, arabische und von der britischen Mandatsherrschaft geprägte europäische Kultur ein Stelldichein gaben; dort inszeniert Katz auch eine große und facettenreiche Diskussion, in deren Rahmen Akteure unterschiedlichster Provenienz ihre Sicht auf die bevorstehende Teilung Palästinas einbringen. Gelegentliche Reflexionen Uris und vor allem die mehrfach variierte Titelgeschichte beleuchten schließlich - eher punktuell - die Entwicklung maschineller Schreibtechniken im 20. Jahrhundert, die mit dem Eintritt ins digitale Zeitalter in einen völlig neuen Horizont katapultiert wird.

Das vierte Kernthema setzt die Beziehung des Protagonisten zu einer Frau namens Julia. Das gemeinsame Interesse für die Geschichte vom Mann mit dem Grimmgesicht, auf deren Existenz vorerst nicht mehr als ein obskurer Autorname und einige flüchtige Erwähnungen hinweisen, führt die beiden zusammen, und Uri verliebt sich Knall auf Fall in die hübsche, wesentlich jüngere Tschechin. Zusammen wollen sie dem geheimnisvollen Text nachspüren, doch Julia, in ihrem Wesen nicht minder ungreifbar als jene Geschichte und ähnlich herb wie deren Titel, beginnt sich schon bald zu entziehen, verschwindet dann ganz, reagiert auch nicht mehr auf die E-Mails, mit denen der verzweifelte Verehrer sie überschwemmt. Dieser Erzählstrang gipfelt in einem Kapitel, welches das Motiv aufgreift, das nun auch der deutschen Ausgabe den Titel gab. "Aus dem Nichts wird die Flut kommen" heißt der gewaltige innere Monolog, in dem Uri seine gescheiterte Liebe reflektiert. Und die Wasser-Metapher trägt, denn der Text bewegt sich wellenartig zunächst in schnellem Wechsel, dann in breiteren Schwingungen zwischen gegensätzlichen Positionen und Situationen. Die Beziehung selbst balanciert prekär auf dem Scheitelpunkt zwischen leidenschaftlichem Aufschwung und "abgrundtiefem Hass"; nach dem endgültigen Absturz regt sich nur mehr der taube Wunsch nach einer "Liebe, die Hintergrundrauschen ist", unerheblich, trivial, "nicht stark wie der Tod".

Nicht nur diese Sprachflut hat Julia entfesselt: Sie ist auch die wandelbarste und prominenteste der "wandernden" Figuren, welche die Textur von Uri Jitzchak Katz' Roman zusammenhalten. So scheint ihr Name beim Erkunden weiterer Dimensionen des Buches - insbesondere der Geschichte vom "Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" - immer wieder auf.

Zunächst von Julia sekundiert, stellt Uri Recherchen in Prag wie auch in israelischen Archiven an; so gelingt es, nicht nur die ursprüngliche Erzählung zusammenzutragen, sondern auch das spärliche Material, das ihre Genese belegt. Es war der (fiktional umgemodelte) "engere Prager Kreis", der im Rahmen eines 1908 lancierten Schreibwettbewerbs eine Geschichte dieses Titels verfassen wollte, zunächst im kleinen, dann in einem erweiterten Rahmen, wobei auch eine gewisse Julia Sopček als Wettbewerbsteilnehmerin registriert war. Das Projekt versandete, wurde 1924 nach Kafkas Tod von den verbleibenden Mitgliedern des Zirkels wieder aufgenommen, kam aber auch dann nicht über einen Arbeitsplan, die Synopsen der einzelnen Kapitel und ein paar eingereichte Textskizzen hinaus. Der als Koordinator eingesetzte Anschel Katz, inzwischen nach Palästina emigriert, übergab die Handvoll Papiere schließlich seinem Sohn mit der Aufforderung, daraus eine ordentliche Geschichte zu machen. Was im Lauf des Romans portionenweise als Originalversion von "Der Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" eingeschoben wird, stammt also aus Jitzchaks Feder - niedergeschrieben vor und während der Belagerung von Kfar Etzion, als die Kapitel den riskanten Spionage-Deal mit Khalils Sohn Hamdha alimentierten.

Darauf lässt freilich nichts an der Erzählung schließen. Sie ist im Prag des späten 19. Jahrhunderts angesiedelt, der Mann, der von einem Moment auf den andern mit der grimmigen Miene geschlagen wird, amtiert als leitender Direktor in der "Staatlichen Fabrik für Bleistifte und Schreibwaren". In seinem Vorzimmer sitzt als Sekretärin eine unglücklich verheiratete Frau namens Julia Sopček, als Adlat dient ihm ein strebsamer junger Mann namens Gugel; wer hier einen allgegenwärtigen vierfarbigen Schriftzug aufleuchten sieht, liegt nicht daneben. Der Direktor versucht im Lauf der Erzählung seine böse Fratze wieder loszuwerden, der noch peinlicher heimgesuchte Gugel ringt derweil mit seinem durch ein suspektes Mittagessen heftig aufgewühlten Magen-Darm-Trakt. Julia ist ein zarteres, aber nicht minder schmerzliches Abenteuer beschieden: Eine attraktive Schauspielerin namens Rosa umwirbt die Vernachlässigte stürmisch, lässt sie dann ebenso unvermittelt sitzen; und mit dem leitenden Direktor, den Rosa anschließend umgarnt und dann um sein Vermögen erleichtert, bringt die Dame gleich noch ein zweites Opfer zu Fall. Die beiden Betrogenen finden sich resigniert an ihren Arbeitsplätzen in der Fabrik wieder; Julia muss sich an die Schreibmaschine gewöhnen, deren Erfindung auf einem Nebenschauplatz des Romans ebenfalls einigen Wirbel verursacht. Gugel hat es am härtesten getroffen - er ist im Irrenhaus gelandet.

Die Variante der Erzählung, die sich unter dem Titel "Der Keller, oder: Der Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" präsentiert, ist noch düsterer eingefärbt. Auch hier spielt eine Julia die weibliche Hauptrolle; Isajah, ihr grimmgesichtiges männliches Vis-à-vis, lebt einsam und verpönt in Julias Heimatort. Einst war er ein genialer Ingenieur, erschuf eine Maschine, die Träume lesen und aufzeichnen konnte und rasenden Zulauf hatte; bis dann die solchermaßen enthüllten privaten Begehrlichkeiten und Geheimnisse an die Öffentlichkeit drangen, unerquickliche Folgen zeitigten und eine Flut von Klagen über den Erfinder hereinbrach. Auch körperlich wurde Isajah Opfer seines Werks: Ein Selbstversuch mit der Maschine schlug fehl und prägte ihm das böse Gesicht auf. Dennoch finden er und Julia zueinander, doch wie die anderen Liebesgeschichten im Roman zerbricht auch diese - und Julias Persönlichkeit damit: Sie spaltet sich auf in ein stilles, zahmes Julia- und ein listig-unberechenbares Rosa-Ich.

Die Traumlesemaschine präfiguriert ein Motiv, das dann in der umfangreichsten Variation der Geschichte weit in die Zukunft projiziert wird. "Die Paralympics, oder: Der Mann, dem das Gesicht im Grimm erstarrte" wird als Roman des tschechischen Schriftstellers Miloš Kublik eingeführt, mit dem Uri während seiner Recherche Bekanntschaft schließt. Kublik hatte als junger Mann schon 1969 umsonst nach dem Manuskript der Originalgeschichte vom Grimmgesicht geforscht; in seinem eigenen, Jahrzehnte später verfassten Text spielt das titelgebende Motiv allerdings nur eine nebensächliche Rolle. Thema der Story sind vielmehr die bedrohlichen Dimensionen der digitalen Entwicklung: das Hervortreten einer neuen Spezies mit tiefgreifenden, von der Technologie dominierten Mensch-Maschine-Schnittstellen - und die Kluft, die sich zwischen diesen Hybriden und dem Homo Sapiens auftut. Die verbleibenden Exemplare der letzteren Gattung, von den Vertretern der neuen Art gern auch "Krüppel" genannt, leben als Bürger zweiter Klasse in einem abgeriegelten Territorium namens Creepland, doch auch die Hybriden sind nicht unbedingt im Paradies angelangt: Was immer in ihren vernetzten Gehirnen und Sinnesorganen vor sich geht, wird - Träume inklusive - registriert und aufgezeichnet, die Gesellschaft nach den Vorgaben eines hinter menschlichem Antlitz verborgenen digitalisierten Superhirns gelenkt. Dass diese in eine etwas ausufernde Handlung gebettete futuristische Dimension der Story eher wie Retro-Science-Fiction wirkt, ist im Erzählkontext stimmig - Kublik, wohl Ende der 1940er Jahre geboren, ist alles andere als ein Digital Native. Mit dem brandaktuellen Thema allerdings vermag die Darstellung nicht wirklich Schritt zu halten.

Dafür könnte man - und zaudert doch, gerade zum jetzigen Zeitpunkt, es zu tun - im Text einen brisanten Doppelsinn vermuten. Creepland wird exakt situiert, die Enklave soll sich ungefähr mit dem einstigen Sudentenland decken. Mehrfach wird sie als "Getto" bezeichnet, die Grenzübergänge zum umliegenden, Cordless genannten Territorium der Hybriden sind bewacht, nur "wenige Krüppeltagelöhner, die Genehmigung hatten, für wenige Stunden in Cordless zu arbeiten", dürfen sie überqueren. Die geografische Verortung, das Wort "Getto", auch ein direkter Verweis auf die Shoah identifizieren einen möglichen Echoraum für die gesellschaftlich-politische Dimension von Kubliks Erzählung. Aber die Erwähnung der Grenzübergänge, des nur tropfenweise gewährten Pendlerverkehrs, auch eines sich abzeichnenden Konflikts zwischen Cordless und Creepland deuten zumindest eine Möglichkeit an, den Text auch im Blick auf das Verhältnis zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten zu lesen.

In Kubliks Variante sind die Wiedergänger aus der Urversion der Geschichte besonders zahlreich. Mit Yulia Rossman tritt eine Frauengestalt an, deren Nachname gleich noch auf Kafkas "Amerika" verweist, und nebst Gugel und einem zwielichtigen Typen namens "Surfer Rosa" erscheinen weitere Figuren mit Namen, denen man zuvor schon begegnet ist. Die eigentliche Hauptrolle aber spielt ein Detektiv namens Isaac - und dieser Name ist in Katz' Roman mit der arabischen wie der jüdischen Seite konnotiert. Dem palästinensischen Taxifahrer Isak al-Husseini, der sich dann als Enkel Hamdhas entpuppt, begegnen wir schon relativ früh im Roman; er ist es, der eine von orientalischen Märchen inspirierte Variante der Geschichte vom Mann mit dem Grimmgesicht erzählt. In dieser wiederum tritt ein jüdischer Gelehrter namens Isak auf, der sich dann gleich noch als Vorläufer des digitalen Zeitalters präsentiert: Er hat eine "intelligente" Tinte entwickelt, welche die geschriebenen Botschaften ganz ohne materiellen Träger zeitgleich und auf weite Distanzen vor dem Auge des Empfängers aufscheinen lässt.

Die Beziehungen, Doppelungen und Verweise, die dieses Textlabyrinth strukturieren, sind damit noch längst nicht erschöpfend dargestellt. Aber dass Uri Jitzchak Katz mit einer zwar nicht gleich weltumspannenden, doch höchst ambitionierten Vision angetreten ist und sie erfindungs- und fintenreich durchkomponiert hat, dürfte dennoch sicht- und spürbar geworden sein. Sein Erzählkonstrukt mag nicht allenthalben die Perfektion und Ausgewogenheit eines M.-C.-Escher-Gebäudes erreichen, doch das nimmt man gern in Kauf. Denn nicht nur das literarische Abenteuer, das Leserinnen und Lesern geboten wird, entschädigt reichlich dafür, sondern auch der Horizont, den der Roman hinter dem vor einem halben Jahr so schrecklich aufgebrochenen Konflikt ausspannt.

Uri Jitzchak Katz: Aus dem Nichts kommt die Flut
Roman.
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2024. 576 Seiten, gebunden, 25 Euro.

Erscheint am 6. Mai 2024

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