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Sehenswürdigkeit

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
20.07.2018. Silke Helmerdig zeigt in ihrem Buch "Berlin by Numbers", wie das Prinzip des Suchbilds für ein Stadtporträt nutzbar gemacht werden kann. Bis zum 9. September sind die Arbeiten der Finalisten des Deutsche-Börse-Fotopreises  in Frankfurt zu sehen.
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Urlaubstipp:



Auch wenn es von Verlagsseite so sicher nicht geplant war, erscheint rechtzeitig zur Urlaubszeit bei Peperoni Books ein Fotobuch, das beim Durchblättern schlicht Spaß macht: Silke Helmerdigs "Berlin by Numbers". Es besteht aus hundert Fotos, die Helmerdig zwischen 2003 und 2016 in Berlin aufgenommen hat, und die Seite für Seite von 1 bis 100 durchnummeriert sind. Das große Sehvergnügen verdankt sich dem Umstand, das sich die Zahlen in den Fotos verbergen und manchmal sofort zu sehen sind, während man sich ein anderes Mal Mühe geben und einfach auch lachen muss, wenn man sie schließlich entdeckt hat.

Was sich von der Struktur her nach einem urlaubsgerechten Bilderrätsel für die ganze Familie anhört, ist es ästhetisch mitnichten. Helmerdigs grobkörnige, fast rohe Schwarzweiß-Fotografien fangen eher Randständiges und Fragmentarisches ein und sehen von allem, das im herkömmlichen Sinn eine "Sehenswürdigkeit" genannt würde, ab: Baugitter, Imbissbuden, Passanten, Bahnsteige, Innenhöfe, Plakate - all das eben, was sowohl im Alltag als auch auf touristischen Streifzügen im Grunde nicht wirklich zur Kenntnis genommen wird. Indem Helmerdig es auf eine so spielerische Weise vor Augen führt, gelingt ihr wie nebenbei eine Sensibilisierung für die Details und kleinen Dinge, die am Rande des Gesichtsfelds allgegenwärtig sind.

Alle, die nach hundert Fotos noch nicht genug davon haben, können das Buch einfach kopfüber kippen und die Rückseite zur Vorderseite machen. Dort fängt dann alles (wenn auch in reduziertem Umfang) mit "London from A - Z" wieder von vorne an.

Silke Helmerdig, Berlin by Numbers. 220 Seiten, 20,5 x 27 cm, 126 Abbildungen. Peperoni Books, Berlin 2018, 36 Euro.  ISBN-10: 3941249258. (Bestellen bei buecher.de)


Ausstellung
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Am 17. Mai wurde in der Londoner Photographers' Gallery der diesjährige "Deutsche Börse Photography Foundation Prize" verliehen. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zeigt bis zum 9. September die Arbeiten der Finalist*innen Mathieu Asselin, Rafal Milach, Batia Suter und Luke Willis Thompson.
 Die in ihrer Komplexität und unter Aufwendung unterschiedlichster Mittel beeindruckendste  Arbeit ist dabei Asselins Langzeitprojekt "Monsanto: A Photographic Investigation". Asselin bereiste fünf Jahre lang die Welt auf der Suche nach Menschen und Orten, die auf teils dramatische Weise durch das Wirken von Monsanto betroffen sind. Neben prägnanten Fotos wie das des Farmers David Baker, der neben dem Grab seines Bruders steht, dessen Krebstod mit dem Einsatz von in der Landwirtschaft verwendeten Pestiziden in Zusammenhang gebracht wird, präsentiert Asselin Saatkörner wie Reliquien von Heiligen in edlen Schreinen und lässt dazu die aktuellen Börsenkurse von Bayer und Monsanto laufen. 

Die anderen Finalist*innen bleiben hinter der Intensität von Asselins Recherche zurück. Rafal Milach spürt in seinen Arbeiten den Mechanismen von Propaganda sowie deren visueller Umsetzung in der Architektur und Stadtplanung postsowjetischer Staaten wie Weißrussland und Aserbaidschan nach. Batia Suter bietet mit ihrem Fotobuch "Parallel Encyclopedia #2" eine weitere, visuell anregende Variation ihres durch viele Ausstellungen bestens bekannten "Encyklopedia" - Projekts, in dem sie vorgefundenes Bildmaterial aus Lehrbüchern, Anzeigen und Magazinen aufgreift und es in einen neuen Kontext bettet, so dass Bedeutungszusammenhänge dekonstruiert und andere Lesarten möglich werden.

Mit der Wahl von "autoportrait" des dreißigjährigen Luke Willis Thompson zum diesjährigen Preisträger wird der "Börse Prize" endgültig  zu einem "Human Rights Watch Prize" und der Kurator*innentraum von Museum als moralischer Anstalt vermeintlich Realität. Dass das filmische Porträt der Afroamerikanerin Diamond Reynolds, die stumm (!) und in schwarzweiß erzählt, wie ihr Partner 2016 bei einer Polizeikontrolle von einem Polizisten erschossen wurde, ohne die Hintergrundinfo zusammenhanglos wirkt und auch mit dieser Info keine besondere Suggestivkraft entfaltet - halb so wild. Erstens ist das Kurator*innenteam mit dieser Wahl ethisch vorbehaltlos auf der richtigen Seite; und zweitens wird Thompson im Betrieb gerade energisch gepusht, weshalb es kein Wunder ist, dass er bereits für den Turner Prize nominiert wurde und von der Galerie Nagel Traxler vertreten wird, die seit jeher einen Riecher für den rentablen Nachwuchs hat.

Peter Truschner