Victoria de Grazia

Der perfekte Faschist

Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt
Cover: Der perfekte Faschist
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2024
ISBN 9783803137395
Gebunden, 512 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Im Juni 1926 war Rom Schauplatz eines spektakulären gesellschaftlichen Ereignisses. Gefeiert wurde eine "faschistische Hochzeit", Trauzeuge Mussolini inklusive. Vor den Altar traten Lilliana Weinman, gefeierte amerikanische Opernsängerin aus einer jüdischen Industriellenfamilie, und Attilio Teruzzi, hochdekorierter Kriegsveteran, Teilnehmer beim Marsch auf Rom, mitleidloser Anführer der Schwarzhemden und Archetyp des "neuen starken Mannes". Aber bald schon fühlte sich der virile Gatte von der Unabhängigkeit seiner Frau in der Ehre verletzt und forderte die Scheidung - nur dachten seine Frau und die katholische Kirche gar nicht daran, dem zuzustimmen. Die Zwangsehe wird für den Aufsteiger Teruzzi zusehends zum Problem, kündigen sich am Horizont doch die ersten antisemitischen Gesetze des faschistischen Staates an. Mit Seitenblicken auf Literatur, Mode, Stadtwelten und Liebesverhältnisse entfaltet die Historikerin Victoria de Grazia ein Gesellschaftsepos, das das kulturelle Klima der Epoche greifbar werden lässt. Sie zeigt, wie Mussolinis Bewegung ihre Revolution bis in die zwischenmenschlichen Beziehungen forcierte. Und sie macht die Bedingungen für Aufstieg und Fall des "perfekten Faschisten" anschaulich: die Entwicklung eines Mannes des Mittelmaßes in einer Zeit der Extreme.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 04.04.2024

Gern lässt sich Rezensent Alexander Cammann von Victoria de Grazia den italienischen Faschismus erklären, und zwar anhand einer realen, aber ausgedacht anmutenden Familiengeschichte. Die Hauptfiguren sind die Jüdin Lilliana Weinmann und Attilio Teruzzi, ein Offizier, der sich nach dem Ersten Weltkrieg Mussolini anschließt. Die beiden heiraten. Lilianas Judentum ist zunächst kein Problem, sie werden zu einem regelrechten Glamour-Paar des Faschismus, bis die Beziehung zerbricht, Liliana allerdings die Scheidung verweigert. Mit viel ironischem Witz wird hier laut Cammann von einem speziell italienischen Weg in den Faschismus erzählt, der zwar Korruption und brutale Gewalt in die Gesellschaft trug, aber von Kontinuität anstatt Brüchen bestimmt war, zum Beispiel was die durchweg wichtige gesellschaftliche Rolle der katholischen Kirche betrifft. Preiswürdig ist dieses Buch, das eine unglaubliche Geschichte aus einem unglaublichen Jahrhundert ausbreitet, findet Cammann.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2024

Am Beispiel von Attilio Teruzzi, einem Militär aus dem engsten Kreis um Mussolini, lernt Rezensent Sven Reichardt von der Historikerin Victoria de Grazia, wie ein "perfekter Faschist" im Italien der zwanziger bis vierziger Jahre auszusehen hatte. Spannend wie einen Roman beschreibt de Grazia den Aufstieg Teruzzis, um exemplarisch den italienischen Faschismus zu erklären, so der faszinierte Kritiker. Die aufsehenerregende Eheschließung mit einer säkularen Jüdin und Teruzzis gescheiterter Versuch der Annullierung kommen ebenso vor wie seine Tätigkeit als "Kolonialminister." Gerne lässt sich Reichardt von de Grazias Erzähltalent mit "Leichtigkeit und Eleganz", die eine exzellente Recherche nicht vermissen lassen, in die Kreise italienischer Eliten und ihr Leben zwischen Nationalismus, Faschismus und Glauben einführen.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.03.2024

Fast romanhaft mutet diese wahre Geschichte des italienischen Faschisten Attilio Teruzzi an, findet Kritikerin Karen Krüger, der dieses außergewöhnliche Buch der Historikerin Victoria de Grazia "eine Art sozialgeschichtliches Gruppenporträt" des faschistischen Italiens zeigt. Terruzi war einer der wichtigsten Köpfe in Mussolinis Regierung, erfahren wir, und überzeugt davon, dass der Faschismus dem Land die im Ersten Weltkrieg verlorene "militarisierte Männlichkeit" wiederbringen könne. Er war aber auch mit einer Jüdin verheiratet, die Ehe ging in die Brüche, doch sie weigerte sich, einer Annulierung zuzustimmen und verbaute Teruzzi so den Weg zum faschistischen Familienideal mit Frau und Kind, liest Krüger und ist von der Entschlossenheit Liliana Weinmans beeindruckt. Das liest sich nicht nur wahnsinnig spannend, sondern ist auch durch ausführliche Forschung untermauert, versichert die überzeugte Rezensentin.