Richard Powers

Schattenflucht

Roman
Cover: Schattenflucht
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783100590206
Gebunden, 544 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Manfred Allie und Gabriele Kempf-Allie. Adie Klarpol landet als Zeichnerin in einem Thinktank in Seattle: hier sollen die Computerbilder laufen lernen, um den Betrachter in den Sehnsüchten des eignen Blicks zu fangen. In einer Höhle baut sie die Welt des Sichtbaren nach, eine Arbeit, die sie ganz in ihren Bann zieht. Taimur Martin ist als Lehrer in den Libanon gekommen, von einer Zigarettenpause kehrt er nicht zurück, bleibt jahrelang als Geisel in einer Höhle isoliert. Auch er schafft künstliche Welten, nicht der Technik, sondern der Fantasie, durch die er überlebt und auf die gleichen Bilder stößt wie Adie...

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.09.2002

Thomas Fechner-Smarsly ist begeistert: Der zweite von sieben bisher erschienenen Romanen des 1957 geborenen, gelernten Programmierers Richard Powers ist für den Rezensenten das Raffinierteste, "was gegenwärtig an Fiktion zum Thema Computer und Cyberspace" auf dem Markt ist. Allerdings muss der Leser erst rund 200 Seiten geduldig warten, bis sich diese Erkenntnis einstellt, warnt der Rezensent. Denn im ersten Drittel des Romans werde zwar "kenntnisreich", aber etwas kompliziert in die frühe Geschichte des Cyberspace eingeführt. Darin geht es, informiert Fechner-Smarsly, einmal um "eine kleine Gruppe von Computer-Söldnern", die in Seattle in einer Höhle virtuelle Realitäten erschaffen soll, zum anderen um den Sohn einer iranischen Mutter und eines US-Soldaten, den es als Englisch-Lehrer nach Beirut verschlägt, wo er von einer "fundamentalistischen Splittergruppe" entführt und im Dunkeln, in einer "Schattenwelt" wie die "Computer-Söldner" sein Dasein fristet. Besonders bewundert der Rezensent die Struktur des Romans, die aus einer "komplizierten Architektur der Wiederholungen, der Ähnlichkeiten" und der "Selbstreferenzen" bestehe und auch auf die Kunst des Autors verweise, "relativ leicht konsumierbar", aber trotzdem "hochkomplex" zu erzählen. Neben dem Norweger Jan Kjaerstad fällt Fechner-Smarsly kein Autor ein, der so gekonnt "mit langem Atem", aber "auf hohem Niveau" und "gut informiert" über neueste Entwicklungen in Naturwissenschaften und Informationstechnologien zu berichten wisse.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.05.2002

Ein Tableau der Desillusion erkennt Uwe Pralle in diesem Roman (dem siebten) des Cyberepikers Powers um eine Gruppe weltabgewandter Virtual-Reality-Pioniere im Seattle der späten 80er. Als würde der Autor die Lehre aus seinem Stück gezogen haben, entgeht er selbst den Verlockungen der Techno-Visionen, indem er "auf die Macht der Phantasie gesetzt hat, statt die neuesten technologischen Verheißungen noch einmal aufzubereiten". Auf diese Weise, erklärt ein erleichterter Rezensent, werde der Roman nicht zum Reflex, sondern zu einer "literarischen Reflexion" des prekären Verhältnisses von Technologie, Kunst und Phantasie. Dass Powers dabei ohne Hacker-Slang, dafür mit einer bild- wie reflexionsstarken, bisweilen meditativen Erzählweise operiert, ist für Pralle ein weiterer Pluspunkt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 21.03.2002

Perfekt! Dirk Knipphals lässt sich bei Richard Powers Roman "Schattenflucht" zu regelrechten Begeisterungsstürmen hinreißen. Ein "literarisches Ereignis" nennt er das Buch, denn der Autor verstehe mit fast einzigartigem Anspruch und Feinfühligkeit die Wesensmerkmale der digitalen Welt zu beschreiben. Unter Zuhilfenahme "naturwissenschaftlicher Studien, Kenntnissen von Programmiersprachen" und Inspirationen aus der Weltliteratur, aber eben nicht durch Einflechtung platten Computerjargons gelingt es Powers das darzustellen, worauf es tatsächlich ankommt, meint der Rezensent. Nämlich auf die analoge Welt, die der digitalen Welt immer wieder ihre Grenzen zeigt: "Digital ist toll. Analog ist toller." Das sei Powers anhand von präzise und glaubhaft gezeichneten Figuren, der Darstellung ihrer Monologe im Umgang mit den Technologien und einem spürbaren Hauch "innerweltlichen Transzendentalgefühls" mit Bravour gelungen, so das Urteil von Rezensent Dirk Knipphals.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.03.2002

Ganz begeistert ist Rezensent Thomas Steinfeld von Richard Powers' "nahezu historischem" Roman - er spielt in den 1980ern und endet im Golfkrieg 1991. Die großen Hoffnungen und Utopien von Künstlicher Intelligenz und virtuellen Realitäten sind bereits ausgeträumt - keine Verherrlichung von Computertechnik, im Gegenteil: "'Schattenflucht' handelt von der großen Desillusionierung", freut sich der Rezensent. Zwei Erzählstränge sind in dem Roman verwoben, die sich wie eine "Doppelhelix" zueinander verhalten, erzählt Steinfeld. Da ist einmal die Programmiererin Adie, die mit dem Computer Kunst schaffen will, und zum anderen der Lehrer Taimur, der in Beirut fünf Jahre von Islamisten gefangen gehalten wird. Beide versuchen, eine eigene Welt "mit nichts als Fantasie" zu schaffen. Beide scheitern, denn die Realität erweist sich als "stärker, weil niederträchtiger". Doch im "Aufrufen dieser Kunst" habe der Roman seine "großen Momente". In Amerika, so Steinfeld, gilt Power als "einer der ganz großen Schriftsteller", John Updike hat ihn sogar neben Thomas Mann gestellt. Die deutsche Übersetzung wird Powers Qualitäten jedoch wohl nicht so ganz gerecht. Das sei zwar "nicht die Schuld des Übersetzers", dennoch empfiehlt Steinfeld, das Buch im Original zu lesen.
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