Rebekka Habermas

Diebe vor Gericht

Die Entstehung der modernen Rechtsordnung im 19. Jahrhundert
Cover: Diebe vor Gericht
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783593387741
Gebunden, 410 Seiten, 34,90 EUR

Klappentext

Im 19. Jahrhundert wurden in Deutschland öffentliche Gerichtsverhandlungen und moderne Strafgesetzbücher eingeführt; beides sollte für mehr Gleichheit vor dem Gesetz sorgen. Wie kam es zu diesem großen Umbruch und wie verlief er im Einzelnen? Diesen Fragen geht Rebekka Habermas am Beispiel des Diebstahls nach, der die Justiz im 19. Jahrhundert mehr beschäftigte als jedes andere Delikt. Sie rekonstruiert nicht nur die Logiken der Rechtsreformer, sondern auch die Motive der Diebinnen und Diebe, die Arbeit der Gendarmen, die Beweissuche der Juristen sowie den Anteil der Kriminologen und Journalisten am Prozess der Rechtsfindung. So zeigt sie, dass das moderne Recht von vielen Akteuren gestaltet wurde bis hin zur Öffentlichkeit, die sich das Recht nahm, das Geschehen vor Gericht nach eigenen Maßstäben zu beurteilen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 14.10.2008

Die "bahnbrechende" Studie der Historikerin Rebekka Habermas über das Rechtswesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kurhessen dürfte nicht ohne Auswirkungen auf die bis heute gültige Forschungslage zu dieser Zeit bleiben, mutmaßt Rudolf Walter. Offiziell wurde nach 1848 der Inquisitionsprozess durch den Anklageprozess abgelöst, das Geständnis durch Beweise. Daraus leitet sich bis heute die zu relativierende Annahme ab, die Rechtsgleichheit habe im 19. Jahrhundert einen entscheidenden Fortschritt genommen, so der Rezensent. Habermas weist anhand zahlreicher Akten über kleinere Eigentumsdelikte nach, wie die "Gerichtspraxis im komplexen Zusammenspiel mit der Wissenschaft" im 19. Jahrhundert die Rechtsordnung veränderte, ohne dass es dafür gesetzliche Grundlagen gab." Die größte Diskrepanz ergab sich aus unterschiedlichen Rechtsauffassungen des noch ständisch geprägten Volkes, das "Recht" gesprochen haben wollte, während die Justiz daran interessiert war, Einzelfälle aus ihrem Kontext zu lösen und unter bestimmte Strafmuster und Typologien, die sich erst herausbildeten, zu subsumieren. Eine spannende und innovative Lektüre, empfiehlt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2008

Recht eingenommen berichtet Rezensent Urs Hafner von dieser Studie, in der Rebekka Habermas untersucht, wie sich im 19. Jahrhundert die moderne Rechtsordnung durchgesetzt hat. Dafür nimmt sie, wie wir seinen Informationen entnehmen, das Kurfürstentum Hessen in den Blick, in dem ein frappierender Anstieg von Diebstählen zu verzeichnen ist und den die Autorin dahingehend interpretiert, dass viele Angehörige der unteren Schichten vor Gericht auch um die Anerkennung ihrer sozialen "Position und Ehre" kämpfen. Auf der anderen Seite entwickelt sich die bürgerliche Justiz dahingehend, dass sie immer mehr von dem Menschen und seinen Umständen abstrahiert und ihn unter ihrem "Tatsachenblick zu einem "dekontextualisierten Automaten" macht. Auch wenn Rezensent Hafner nicht mit allen Schlussfolgerungen und deutungen der Autorin übereinstimmt, so kann er die Studie doch als nuanciert, eindringlich und oft plausibel empfehlen.