Michael Maar

Das Blaubartzimmer

Thomas Mann und die Schuld
Cover: Das Blaubartzimmer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783518412084
Gebunden, 133 Seiten, 17,38 EUR

Klappentext

Unvorbereitet ins Exil getrieben, musste Thomas Mann in München in einem Koffer seine Tagebücher zurücklassen. Als er endlich wieder in den Besitz seines Koffers gelangte, verbrannte er "bei erster Gelegenheit", wie sich später seine Tochter Erika erinnerte, "eine Menge Papier" ? "die gesammelten Tagebücher bis 1933". Ihr Inhalt ist unbekannt, und doch scheint evident, dass in ihnen eminente Geheimnisse verborgen waren. Wie sonst hätte Thomas Mann nach dem Verlust seiner Tagebücher notieren können: "Meine Befürchtungen gelten jetzt in erster Linie u. fast ausschließlich diesem Anschlag gegen die Geheimnisse meines Lebens. Sie sind schwer und tief. Furchtbares, ja Tötliches kann geschehen." Was mochte damit gemeint sein? Hatte Thomas Mann Angst, es könnten seine homoerotischen Neigungen gegen ihn ausgespielt werden? Oder umfassten die Geheimnisse mehr, griffen sie von der "Wollust" über zur "heißen Schuld"? Michael Maar gelangt, indem er in erster Linie das Werk auf eine sich bald abzeichnende, bisher immer übersehene Spur hin untersucht, zu einer beklemmenden Vermutung, die Thomas Mann in neuem Licht zeigt

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.02.2001

Der "Klemmschwule" Thomas Mann hat nach Meinung des Rezensenten Dirk Knipphals mit dem vorliegende Essay von Michael Marr keine Zukunft mehr. Dem "genauesten Leser des Literaturbetriebs", wie Knipphals Marr anerkennend bezeichnet, gelinge es, indem er "plausibel" die "Blutspur" als Produkt einer erlebten oder selbst begangenen Mordtat im Werk Thomas Manns nachzeichne, auch den Blick auf den souverän mit seiner Homosexualität umgehenden Mann zu lenken. Ein Umstand, der nach Meinung des Rezensenten durchaus eine Neulektüre der Werke des "alten Knaben" veranlassen könnte. Das sei "keine schlechte Ausbeute für einen Essay" - und spricht damit wohl auch für die Erstlektüre des Essays selbst.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.01.2001

Ganz schwindlig ist Angelika Overath von dieser Lektüre. Vielleicht weil der Verfasser des Buches selber taumelt und der klassischen Verwechslung von Romanfigur und Autor auf den Leim geht? Overath jedenfalls nimmt da kein Blatt vor den Mund: Ärgerlich, wissenschaftlich unhaltbar oder "nur noch komisch" findet sie des Autors (preisgekrönter Mann-Philologe!) Blaubartperspektive auf den "Zauberer". Und obgleich Maar offenbar mit "kriminalistischer Wut" an die Erhärtung seiner These herangeht, Thomas Mann als Lustmörder findet die Rezensentin ebensowenig glaubhaft wie diesen Text als philologisch-psychologische Studie. Hätte Maar doch eine Erzählung geschrieben!

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 06.12.2000

Richtig hieb- und stichfest findet die Rezensentin Ina Hartwig die Studie von Michael Maar nicht. Der untersucht, auf welchen biographischen Fakt sich die "Blutspur" in Thomas Manns Werk und das wiederkehrende Motiv der Schuld bezieht. Trotzdem bezeichnet sie das Buch als "brillante Analyse", der man nicht ernsthaft den Vorwurf des "Biografismus" machen kann. Den könne man höchstens daraus ableiten, dass Maar meint, den "Blick vom Werk zurück auf Mann wenden zu dürfen", aber dazu habe Mann den Leser ja schließlich ermutigt. Ausgangspunkt der Überlegung von Maar ist, warum Thomas Mann eine solch panische Angst vor der Entdeckung seiner Tagebücher durch die Nazis hatte. Angst vor der Entdeckung seiner Homosexualität kann es nach Maars Meinung nicht gewesen sein, da Mann ein relativ unverkrampftes Verhältnis dazu hatte. Deswegen spekuliert er nach Hartwig über eine mögliche kriminelle Tat auf Manns zweiter Neapel-Reise im Jahre 1896, die einerseits seine Panik vor der Entdeckung seiner Tagebücher erklären könnte und andererseits Auslöser für die "nicht abreißende Blutspur im Werk" sein könnte. Das geht Hartwig etwas zu weit, da er die drei Einzelaspekte dieser Annahme behandle, "als seien sie bewiesen". Trotzdem findet sie den Grundtenor der Studie anregend und stimulierend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 25.11.2000

Hat sich in der Thomas-Mann-Exegese mit der Veröffentlichung der Tagebücher 1977 doch eine "Lawine von Entrüstungsbiografik und Entlarvungsanalytik" gelöst, erinnert Albert von Schirnding. Denn, o weh, man stellte fest "dass Tonio seinen Hans Hansen nicht nur auf dem Papier liebte". Von da an spricht alle Welt von der "Lebenslüge unterdrückter Homosexualität". Für unterdrückte Schuldgefühle gibt es aber, so Michael Maar, freudig von Schirnding zitiert, "nirgends ein Beleg". Dagegen wird bei Mann, so Maar, von Anfang an, die ganze Liebe, zu Mann und Frau, dämonisiert. Maar vermutet bzw. suggeriert ein Initialerlebnis und betreibt Spurensuche in Neapel, wo sich Mann im November 1896 und im Frühjahr ?97 aufhielt. War da blutige Gewalt im Spiel? Für von Schirnding und den Leser öffnet sich ein "Spielraum der Fantasie". Jedenfalls gibt das "Schuldgefühl dem Humor die Tiefe", so Maar.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.11.2000

Reinhard Baumgart hat einen Literaturkrimi gelesen, der nach umgekehrtem Muster funktioniert: der Täter ist klar, aber wo ist die passende Tat? Thomas Mann, daraus hat dieser kein Geheimnis gemacht, wurde von schweren Schuldgefühlen geplagt. Der Autor, so Baumgart, gehe davon aus, dass diese nicht allein auf die gelegentlich angedeuteten homoerotischen Neigungen zurückzuführen sind. Baumgart gibt Einblick in die Verfahrensweise des Autors: zunächst hat Maar die autobiografischen Schriften Thomas Manns durchforstet. Fehlanzeige. Anschließend habe sich Maar die Romane und Erzählungen vorgenommen, und in der Tat: es fließt das Blut reichlich, es gibt viele grausame Motive, aber auch hier wird der Autor nicht mit einer Urszene, einem Urknall fündig. Für einen biederen und harmlosen Autor könne man Thomas Mann nach dieser Lektüre kaum mehr halten, so Baumgart. Dennoch: Aufatmen und Enttäuschung beim Rezensenten. Was bleibt einem übrig, fragt Baumgart, als anzunehmen, dass Thomas Mann ein Schreibtischtäter war und sich an einem Gefühl von Grundschuld abgearbeitet hat, das heute kaum noch nachvollziehbar ist? Das sei zwar kaum sensationell, aber nicht weniger ergreifend.
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