Lukas Bärfuss

Die Krume Brot

Roman
Cover: Die Krume Brot
Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
ISBN 9783498003203
Gebunden, 224 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Adelina, Tochter italienischer Einwanderer, arbeitet in einer Schweizer Fabrik, als sie sich 1973 nach kurzer Ehe allein mit einem Kind wiederfindet, Emma. Ein quälender Kampf ums Überleben beginnt, bis sie einen älteren Belgier kennenlernt und in dessen Gutshof im Piemont zieht. Vieles wird nun leichter, aber ohne Liebe bleibt alles fad. Und eines Tages ist der Belgier fort, mitsamt dem Kind. Kurz darauf taucht ein Mann auf, ein Streuner, ein Brigant. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Emma. Der Mann ist oft fort und kehrt zurück mit Geld, Essen und Zeitungen, in denen von Überfällen und ausgeraubten Munitionsdepots berichtet wird. Er nimmt Adelina mit in seine Mailänder Kommune, und zum ersten Mal fühlt sie sich als Teil einer Gruppe. Sie macht Schießübungen und Botengänge, geht der Polizei aus dem Weg. Das ist nicht schwierig, denn die Bullen sind beschäftigt. In dieser Zeit der Bomben und der Gewalt sucht eine Mutter ihre Tochter, lange vergeblich. Bis der Streuner meldet, er habe in dem Gutshof Licht gesehen: ein Mann sei dort, ein Mann mit einem Kind.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 20.07.2023

Der neue Roman von Lukas Bärfuss kann den Rezensenten Timo Posselt nicht überzeugen: Die Geschichte von Adelina, in der Schweiz geboren als Kind italienischer Arbeiter, erzählt von Armut als lebensbestimmendem Schicksal, aber leider mit vielen Klischees und antiquierten Vorstellungen, moniert der Kritiker. Da hilft auch die soghafte Sprache des Autors nicht mehr, der Roman funktioniert so nicht, zu sehr ist er mit seiner marxistischen Ausrichtung dem letzten Jahrhundert verhaftet, schließt Posselt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.07.2023

Rezensentin Erika Thomalla nimmt Lukas Bärfuss' neuen Roman gegen den in der NZZ erhobenen Vorwurf in Schutz, die Erzählung über den gesellschaftlichen Abstieg einer Migrantentochter, die durch Schulden und unglückliche Männergeschichten ins Unglück stürzt, illustriere lediglich von vorn herein feststehende kapitalismuskritische Thesen. Tatsächlich führe Bärfuss am Schicksal seiner Protagonistin keineswegs einen eindimensionalen ökonomischen Determinismus vor. Vielmehr habe er eine vielschichtige Figur konstruiert, die nicht bloß als Opfer der Umstände erscheint, sondern der durch eine Verkettung unglücklicher Umstände Auswege verbaut werden, hält Thomalla dagegen. Bärfuss, der einige Jahre selbst auf der Straße gelebt habe, zeigt ihr zudem auf, wie wichtig die Hilfe Einzelner für die Schwachen der Gesellschaft sein kann.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.07.2023

Unsanft geht es zu in Lukas Bärfuss' neuem Roman und Trilogie-Auftakt, warnt Rezensent Martin Oehlen. Er erzählt von Adelina, Tochter aus Italien in die Schweiz emigrierter Eltern, die sich nach dem Tod des Vaters und der Flucht der Mutter alleine durchschlagen muss und in eine Armutsspirale gerät. Wie die junge Frau für eine teure Zahn-OP einen Kredit aufnimmt, mit einer Tochter sitzen gelassen wird und dabei von diversen Männern auf die ein oder andere Art ausgenutzt wird, dabei schließlich sogar in die Fänge einer italienischen Untergrundbewegung gerät, findet der Kritiker von Bärfuss gewohnt "wuchtig" und "gnadenlos" inszeniert. Lobenswert scheint ihm vor allem die Figurenzeichnung der Protagonistin, deren Fehltritte einerseits fremdverschuldet und einer mangelhaften Bildung zuzuschreiben seien, andererseits aber auch einer gewissen "Naivität und Wankelmütigkeit" Adelinas. Passend dazu findet er auch die Wortwahl, die sich aus Adelinas Erzählperspektive ergebe. Eine "kraftvoll-energische" Erzählung, die auch Bezüge zu Bärfuss' Biografie und zur Gegenwart aufweise, lobt Oehlen, der bereits gespannt auf die Folgebände ist.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.07.2023

Rezensent Oliver Jungen schätzt Lukas Bärfuss immer dann, wenn seine Texte von der "Offenheit des Essays" geprägt sind. Das ist im neuen Roman leider nicht der Fall, beklagt der Kritiker: Die wie ein "Plädoyer" der Schuldlosigkeit gehaltene Lebensgeschichte von Adelina, die als Kind mit Migrationshintergrund in einem bildungsfernen Haushalt in Zürich aufwächst und immer tiefer in ein Abhängigkeitsnetz gerät, erscheint ihm eher wie ein Mix aus "anklagender Arbeiterliteratur und brechtscher Belehrungsepik". Zwar gelingt es Bärfuss, das Aufwachsen in prekären Verhältnissen in den siebziger Jahren detailgetreu zu zeichnen, hebt Jungen hervor. Wenn ihm der Autor aber vom Rassismus von Adelinas Großvater erzählt, einem frühen Mussolini-Anhänger, der den eigenen Sohn verstieß, und von Adelinas Vater, der seinen Frust über beruflichen Misserfolg und die Verachtung seiner Frau an seiner Tochter ausließ, dann gerät dem Rezensenten die Geschichte doch zu "deterministisch". Adelinas Schicksal als verschuldete, alleinerziehende und von Männern abhängige Fabrikarbeiterin, die sich schließlich mit den kommunistischen Brigaden in Italien einlässt, wird allein dann spannend, wenn Pathos und Vorhersehbarkeit von Momenten des Zufalls abgelöst werden, meint er. Und dennoch - die Grundfrage des Romans: "Welcher Ausweg ist möglich?" - lässt Jungen so lange nicht los, dass er die Lektüre zumindest nicht bereut.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 06.05.2023

Adelina ist keine Ausnahme, weiß Rezensent Richard Kämmerlings - doch Adelina weiß es nicht. Und genau darum geht es: Um die Erkenntnis des Lesers, die Einsicht in Mechanismen, welche die Figur selbst nicht durchschaut - ganz nach dem Brechtschen Prinzip des epischen Theaters. Dass Bärfuss auch Theaterautor ist, merkt man seiner Prosa an, im besten Sinne, meint der Kritiker. Die Mechanismen nun, die der Autor in "Die Krume Brot" offenlegt sind die der "Destruktionsmaschine" Kapitalismus. Was immer Adelina entscheidet, jeder ihrer Schritte führt sie in neue Abhängigkeitsverhältnisse und somit tiefer hinein ins Elend, in die Zerstörung. Denn, und das ist die zentrale Erkenntnis: Unmöglich ist es, Mensch zu sein in einem unmenschlichen System. Selbst als Adelina sich kollektiv auflehnt gegen dieses System, wird sie in Wahrheit doch nur wieder instrumentalisiert von jenen, die mächtiger sind. Die Art und Weise, die Bitterkeit, mit der Bärfuss diese Mechanismen offenlegt und auch noch "die letzte Seifenblase" der Hoffnung platzen lässt, scheint zwar ein wenig didaktisch, aber darin erstklassig, findet der begeisterte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.04.2023

Das größte Unglück der vom Pech verfolgten Hauptfigur Adelina in diesem Buch von Lukas Bärfuss sei der Autor selbst, urteilt Rezensent Roman Bucheli unsanft. An manchen Stellen kämen die "gestalterische Kraft" und das "erzählerische Können" Bärfuss' zum Vorschein, mehr Positives hat der Kritiker aber nicht zu sagen. Bucheli macht als Hauptproblem der Geschichte aus, dass die Figuren im Roman lediglich als Illustration von Bärfuss sozialkritischen Theorien herhalten sollen. Adelinas gesellschaftlicher Niedergang sei damit vorprogrammiert, ächzt der Rezensent, wenn sie nicht an äußeren Umständen scheitere, dann an ihrem Erbgut: schlechte Eigenschaften liegen in der Familie. Der Text sei "durch und durch konstruiert", stöhnt der Kritiker, und zudem gespickt von "eklatanten, handwerklichen" Fehlern, unter anderem von falschen Zeitabfolgen. Bucheli empfiehlt, das Buch vorm Erscheinen der zweiten Auflage nochmal nachzubessern.