Ian McEwan

Lektionen

Roman
Cover: Lektionen
Diogenes Verlag, Zürich 2022
ISBN 9783257072136
Gebunden, 720 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Roland Baines ist noch ein Kind, als er 1958 im Internat der Person begegnet, die sein Leben aus der Bahn werfen wird: der Klavierlehrerin Miriam Cornell. Roland ist junger Vater, als seine deutsche Frau Alissa ihn und das vier Monate alte Baby verlässt. Es ist das Jahr 1986. Während die Welt sich wegen Tschernobyl sorgt, beginnt Roland, nach Antworten zu suchen, zu seiner Herkunft, seinem rastlosen Leben und all dem, was Alissa von ihm fortgetrieben hat.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.12.2022

Tief beeindruckt berichtet Stephan Wackwitz, selbst Romancier, über diese Lektüre. Es ist ein "Jedermann"-Roman schreibt er, anknüpfend an eine lange literarische, ursprünglich fromme Tradition. Ein "Jedermann" ist ein Held, der keiner ist und darum ideal als Projektionsfigur taugt. Meist ist er zwischen Extremen hin- und hergerissen, die Gefahr ist stets, dass er Versuchungen erliegt oder in der Konvention landet. Aber für Wackwitz ist "Lektionen" noch mehr: ein großer realistischer Roman, ein Roman über scheiternde und triumphierende Künstler, ein Roman mit "tolstoihaft zahlreichen Nebenfiguren", in dem man sich lustvoll verlieren kann, als Referenzen fallen ihm große Namen wie Thomas Mann oder Nabokov ein. Als besonders interessant würdigt Wackwitz auch den Blick McEwans auf Deutschland kurz vor dem Mauerfall und bis in die Gegenwart. Wackwitz' Rezension macht wirklich Lust auf die Lektüre dieser "im traditionellen Sinn großen Literatur".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2022

Rezensent Oliver Jungen hat viel Freude an Ian McEwans "Mann ohne Eigenschaften", einem Barpianisten in "Großbrexitannien", der gewöhnlicher nicht sein könnte, aber laut Jungen gerade darum zur Identifikationsfigur taugt. Wie der Autor dieses Niemandsleben mit all seinen Irrungen und Wirrungen, Abgründen und enttäuschten Hoffnungen um die Frage, was ein erfülltes Dasein ausmacht, herum entfaltet, scheint Jungen lesenswert, unterhaltsam, ja lehrreich. Dass der Autor stilistisch virtuos agiert und nie zynisch wird oder doziert, macht den Roman für Jungen zum "psychologisch-realistischen" Porträt eines Zeitgenossen.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.11.2022

Eine mehrschichtige Lebensgeschichte ist dieses neue Buch von Ian McEwan, meint Susan Vahabzadeh. Vom Internatsleben über Jahre als alleinerziehender Vater wieder zurück bis zu einer erst im Nachhinein als missbräuchlich erkannten Affäre mit der Klavierlehrerin erlebt der Protagonist Roland Baines die titelgebenden Lektionen in zumeist nüchterner Sprache. Einiges davon findet sich auch in der Biografie des Autors wieder, weiß die Rezensentin. Für sie ist Roland die Verkörperung steter Mittelmäßigkeit und vergeblicher Chancen. Und das Buch eine Geschichte, die auch als Generationenporträt funktioniert.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2022

Versehrung und Verfall: Für Gregor Dotzauer die zentralen Themen in Ian McEwans neuem Roman. Den Protagonisten Roland Bains beschreibt er als Loser, bei dem einiges schiefgegangen ist. Aber auch als Figur, die viel mit ihrem Autor gemeinsam hat, was biografische Details angeht. Rolands Leben entbehrt trotzdem nicht einer gewissen Komik, die mit historischen und kulturellen Verweisen angereichert sind, so Dotzauer. Er freut sich neben diesem Referenzreichtum vor allem darüber, dass hier viele bekannte Motive McEwans noch einmal in konzentrierter Form auftreten. Für die Sprache allein würde er den Roman wohl nicht empfehlen, aber das kluge inhaltliche Geflecht mit allen bekannten Themen und Stärken des Autors lohnt die Lektüre, versichert er.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 30.09.2022

Nach einigen Glanzstücken, die zu Recht in die europäische Literaturgeschichte eingegangen sind, hat Ian McEwan den Rezensenten Rainer Moritz zuletzt nicht überzeugen können. Mit "Lektionen" jedoch scheint sich der Brite nun wieder ein Stück weit aufzuschwingen in Richtung seiner alten Größe. Ja, auch dieser Roman hat noch so einige Schwächen, findet Moritz: Die Überfülle an Familienkonflikten, die der Autor teils etwas sehr ausführlich schildert, oder sein mal mehr, mal aber auch nicht sehr überzeugend, weil allzu mechanisch abgehandeltes Grundthema: Der Zusammenhang von Zeitgeschichte und persönlicher Lebensgeschichte. Und doch bezeichnet der Kritiker den Roman als "stellenweise meisterhaft". Diese Stellen, das sind vor allem jene Situationen, in denen der Autor seine facettenreichen Figuren mit all ihrem Ambivalenzen zusammenstoßen lässt. Erzählerische Goldnuggets in einem breiten narrativen Flussbett sind dies für ihn - das Schürfen scheint sich für den Rezensenten gelohnt zu haben.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.09.2022

Ian McEwan erzählt in seinem neuen Roman von einem alten Mann, der plötzlich von Erinnerungen an Dinge heimgesucht wird, die längst begraben zu sein schienen: zum Beispiel den sexuellen Missbrauch des 14-Jährigen durch seine elf Jahre ältere Klavierlehrerin, erklärt Rezensent Roman Bucheli, tief beeindruckt, wie McEwan das erzählt: Distanziert, knapp, zeitlich sprunghaft und mit vielen Abzweigungen. Genauso, denkt sich Bucheli, funktioniert Erinnerung. Nur dass McEwan der Versuchung widersteht, kausale Beziehungen zwischen den Ereignissen herzustellen. Die Zeit verändert alles, auch die Vergangenheit, die man "immer neu lesen" muss, lernt Bucheli aus diesem "grandiosen" Roman.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.09.2022

Nein, meint Rezensentin Sylvia Staude, ein dringender Fall ist dieser Roland Baines nicht, von dem Ian McEwan in seinem neuesten Roman erzählt, sondern ein ganz durchschnittlicher Typ, vielleicht nur noch ein bisschen zaudernder. Er lässt sich treiben, verlassen und Wunden zufügen von Frauen. Staude folgt ihm trotzdem gern durch sein Leben, das sich über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erstreckt, inklusive Kubakrise, Tschernobyl, Mauerfall. Ist es das eigene Leben, auf das McEwan in seinem außergewöhnlich traditionellen, "altersmilden" Roman zurückblickt? Mehr noch als den Autor erkennt die verwunderte Rezensentin am Ende sich selbst in diesem durchschnittlichen Roland, der seine Makel haben mag, sich aber hin und wieder auch bewährt.