Feridun Zaimoglu

Leyla

Roman
Cover: Leyla
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2006
ISBN 9783462036961
Gebunden, 525 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Eine anatolische Kleinstadt in den fünfziger Jahren. Hier wächst Leyla als jüngstes von fünf Geschwistern auf, im engen Kreis der Familie und der Nachbarschaft, und hegt einen großen Wunsch: Sie will dieser Welt entkommen. Feridun Zaimoglu wendet den Blick zurück auf das Land, aus dem er mit seinen Eltern kam. Ein Land, erstarrt im Kalten Krieg, in dem ein strenger Glaube den Alltag durchdringt, die Familien dem Vater unterstehen, den Frauen ein bescheidener Platz zugewiesen ist - und in dem all das ins Wanken gerät. Er lässt die heranwachsende Leyla ihren Alltag erzählen, von den Vormittagen in der Schule, den Nachmittagen im Kreise der Schwestern, die an ihrer Mitgift sticken, und dem Leben in der Kleinstadt, in der Armut herrscht und jeder sein bescheidenes Auskommen sucht.
Leylas Vater hat keinen Erfolg, verliert seine Anstellung als Bahnbeamter und schlägt sich mit immer windigeren Geschäften durch. Die Brüder gehen ihrer Wege, rebellieren gegen den Vater, die Schwestern warten auf den Mann, der für sie ausgesucht wird, und hoffen auf die große Liebe. Leyla erobert sich kleine Freiheiten, die sie wieder verliert, als sie zur Frau wird. Und sie kommt einem dunklen Familiengeheimnis auf die Spur. Erst der Umzug der Familie nach Istanbul eröffnet neue Möglichkeiten: Leyla lernt einen Mann kennen und verliebt sich, doch die beiden haben keine Zukunft in der Türkei.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.05.2006

Bunt und vielfältig kommt Feridun Zaimoglus Roman der Rezensentin Maike Albath vor. Dafür sorgt in der Geschichte von Leyla, die in Ostanatolien aufwächst und schließlich nach Deutschland emigriert, zum Einen die bilderreiche Sprache, die der Erzählerin Sinnlichkeit verleihe, ohne in orientalische Klischees abzudriften. Zum Anderen gefallen Albath die Figuren, denen Zaimoglu dankenswerterweise mehrere Charakterebenen und eine persönliche Entwicklung zugesteht. Leyla erzähle ihre Geschichte nicht einfach chronologisch herunter, sondern vermische reale Ereignisse und eigene Fantasien mit den assoziativen Beschreibungen der Menschen um sie herum. Gut geschildert findet Albath das urtümliche Patriarchat in den ländlichen Gebieten Anatoliens, das mit der ausgelassenen Welt der Frauen kontrastiert. Wobei Zaimoglu in keiner Zeile das ursprüngliche Landleben idealisiere und gegen die westliche Moderne ausspiele, wie die Rezensentin versichert.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.03.2006

Der deutsch-türkische Autor Feridun Zaimoglu, 1995 mit seinem Buch "Kanak Sprak" schlagartig bekannt geworden, hat für sein neues Buch auf alle formalen Experimente verzichtet, führt Martin Lüdke den Roman ein. "Leyla" sei "schlicht" und "eindringlich" erzählt, was keineswegs bedeutet, dass das Buch ohne literarischen Anspruch geschrieben ist, versichert der Rezensent. Erzählt werde die Geschichte von Zaimoglus Mutter: aus der Perspektive eines heranwachsenden Mädchens in der Türkei, das, wie die ganze Familie überhaupt, unter der Tyrannei des Vaters zu leiden hat. Der Vater macht das Gesetz, er bricht das Gesetz - Religion spielt in diesem Zusammenhang "nur eine untergeordnete Rolle", erläutert Lüdke, Gehorsam sei wichtiger als Glaube. Und setzt hinzu: dies sei "eine andere Form der Säkularisierung". Die Geschichte, die Zaimoglu berichtet, ist düster und gewaltsam, dennoch gelingt es dem Autor, dass man sie gerne lese, betont der Rezensent. Am Ende ist das Mädchen herangewachsen, heiratet, bekommt ein Kind und folgt ihrem Mann nach Deutschland: ob sie sich hier aus dem Korsett patriarchalischer Ansprüche befreien kann, bleibe offen. Skepsis ist angebracht, meint Lüdke.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.03.2006

Rezensent Ulrich Rüdenauer wünscht sich, mehr von Feridun Zaimoglu zu lesen, der sich mit seinem aktuellen Buch "der Klischees, die ihm von der Kritik angehängt werden, entledigt". Zaimoglu verzichte nämlich auf die frühere Imitation verschiedener Slangs, sondern spreche stattdessen in einer "gleichmäßig und sagenhaft dahinschwebenden Sprache". Wie auch schon in dem Erzählband "Zwölf Gramm Glück" thematisiere Zaimoglu die Türkei. Seine Protagonistin befreit sich nach und nach vom übermächtigen Vater, heiratet und zieht mit ihrem Mann nach Deutschland. Lob zollt der Rezensent Zaimoglu für seine Beschreibung der Frauen in der türkischen Gesellschaft, die er als "die interessanteren, psychologisch raffinierteren Protagonisten" darstelle. Politisch halte sich Zaimoglu zurück, es gehe ihm nicht um einen "Diskurs" über bestimmte Themen wie Ideologie oder Religion, "sondern um das, was davon als Bodensatz in der Gesellschaft zu finden ist". Dafür mag der Rezensent den Autor - umso mehr, als dieser in einer Zeit der Diskussionen über Glaubenskriege und Ehrenmord eine "greifbare und ergreifende Geschichte" erzählt, die ohne jede Statistik auskommt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.03.2006

Mit "Leyla" hat Feridun Zaimoglu einen Roman über die "unerbittliche Macht der Sitte" geschrieben, teilt ein begeisterter Ijoma Mangold mit. Die Titelfigur Leyla wächst mit ihren Geschwistern unter einem tyrannischen Vater auf, der Frau und Kinder schlägt, erklärt der Rezensent, der die Schilderungen der "ohnmächtigen Atmosphäre" in der Familie sehr "bedrückend" findet. Im Kontrast dazu hat ihm die Passage, in der ein Klassenausflug Leylas an den Euphrat beschrieben wird, "einige der schönsten Seiten" beschert, wie er lobt, denn hier wird das Erlebnis von Natur für das Mädchen zum "Glück". Hat Mangold zunächst den Eindruck, der Roman erzähle im "Märchenton" eine archaische Geschichte, geht ihm erst im letzten Drittel auf, dass der deutsch-türkische Autor "ganz im Gegenteil" ein "realistisches" Buch geschrieben hat, und wenn der Rezensent überhaupt etwas kritisieren will, dann ist es vielleicht dieser Irrtum, dem der Leser allzu lange aufsitzen könnte. Ansonsten aber preist er die Mischung aus Poesie und Realismus. Er attestiert dem Roman die "Wucht des Melodrams", wobei er besonders angetan bemerkt, dass Zaimoglu dennoch "ohne jedes falsche Pathos" schreibt. Wenn Leyla am Ende mit ihrem kleinen Sohn nach Berlin auswandert, erzählt das Buch auch von der Familiengeschichte "eines der wichtigsten deutschen Autoren", glaubt der Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 04.03.2006

Mit großer Begeisterung hat Rezensentin Kirsten Riesselmann diesen Roman Feridun Zaimoglus gelesen, der damit endgültig zum "vollgültigen Romancier", zum "finegetunten Großkünstler" aufgestiegen ist. Sie würdigt das Buch als einen "tollen Bildungsroman", der durch die Augen der Erzählerin Leylas eine fremde Lebenswelt schildert - das Leben einer Familie in den ärmlichen Verhältnissen einer ostanatolischen Kleinstadt in den Fünfzigern. Zaimoglus Schilderungen des Alltags Leylas und ihrer Familie, die unter dem cholerischen, prügelnden Vater bitter leidet, zeichnen sich für Riesselmann durch ihre "Detailgenauigkeit" und "umsichtigen" Realismus aus. Beeindruckt hat Riesselmann das Buch auch, weil es ohne eine wertende und moralisierende Außenposition auskommt und mit mittels einer "durchweg überzeugenden Erzählerin" die Vergangenheit aufschließt, ohne sie zu glorifizieren oder zu dämonisieren.