Dirk Kurbjuweit

Nachbeben

Roman
Cover: Nachbeben
Nagel und Kimche Verlag, Zürich 2004
ISBN 9783312003464
Gebunden, 224 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Auf dem Kleinen Feldberg im Taunus überwacht der 82-jährige Geologe Luis den Seismographen und wertet die Daten aus. Seine einzigen Nachbarn in der einsam gelegenen Erdbebenwarte sind das Verwalterehepaar Konrad und Charlotte. Mit deren Sohn Lorenz verbindet Luis eine tiefe Freundschaft, aber Lorenz will raus aus dem ewigen Nebel des Feldbergs. Als nach einem Beben im Rheinland eine verängstigte junge Frau in der Station anruft und Lorenz um Hilfe bittet, verliebt er sich in ihre Stimme. Noch in derselben Nacht fährt er zu ihr und beginnt eine Verwicklung, die fatale Folgen mit sich bringt.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.11.2004

Rezensent Hans Christian Kosler ist beeindruckt von diesem Roman, dessen Autor Dirk Kurbjuweit als Redakteur beim Spiegel arbeitet. Ihm gefällt vor allem die "Ruhe und Klarheit", mit der Kurbjuweit die jüngere Zeitgeschichte aufrollt. Dabei erweist sich der Autor nach Meinung des Rezensenten als "hochsensibler Seismograph, der verlässlich die Erschütterungen unserer Gesellschaft aufzeichnet". Die beiden Protagonisten sind typische Repräsentanten ihrer Generation: Der eine, ein alter Mann namens Luis, ein "entschiedener Vertreter des Entweder-oder", der jüngere Lorenz ein typischer "Sklave des Sowohl-als-auch", "hin und her gerissen zwischen Anpassung und Selbstverwirklichung". Neben dem schlüssigen Soziogramm, das dieser Roman erstellt, bleibt er zudem "spannend" und auf hohen Niveau "unterhaltsam".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 30.10.2004

Dieser Roman, der sich gekonnt in der "Tektonik der Herzen" einnistet, müsste für seinen Autor Dirk Kurbjuweit eigentlich der Durchbruch bedeuten, meint der Rezensent Peter Henning. Denn mit "Nachbeben" sei Kurbjuweit etwas Eigentümliches gelungen, nämlich auf knapp zweihundert Seiten die "deutsche Währungs- und Wissenschaftsgeschichte ebenso kurzweilig abzuhandeln wie die darin eingebettet verlaufenden Regungen seiner fünf Hauptakteure". Kurz macht uns der Rezensent mit der Handlung bekannt: In die Idylle der Erdbebenwarte auf dem Feldberg bricht das Leben ein, als der junge Lorenz sich in eine weibliche Telefonstimme verliebt. Die sich daraus ergebenden Erschütterungen führen den im Bankmilieu aufstrebenden Lorenz zunächst in die Ehe und dann auf Geschäftsreise nach Albanien, bei der er sich einen Seitensprung leistet und ein Kind überfährt. Darauf reagiert Lorenz mit Flucht, doch der Weg zurück ins alte Leben ist "verstellt" und der Ehealltag entwickelt sich zu einem "kriminellen Zwischenzustand". Als Lorenz sich dann auch noch dem Windmühlenkampf gegen die Einführung des Euro verschreibt und zwangsläufig scheitert, steht er dermaßen im Aus, dass es einen Neuanfang geben kann - bei dem die Handlung wieder an ihren Anfangspunkt zurückführt: auf den Feldberg. Indem er "Zeitstimmungen und Milieus" nicht bloß als atmosphärische Dreingaben betrachtet, sondern sie als "unverzichtbare Koordinaten" der Ereignisse kenntlich macht, ist Kurbjuweit ein "Buch über Vereisung und den Zweifel an den besten menschlichen Substanzen - den Gefühlen -" geglückt, und damit "ein Deutschlandroman von Format".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.10.2004

Mit diesem Roman, in dem ein 82-jähriger Seismograf die Geschichte seines Freundes Lorenz erzählt, der zunächst als Geldwirtschaftsexperte Karriere macht, dann aber beruflich wie privat abstürzt, hat sich Dirk Kurbjuweit "übernommen", kritisiert ein unzufriedener Alex Rühle. Denn obwohl der Autor, der als Journalist für den Spiegel schreibt, die aktuellsten welt- und wirtschaftspolitischen Fragen in seinem Buch anschneidet, scheint er stilistisch noch dem realistischen Roman des 19. Jahrhunderts verhaftet, moniert der Rezensent. Ein bisschen kommt es Rühle auch vor, als habe der Autor "seinen Zettelkasten geplündert", um alle die drängenden politischen Probleme unterzubringen, die in dem Roman zur Sprache kommen. Zudem hat er "ganze Passagen" aus Büchern McKinseys in die Dialoge seiner Figuren eingebaut, die darin "erratisch herumstehen" moniert der Rezensent wenig erbaut.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 07.10.2004

Auf dem Kleinen Feldberg im Taunus befindet sich eine meteorologische Station, berichtet Jochen Jung, in der auch Erdstöße registriert und analysiert werden. Doch sympathischerweise sei die Seismologie kein garantiertes Welterklärungsmodell, freut sich der Rezensent, denn anders als in der Meteorologie sei es den Seismologen immer noch nicht gelungen, verlässliche Prognosen über kommendes Unheil abzugeben. Immerhin hat sich aber der Autor mit der Seismologie respektive mit dem alten Seismologen Luis, der teilweise zum Erzähler des Romangeschehens avanciert, ein prächtiges Metaphernbündel geschnürt, mit dem er, wenn schon nicht die Welt, so dann wenigstens die seelischen Vorgänge seiner Figuren beleuchten kann. Dirk Kurbjuweit, bereits zweimal als Reporter mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet, wie Jung weiß, erweise sich auch als Romanautor als vielschichtiger Autor, der seine Geschichte in Balzacscher Manier durch alle Mechanismen von Liebe und Hoffnung, Geld und Verrat treibe. Zwischendurch gibt es eine äußerst kitschige Liebesgeschichte in Albanien, gesteht Jung, aber auch da bekomme der Autor die Kurve, indem er den Seismologen ins Spiel bringe und Distanz bzw. Gnade walten lasse.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.2004

Ein "Nachbeben" und schon gar "kein Erdbeben" löst Dirk Kurbjuweits Roman bei Martin Halter aus, der den Autor zwar als "glänzenden Reporter" ( "Spiegel") und guten Erzähler bezeichnet, ihn aber mit seinem neuesten Roman für gescheitert erklärt. Mit "Nachbeben" hat Kurbjuweit sein Ziel zu hoch gesteckt, einen richtig großen Gesellschaftsroman zu schreiben, der die Folgen von Globalisierung und ökonomischer Umstrukturierung im Privaten erfassen sollte, befindet Halter. Dabei sei dem Verfasser die Antinomie von Leben und Wirtschaft zu durchsichtig geraten, die Dialoge und Konflikte erschienen zu konstruiert. Indem er einen pensionierten Seismologen zu einer der Hauptfiguren seines Romans macht, erklärt Halter, rückt Kurbjuweit die Erdbeben-Metapher in den Mittelpunkt: der Boden unseres westlichen Lebens sei hohl und brüchig, jeden Augenblick könnten sich bedrohliche Abgründe auftun, laute die nicht gerade umwerfende Erkenntnis dieses Romans, der Asylpolitik, Aids, Seismologie, ökonomische Reflexionen in eine Liebes- und einen Familiengeschichte packe. Zuviel des Guten. Für die Nebenfiguren der Geschichte bleibt keine Zeit, kritisiert der Rezensent, der die erzählerischen Passagen, die den Protagonisten des Romans nach Albanien führen, am gelungensten findet, weil sie das journalistische Können Kurbjuweits, eine Annäherung an eine fremde Welt, überzeugend vorführen.
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